hinterhäusers bedenklicher kulturbegriff?

über die genervten reaktionen hinterhäusers im zusammenhang mit der politischen lage im land und die frage nach dessen kulturbegriff gab es hier und auch im DER STANDARD blog bereits erörterungen.

gegenüber thomas kramar (die presse) wurde hinterhäuser in anderer weise deutlich, denn offensichtlich fühlt er sich von fragen nach politischem kontext oder gesellschaftlichen hintergründen gestört.

„Warum befragt man nicht Primarärzte, Schuldirektoren oder Mitarbeiter eines Stadtgartenamtes zur Politik?“ (Markus Hinterhäuser 21.7.2023)

damit bestätigt sich oder besser verstärkt sich das bild eines kulturmanagers, der in der hochkultur ein sehr teures gut sieht, welches wohl kunstsinn, ästhetik, genuss und die suche nach bravour befriedigt, aber nichts mit der gesellschaftspolitischen realität zu tun haben soll, wie wenn gesellschaftliche realitäten und der umgang mit ihnen nicht unausweichlich kultur wären!

einmal mehr muss hier an die gründungsgeschichte der festspiele erinnert werden: hochkultur ist häufig eng mit der geschichte der gesellschaft verbunden. gerade die salzburger festspiele sind ohne jene wirklichkeiten, in welchen sie entstanden sind, sich später benutzen lassen mussten und dann sich wieder frei entwickeln konnten, nicht verstehbar. der gesellschaftliche kontext trägt dazu bei, traditionen zu bewahren, zu ehren und gleichzeitig sie zu überwinden, zu brechen und weiterzuentwickeln.

veranstaltungen wie die salzburger festspiele erfordern erhebliche finanzielle mittel und sonstige öffentliche unterstützung. der anscheinend verpönte gesellschaftliche kontext beeinflusst die art und weise, wie kulturinstitutionen finanziert und gefördert werden. die wertschätzung und der stellenwert von kultur im allgemeinen und das verhältnis der hochkultur im besonderen zeigen offen, wie es um eine gesellschaft steht.

das publikum ist ein wesentlicher faktor der kultur. der gesellschaftliche kontext beeinflusst, welche zielgruppen erreicht werden, wer zugang zu kulturellen veranstaltungen hat und wie diese veranstaltungen wahrgenommen werden. wenn hochkultur sich als befriedigung der wohlhabenden versteht, wie wenn nur diese die wahre kulturell interessierte gesellschaft wären, kann es nicht im öffentlichen interesse sein, diesen eliten auch noch budgetmittel zur verfügung zu stellen. öffentliche förderung darf keine umverteilung von gesellschaftlichen mitteln zu den besitzenden sein.

kultur spiegelt die werte, ideale und künstlerischen ausdrucksformen einer gesellschaft wider. der gesellschaftliche kontext kann die art und weise beeinflussen, wie kunstwerke interpretiert, geschaffen und präsentiert werden.

wovon spricht hinterhäuser?

wenn primarärzt*innen ihre patient*innen behandeln, muss es tatsächlich egal sein, welcher politischen kultur der eine oder die andere anhängt. wobei die rahmenbedingungen für eine medizin für alle schon wieder politische verhandlungsmasse sind.
schuldirektor*innen sind – wie nicht zuletzt die pandemie gezeigt hat – wohl oder übel in einem parteipolitischen spannungsfeld ausgeliefert, nicht zuletzt deshalb, weil eben genau die parteipolitik die schulleiter*innen bestellt.
und mitarbeiter*innen eines stadtgartenamtes dürfen sich der ästhetik eines mirabellgartens widmen, unabhängig davon, wie sie über ihre politischen vorgesetzten denken.

ein intendant des grössten hochkulturbetriebes aber sollte etwas mehr philosophische, soziale und politische kulturperspektiven haben, als beispielsweise die verzaubernde begeisterung über eine sensationell gesungene arie, wie sie derzeit nur eine person weltweit singen kann. derartige hochleistungsschauen sind mitunter faszinierend, dürfen sich aber nicht selbst genügen. ein intendant, der genervt auf politische fragen – und damit auf den ihn und das festival umgebende gesellschaftliche realität – reagiert und vielleicht das ideal einer „unpolitischen kunstpraxis“ verfolgt, muss wissen:

nichts ist politisch bedenklicher, als das vermeintlich unpolitische.
das gilt in allen bereichen des gesellschaftlichen lebens, daher auch in der kultur. denn es will glauben machen, dass die gesamte kultur von goethe, beethoven, van gogh, joyce bis zu fellini, picasso, chanel, kahlo, hepworth, callas oder abramović für sich isoliert, abgehoben, ohne jeglichen gesellschaftlichen kontext verstehbar oder reproduzierbar wäre.

das würde aus der hochkultur einen eliteclub von gefährlichen illusionist*innen machen, in dem das menschsein heute, hier und jetzt, nicht mehr verhandelt wird.

das wäre eine entmenschlichte kultur.
ist das
hinterhäusers bedenklicher kulturbegriff?

ps.: war es zufall? oder war es das ergebnis einer stillen vereinbarung im hintergrund? kaum eine eröffnungsfeier der salzburger festspiele war so glattgebügelt und oberflächlich, wie die diesjährige. in der angeblich „normalen mitte“ wird es schmerzhaft langweilig.

bild: ÖB berlin, CC by

Autor: bernhardjenny

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