es ist nicht einzusehen

wie bereits in meinem letzten post angesprochen, sind viele „fakten“, die wir scheinbar über agenturmeldungen zur kenntnis zu nehmen haben, einfach nicht mehr akzeptabel.

1. neuerlich gewinne aus spekulationen jener banken, die gerade eben unglaubliche summen von steuerzahlerInnen angeblich dringend benötigt haben.

2. provisionen und boni-zahlungen an bankenmitarbeiterInnen, die die ausgewiesenen gewinne der banken übersteigen

3. sozial- und krankenversicherungen und pensionskassen, die um ihre existenz zu kämpfen scheinen, immer mehr beiträge einheben (müssen?) und dabei immer weniger leistungen bezahlen (können?).

4. selbst für die dringensten projekte zum kampf gegen hungertod und krankheiten unter den allerärmsten unserer welt scheinen die mittel immer weniger zu reichen.

an einem ende der menschheit wird die krise zur megachance nochmal viel mehr zu gewinnen, als bisher denkbar war, am anderen ende wird es für immer mehr menschen immer enger und tödlicher.

kaum eine talkshow ist inzwischen am thema „krise und ihre folgen“ vorbeigekommen, dennoch wird selten gründlich nach den ursachen gesucht. fragestellungen nach dem „wie werden wir damit zurecht kommen“ sind häufiger als die eigentlich klar auf der hand liegende analyse, dass es sich ganz wenige auf kosten von sehr vielen sensationell gut gehen lassen. direktes oder indirektes ausspielen einzelner gruppen (junge gegen alte, kranke gegen arbeitslose, ausländerInnen gegen einheimische, bildungssuchende gegen kulturschaffende) gehört zu den beliebten ablenkungsmanövern.

wie falsch und richtig zugleich die aussage „es gibt kein geld mehr“ sein kann, haben wir in den letzten monaten gelernt. nur scheint es inzwischen schon fast egal zu sein, ob jemand das spiel durchschaut oder nicht, es läuft ohnehin unaufhaltsam.

wenn selbst obama resigniert feststellen muss, dass aus der krise nicht gelernt wurde, dann muss uns klar werden, dass da niemand ist, der lernen wollte.

es ist nicht einzusehen, es ist nicht hinnehmbar, was sich hier abspielt. vielfach höre ich von menschen, die schon länger versuchen, bewusst ihr leben zu gestalten, dass eine zeit der veränderung und des umbruchs auf uns unaufhaltsam zukommt. mag sein, kann ja auch gut sein, wenn dringende einsichten – wie jene, dass wir alle auf dieser einen welt gemeinsam leben – sich wirklich durchsetzen.

mich persönlich beunruhigt aber die gefühlte notwendigkeit von veränderung gepaart mit der brutalen unverschämtheit der wenigen. wenn wir nicht aufpassen, dann steuern wir unter umständen auch wieder auf kriege zu. allerdings müssen wir eigentlich zur kenntnis nehmen, dass kriege global gesehen schon lange laufen, auch im direkten zusammenhang mit unseren resourcen. wir leben im frieden, während anderswo schon krieg herrscht.

krieg und krise haben eines gemeinsam: die menschheit als verlierer, unmenschen als gewinner.

die krise ist keine panne

bei der lektüre der letzten schlagzeilen aus dem bereich der wall street und anderer wirtschaftsrelevanter tempel über unverschämte boni-forderungen einzelner broker oder über neuerliche rekordgewinne „trotz krisenzeiten“ werde ich das gefühl nicht los, dass die krise keine panne eines veralteten und überkommenen systems ist. sie scheint vielmehr teil des zynischen gewinnspiels zu sein, das nur noch rascher – und für bestimmte spieler effizienter – unglaubliche summen aus den gesellschaften dieser welt in die hände weniger spült.

dies mal so als schnelle notiz, das thema möchte ich noch mal weiter vertiefen…

er soll hier nicht beim namen genannt werden

kerzenlicht

er soll hier nicht beim namen genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
nichteinmal der name soll genannt werden

er
der hier nicht beim namen genannt werden soll
kam heute wieder einmal zu uns
wie so oft

heute
seine augen sagten mir sofort
sein schweigen bestätigte
es musste was schlimmes passiert sein

er soll hier nicht beim namen genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
nichteinmal der name soll genannt werden

heute
brachte er mir seine verzweiflung
pure verzweiflung
gestern hatte er die nachricht per anruf aus afrika erhalten
seine mutter ist vor vier tagen verstorben

heute
war alles anders
kein problem mit dem asylverfahren
keine bitte um ein paar euro
keine strafe fürs schwarzfahren die zu bezahlen wäre

