keine toleranz für conchita

jetzt sind sie wieder voll. die timelines, die postings, die medienseiten. toleranz. mit conchita. ich bleibe dabei. conchita braucht keine toleranz.

ein mensch tritt so auf, wie sie will und wir sprechen von toleranz?
ein mensch ist hiv-positiv-diagnostiziert. braucht das meine toleranz?

mein nachbar hat ein weisses auto. ich toleriere das? ein freund läuft täglich mindestens 10 km. ich toleriere das? meine tochter ist vegan. ich toleriere das? lydia will keine kinder mehr. ich toleriere das? meine kundin färbt sich die haare neongelb. ich toleriere das? franky trägt grundsätzlich durchlochte kleidung. ich toleriere das?

toleranz. ist dann gefragt, wenn jemand in die nähe meiner persönlichen rechte kommt. wenn ausgelassene polterabendgäste in die u-bahn steigen und ich eigentlich gerade city meditation betreiben wollte. wenn wer sich wünscht, alle sollten jetzt gemeinsam einen kreistanz tanzen, und ich doch mitmache, obwohl ich dazu keine lust habe. wenn der nachbar einen grillanzünder verwendet, den ich bis zu mir her riechen kann und damit mir meinen kaffee versaut.

wer glaubt, bei conchita wurst etwas tolerieren zu müssen, behauptet damit, dass ihr auftritt allein schon den eigenen persönlichen rechten nahe gekommen wäre. und das geht zu weit. das galt bereits 2014 und gilt jetzt 2018 umso mehr.

was allerdings conchita brauchen kann: unterstützung gegen feige erpressungsversuche!

keine toleranz für conchita

 

foto: VIPevent creative commons by sa

harry p. ist der verbotemeister.

seit der wiedereröffnung des öffentlichen parks neben der glanmündung, vulgo „glanspitz“, hat sich in der stadt salzburg während der letzten jahre ein wunderbar lebendiges leben entwickelt. öffentlicher raum par excellence.

von slackline bis tischtennis, von boccia bis cricket, vom kinderspielplatz bis zu gemütlichen picknick-runden beim grill – das leben im glanspitzpark, der anlässlich der errichtung des salzach-staukraftwerks von architekt max rieder gestaltet worden war, war fröhlich und vielfältig.

rund um die natürliche fischtreppe als neu angelegtem kleingewässer herrschte ungetrübtes leben!

damit ist nun schluss.

eigentlich hätte diese stadt einen bürgermeister verdient, der sich für das leben in der stadt begeistert oder zumindest dieses nicht zu verhindern versucht.

harry p. ist aber kein bürgermeister. er geriert sich als verbotemeister. schliesslich hat er einen ruf zu verlieren. vor jahren schon war er berühmt dafür geworden, dass er bestimmten menschen das leben in salzburg „so ungemütlich wie möglich“ gestalten will.

aktuell will harry p. nun probleme und problemchen endlich so lösen, wie es ihm wohl immer schon vorschwebte: mit verboten.

der bahnhofvorplatz ist ein monument für gelebte stadtentwicklung im harryschen sinne. sämtlich sitzgelegenheiten wurden einfach entfernt, quasi „sitzen verboten“.

dass – genau so wie es expertisen vorausgesagt hatten, welche tunlichst überhört wurden – sich dadurch jene, die harry vertreiben wollte, nicht in luft auflösen, musste dieser nun zur kenntnis nehmen. ergebnis? a ja! ein verbot!

ab sofort wird es verboten sein, alkohol auf dem bahnhof vorplatz zu konsumieren, ja sogar auch nur ihn zu transportieren. ob jemand sich mit der bierdose in der hand aber nur auf dem weg zur wohlverdienten bürojause oder nach hause befindet oder aber  strafbar asozial ist, darüber wird die polizei mit „viel fingerspitzengefühl“ entscheiden dürfen. die haben ja sonst nichts zu tun.

rotwein aus der feinkostabteilung bleibt also möglicherweise straffrei (wenn der/die aufgegriffene beweisen kann, dass der/die geliebte zu hause sich schon sehnlichst auf das abendessen freut) während billiger fusel aus der angebotsschütte eher strafbar sein dürfte. (wohl weil der/die geliebte – wenn überhaupt vorhanden – illegal auf einem brunnenvorsprung hockt und nicht zur entlastung aussagen kann.)

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nun hat harrys verbotewut auch das leben am glanspitz erreicht. vor einigen tagen habe ich bereits darauf aufmerksam gemacht. die stadt salzburg reagierte nur halbherzig mit einer antwort in sachen cricketverbot und mit – sagen wir – nicht ganz richtigen angaben. denn von einer behaupteten ersatzfläche für die cricketspieler kann weit und breit keine rede sein!

dem harry ist es einfach nur zu bunt geworden, das leben. jetzt greift er durch. mit verboten.

ein trostloses bild: im park stehen zeitweise mehr verbotsplakatständer als leute herum, vereinzelt werden argumente ausgetauscht, niemand weiss genaueres.