heute
war alles zusammengebrochen
seine mutter ist gestorben
und nirgendwo konnte er seine trauer loswerden
nur
ein schluchzendes
i’m so tired

heute
hätte ich ihn am liebsten fest umarmt
aber es wäre zuviel gewesen
heute
diese ratlosigkeit zwischen uns
und seine verzweiflung
heute
war alles zusammengebrochen

wozu bin ich überhaupt da
wozu soll ich hier noch um geld betteln
wozu soll ich weitermachen
ich hab nicht genug geld schicken können
ich hab ihren tod nicht verhindern können
ich bin der einzige der hier ist
wie weit bin ich weg von der beerdigung
was kann ich jetzt noch tun
wenn sie jetzt doch gestorben ist
meine mutter
für die ich

seine stimme erstickt
und
wieder dieses schweigen

er soll hier nicht beim namen genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
nichteinmal der name soll genannt werden

heute
war das gespräch ganz anders
was ich auch sagte
es war irgendwie nicht genug

du hast sie sehr geliebt deine mutter
sie hat dich sehr geliebt
sie hat ihr möglichstes für dich und deine geschwister gegeben
ich stelle mir vor deiner mutter geht es jetzt gut
sie hat jetzt ihr leiden hinter sich
jetzt schau auf dich selbst
das würde sie sicher freuen

wie muss ein solcher satz
auf einen
dessen namen lieber nicht genannt werden soll
wirken
jetzt schau auf dich selbst
weit und breit keine familie
niemand der/die seine mutter kannte
niemand der/die mit ihm trauern würde

er soll hier nicht beim namen genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
nichteinmal der name soll genannt werden

jetzt schau auf dich selbst
konnte ich allen ernstes einem flüchtling sagen
jetzt schau auf dich selbst

ich hörte mir selbst zu
was ich ihm da sagte
absurdes?
jetzt schau auf dich selbst
und dann wieder ratloses
ich bete für deine mutter
ich zünde eine kerze an

wie ratlos muss ich gewesen sein
als ich ihm zu den wie immer paar euros
noch eine kerze
und ein gebet versprach

mein sohn hat ihn dann noch später angerufen
um mit ihm zu sprechen
ein paar worte der anteilnahme
des trostes

er soll hier nicht beim namen genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
nichteinmal der name soll genannt werden

aber der tarif kann genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
be free
heisst der handytarif bei flüchtlingen
be free

wirksamer eingriff

gestern und heute fand im rahmen der sommerszene09 ein spannender eingriff statt. ein eingriff mitten in das leben der stadt, mitten auf dem müllnersteg. „dancing on a bridge“ – eine performance von simone sandroni & sead dancers – sollte nach eigendefinition des choreografen und regisseurs durchaus irritieren:

a group of dancers are many unique individuals. they become a group only because of actions happening in a space at the same time. the idea is to make them look like a group by coincidence, giving the irritation of a show, which is not prepared or organized previously.

der eingriff ist voll gelungen. es kam zu irritationen verschiedenster art. wie es eben bei eingriffen so ist, wurden prozesse offengelegt, offensichtlich und konfrontativ: anfänglich wurden die tänzerInnen des sead fast unmerklich, unscheinbar mitten unter den fussgängerInnen und radfahrerInnen aktiv. der alltag wäre kaum aus dem trott gekommen, wären da nicht die beidseitig stehenden zuseherInnen und die beiden auf grossen schaukeln sich zurufenden tänzerInnen gewesen.

später dann, als die performance sich in der stegmitte zu sammeln begann und sowohl tänzerInnen als auch zuseherInnen einen schützenden rahmen bilden wollten, war die konfrontation mit der hast und der ungeduld unausweichlich. es war schon „beeindruckend“ zu sehen, wie radfahrerInnen trotz versammelter menge partout nicht absteigen wollen und sich ihren weg mitten durch die performenden tänzerInnen bahnten. stellenweise entstanden sogar aggressionen, rempeleien inklusive, denn manche brückenquerende wollten keinesfalls sich von diesem seltsamen treiben aufhalten lassen, fussgängerInnen wie radfahrerInnen waren immer wieder das verlässliche störelement.

es passierte aber auch sonst noch vieles: da gab es die frau, die irgendwie belustigt vom tänzerischen geschehen plötzlich selbst tanzend die seiten wechselte, da gab es den unverzichtbaren japaner mit sohn, der das geschehen zwar im unaufhaltsamen vorbeigehen, aber doch zur sicherheit schnell fotografisch festhielt – die salzburgsilhouette im hintergrund war der garant für ein in jedem fall gelungenes bild.

trotzdem stimmt das ganze nachdenklich. ich selbst stellte fest, dass ich anfänglich gerne vorbeiziehenden platz machte, wenn sie mit einem „entschuldigung“, „bitte“, „sorry“ oder „xcuse me“ ihr desinteresse kundgaben. irgendwann fragte ich mich, warum diese performance, dies tänzerInnen und die zuschauerInnen weniger recht haben sollten, das „ihre“ durchzuziehen, als jene, die einfach weitergehen wollten. konsequenz war, dass ich auf somanche „sorry“-versuche mich zur seite zu schieben, ebenso mit einem „sorry“ stehenbleiben wollte. doch der strom der alltagstrotterInnen war stärker, liess sich nicht wirklich erfolgreich stoppen.

schon seltsam: 25 minuten versitzen wir locker schon mal in einem stau, aber 25 minuten den ungefähr ebensovielen akteurInnen einzuräumen – das war einfach nicht drin.

insgesamt ein wertvoller eingriff: salzburgs alltag musste – widerspenstig, aber doch – einen eingriff von künstlerInnen zur kenntnis nehmen, die tänzerInnen wiederum werden intensiv erlebt haben, welch andere welt sich „draussen“ ausserhalb der tanzhallen abspielt. dass das ganze zu einem gelungenen ganzen wurde, quasi alle beteiligten und unbeteiligten zu einem performance-prozess wurden, ist wohl dem umstand zu verdanken,  dass die irritation eben bereits teil des konzepts war.

erst waren es ja nur „irgendwelche bewegungen“ zu einer musik, die nur die tänzerInnen in ihren ipods hören konnten, von dem sich salzburg so ganz und gar nicht beeindrucken lassen wollte, als dann die musik in der wiederholung auch für alle anderen hörbar wurde, mussten alle erkennen, dass es mozart war, den salzburg wieder einmal verkannt hatte. dieses lehrstück ist den tänzerInnen gelungen.

dass die sommerszene auf diese weise die offene (performative) auseinandersetzung mit der alltagswelt zu einem festen bestandteil des programms macht, zeigt, dass das team auch nach 40 jahren szene die ansprüche nicht vergessen hat.

link zur sommerszene

es bahnt sich was an!

vergangene woche in der times-garage in salzburg: stahl_ton_bild – eine ausstellung und performance der wandergalerie. http://wandergalerie.twoday.net/

mit dieser zweiten initiative nach streetART im mai setzt das team der wandergalerie (veronika konrad, sonja schiff und rochus gratzfeld) einen weiteren impuls: wieder an einem jener zwischenräume in dieser stadt, in die wir sonst nie gekommen wären (bzw. auch nicht auf die idee, dort eine kulturveranstaltung zu vermuten). und es wird bereits jetzt programm sichtbar: unverbrauchte, frische impulse an neuen (un)orten, unvorhersehbar, unangepasst und daher wohltuend anregend.

ernsthaft, aber nicht überinszeniert, authentisch, aber nicht exhibitionistisch auch die performance von vakinore, die mit ihrer ausdruckskraft und stimmarbeit raumfordernd in diese zwischenräume einer satten kulturstadt hineinzurufen scheint.

das thema stahl_ton_bild in den ausgestellten digiprints und im video vermittelt eindrücke einer foto- und performance-aktion im stahlskulpturenpark riederbach, quasi einer pre-event-performance als gegenstück zum post-event-shooting, welches auf der homepage publiziert wird.

es vermittelt sich daher ein geschehen, das vor und nach der vernissage passiert, die gäste der ausstellung werden kurzfristig zeugen des geschehens, das aber permanent im fluss zu sein scheint.

es wird spannend, welche zwischenräume, bruchlinien und vorhers und nachhers sich noch auf tun, der fluss geht sicher weiter und wir werden wieder eingeladen werden, an der einen oder anderen interessanten stelle das fliessen zu beobachten.

mit „krampus“ wird für dezember bereits die nächste stromschnelle benannt.

ps. die einführenden worte von karl schönswetter waren sehr beeindruckend, weil sehr persönlich. die einblicke in das zurückliegende (er)leben zwischen künstlerischem vater und künstlerischem sohn waren involvierend.

flüchtling oder mensch

blackbei uns läuten immer wieder flüchtlinge an. mal brauchen sie ein paar euro, dann wieder einen tipp oder eine hilfestellung. das geht seit jahren so, mal sind es viele, dann wieder weniger. da scheint es phasen zu geben.