in zeiten des modernen quartiermanagements dürfte es so ratlose behörden einer kleinen stadt längst nicht mehr geben. in gesprächen mit anrainer*innen wird das bild klar: wer zu weit fliegende (weiche!) bälle zum anlass für ein verbot nimmt, lässt erkennen, dass es nicht weit her ist mit dem interesse, den öffentlichen raum für alle zu ermöglichen. und eine anrainerin ärgert sich sehr über das grillverbot: „wer das grillen auf dem platz mit dem argument bekämpfen will, dass >>überall geparkt wird und sogar autos aus hallein (sic!) kommen<<, der müsste konsequenterweise auch die veranstaltungen auf dem messegelände verbieten.“

der unmut ist gross, der frust über die brutale beschränkung des öffentlichen raums ebenso.

dass da und dort reibeflächen entstehen, wenn menschen sich im öffentlichen raum begegnen, ist so erwartbar wie selbstverständlich. dass einer stadt allerdings nichts anderes einfällt, als mit verboten zu agieren, ist ein wirkliches armutszeugnis.

ist das einer weltkulturstadt würdig?

salzburg hat keinen bürgermeister.
harry p. ist der verbotemeister.

 

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fotos: bernhard jenny cc licence by nc

bilder und texte, die dich durchdringen

wir denken oft, dass wir abgebrüht sind und uns kaum was erschüttern kann. stimmt ja auch. vor bomben und giftgas fliehende, an ufern angespülte ertrunkene kleinkinder, erstickte in kühltransportern… die liste der bilder, die uns für ein paar sekunden zusammenzucken liessen und dann doch wieder verdrängt werden (mussten), ist lang.

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in diesen tagen habe ich nach vermutlich 50 jahren wieder ein „comic“ gelesen. allerdings nicht irgendeins. es ist eine als „graphic novel“ zusammengestellte abfolge von fotoreportagen – „ein Feldtagebuch zweier Reporter, die die EU-Außengrenzen vom afrikanischen Kontinent bis in die Arktis bereisen, um die Ursachen und Auswirkungen der europäischen Identitätskrise zu ergründen.“

in drei jahren erkundeten der fotograf carlos spottorno und der reporter guillermo abril die abgründe, die europa vom rest der welt abschotten sollen. dabei ist die bild- und textsprache des spanischen duos wohl deswegen so eindrucksvoll, weil sie nicht der versuchung erliegen, das schnelle sensationsbild, die wilde schlagzeile zu suchen, sondern nachvollziehbar in das reale geschehen an den jeweiligen zielorten ihrer reisen eintauchen und uns als betrachter*innen, leser*innen mitnehmen.

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umso kräftiger sind die bilder aus der spanischen enklave melilla auf dem afrikanischen kontinent, aus griechenland und bulgarien, von einem italienischen militärschiff der operation „mare nostrum“, aus serbien und kroatien, aus polen, ukraine, estland und schliesslich finnland.

wer dieses buch gelesen hat, wird niemals mehr das wort „eu-aussengrenze“ einfach so aussprechen oder über sich ergehen lassen. viel zu tief sind die eindrücke von lebensgefahr, tod, verzweiflung, auseinandergerissenen familien und dem dumpfen gefühl, dass wohl alles eine himmelschreiende ungerechtigkeit ist.

guillermo abril formuliert es einmal so: „Man spürt, dass irgendetwas in der Welt nicht stimmt, wenn man selber so ohne weiteres die Grenzen überschreiten kann, nur deswegen, weil man zufällig in jenem Teil geboren ist. Während die, die im anderen Teil geboren sind, dies nicht können.“

das literaturhaus salzburg widmet dem buch „la grieta“, das in deutscher sprache unter dem titel „der riss“ erschienen ist, eine hauserfüllende ausstellung.

am donnerstag, 12.4.2018 um 19:30 werde ich im literaturhaus salzburg mit carlos spottorno und guillermo abril persönlich über den werdegang der reportagen, die berührensten augenblicke und die wichtigsten erkenntnisse aus diesen drei jahren am rand der „festung europa“ sprechen. (eintritt frei)

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die vernissage zu dieser ausstellung ist gleichzeitig die eröffnung des festivals „europa der muttersprachen“, welches bis zum 30. juni 2018 im literaturhaus andauert. (mehr dazu hier in diesem programmheft)

manchmal wird es in den schilderungen der beiden entdecker von realen dramen sehr betrüblich, sehr dumpf und düster. machtblöcke und dunkle mächte werden unerträglich spürbar, stellen sich aber – selbstredend – niemals direkt vor die kamera. spitzel tauchen auf, strenge kontrollen werden zum spiessrutenlauf.

ob in den wüsten nordafrikas, in den wogen des grössten friedhofs für geflüchtete menschen, dem mittelmeer, ob an den grenzen zur türkei oder in den wäldern weissrusslands, überall schlummert eine erschütternde übermacht, die individuen, also einzelne menschen einfach so zu zermalmen droht.

gleich am anfang schildern die beiden eindringlich die beengte stimmung in der enklave melilla, die nur wenige quadratkilometer zwischen todeszäunen platz hat. am ende des buches wird klar, dass ganz europa eine enklave ist.

dennoch scheinen carlos spottorno und guillermo abril niemals den glauben an eine chance auf friedliche lösungen und konstruktive entwicklungen verloren zu haben. anders hätten sie wohl auch diese reiseberichte nicht geschafft.

zu eindringlich ist die wirklichkeit.
eine wirklichkeit in text und bildern.
bilder und texte, die dich durchdringen

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das buch „der riss“ ist 2017 im avant-verlag erschienen.

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