oft ist es auch einfach das gespräch, das kurze berichten über erlebtes, das sie sonst kaum wo loswerden können. da hören wir dann von demütigenden polizeikontrollen, wo sie auf offener strasse die hose runterlassen müssen, oder von der geburt von kindern – eigentlich ein freudiges ereignis, wenn nicht beide eltern flüchtlinge wären. oft können wir nur ein klein wenig helfen, selten wirklich was dauerhaftes bewirken. befreundete rechtsanwälte und menschen in institutionen wissen bereits, dass wir öfter mal anrufen und beraten, was in dem einen oder anderen fall gemacht werden kann.

es sind die „kleinigkeiten“ des alltags, die besonders jenen, die auf die zusage oder ablehnung ihres asylantrages warten, zu schaffen machen: heute eine rechnung über einen krankenhausaufenthalt, ein andermal eine strafe wegen schwarzfahrens im bus usw.

irgendwie bin ich froh, dass diese menschen den weg zu unserem haus finden, offensichtlich unsere adresse auch schon untereinander weitergeben. ich denke, dass wir auf diese weise fast täglich an eine realität in unserem land erinnert werden, die wir sonst nur aus den medien kennen würden. unsere „probleme“ haben gesichter, haben namen und grüssen uns freundlich.

heute war für mich ein besonders rührender moment. einer unserer „besucherInnen“ hatte von meinem sohn letzte woche erfahren, dass ich geburtstag hatte. mit dem nichts, worüber er verfügen kann, hat er es sich dennoch nicht nehmen lassen, mir heute einen aceto balsamico und eine flasche wein als geschenke zu bringen. hübsch eingepackt in geschenkpapier. und mit grüssen von NN.

ich war wirklich zu tränen gerührt, weil ich dem moment spürte, wie dankbar dieser NN. für ein paar kurze worte und ein paar euro sein musste. und immer wieder erzählt er uns, wie unglaublich fad ihm sei, dass arbeit, irgendeine arbeit für ihn das höchste wäre, natürlich auch wegen dem geld, aber auch, um die selbstachtung aufrecht erhalten zu können.

das schlimme: selbst wenn wir oder sonst jemand arbeit hätte, es wäre illegal und ein schritt richtung sichere abschiebung.

und das ist das schlimmste: manche namen, an die wir uns schon so gewöhnt haben, kommen urplötzlich nicht mehr, manchmal erfahren wir es gar nicht, manchmal erst viel später: abgeschoben, weg, draussen.

und das drama beginnt von vorne…

selektion als erlerntes prinzip

IMG_3446satSMALLüber die kürzlich von uns organisierte pecha kucha night salzburg vol1 will ich an dieser stelle nicht im einzelnen berichten, nur soviel, dass es ein aus meiner sicht wirklich sehr schöner, exemplarischer überblick über verschiedenste kreative potentiale in unserer stadt war.

was mich heute hier zu diesem eintrag veranlasst ist ein kleiner nebenschauplatz am rande dieser PKNsalzburg, der mir bis heute zu denken gibt. nach eben 11 unterschiedlichsten präsentationen im ARGEbeisl, die live band fing gerade wieder an, musikalisch die stimmung sehr positiv zu unterstreichen, da kam jemand aus dem publikum auf mich zu und fragte mich mit fast enttäuschtem ton: „wird da bei euch nicht die beste präsentation gewählt, so per abstimmung oder applaus?“

im trubel des abends hab ich die frage einfach mit nein beantwortet, später dann erst, als mir mehrfach ähnliche fragen zu diesem veranstaltungsformat auffielen, wurde ich nachdenklich:

sind wir von diversen starsuch- und grosserbruderschautdirzu-shows schon so weit „erzogen“, dass wir einfach eine simple gleichrangige abfolge von ideen, die sich nun schon gar nicht miteinander vergleichen lassen, nicht ruhig stehen lassen können? müssen wir über alles und jedes den grundgedanken des „besten“ oder des „schlechtesten“ werfen? vertragen wir keine vielfalt mehr, ohne gleich zu hierachisieren, rauszuwählen, weiterkommenzulassen oder zu streichen?

merken wir denn nicht, dass wir damit einem prinzip folgen, welches letztlich auf selektion ausgerichtet ist? auf trennung des einen (vermeintlich besseren) von den anderen (vermeintlich durchschnittlicheren)?

jedenfalls weiss ich seit diesen fragen sehr genau, warum ich eine solche abstimmung zumindest in den von uns veranstalteten pecha kucha nights niemals haben möchte. es wäre für mich einfach nicht passend.

bild: cristina colombo, paisaje movido