schallenbergs schwarze oder türkise pädagogik

welch menschenbild muss einem zugrundeliegen, wenn er von „zügel straffer ziehen“ spricht, während es um menschen, die in unserem land leben, geht? wie kann einer glauben, es würde motivieren, wenn mit „ungemütlichen“ feiertagen gedroht wird?

es ist zum fremdschämen, wie der platzhalterkanzler dem von politischen gegner*innen oft eingebrachten vorurteil, er wäre ein abgehobener und präpotenter adeliger, punktgenau entspricht. es hätte fast belustigende spannung, irgendwo zwischen nestroy und graf bobby, ginge es nicht um – im wahrsten sinne – todernstes: um den umgang der regierung mit der pandemie.

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jan böhmermann hat ein grosses problem

im aktuellen „ZDF magazin royale“ widmet sich jan böhmermann eingehend den vorkommnissen rund um tirol, ischgl und die politischen hintergründe für so manches „nicht proaktiv werden“ der verantwortlichen.

das hat wieder einmal die wogen der empörung hochgehen lassen, wenn sich so ein „preiss“ an die „schneebrunzer“ wendet. das kann einfach nicht gutgehen. per se schon nicht. und in diesem fall schon 12mal gar nicht.

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die hohe kunst der verwirrung

es gibt viele techniken der kommunikation, die nicht wirklich dem transport von aufrichtigen wahrheiten dienen. eine der königsdisziplinen können wir zum jahresbeginn freihaus beobachten:

der unheilige war ins trudeln geraten, zu schlecht die bilanzen rund um diverse massnahmen, zu heftig die proteste rund um schifahren im lockdown, testchaos und impfplanmangel.

da musste dringend abhilfe her: ziel war es offensichtlich, die opposition schlecht aussehen zu lassen und den koalitionspartner obendrein in den kommunikativen schlamm zu treiben.

also musste eine – für fachleute von haus aus als unsinnig erkannte – massnahme her, die den schön klingenden namen „freitesten“ erhalten sollte. das klingt nach „ihr seid gefangen“ und „ich befreie euch“. der dritte lockdown wurde also mit dem süss klingenden „freitesten“-zuckerl leichter verkraftbar gemacht, schon war wieder ein licht im tunnel von irgendwoher angeknipst, oder so bildeten sich das zumindest einige ein.

lang konnte das ganze nicht dauern. in einem zib2 interview spricht dann der unheilige von 48 stunden, die ein test für kulturveranstaltungen gelten sollte, von einer woche, die ein test für die gastronomie gültigkeit haben könnte. das verwirrspiel ging fröhlich weiter.

die taktik ist klar: wenn sich niemand mehr auskennt, ist derjenige im vorteil, der die verwirrung noch ankurbelt, statt ordnung in die signale zu bringen. es bringt aufmerksamkeit.

nun ist die opposition aus verschiedensten gründen nicht bereit gewesen, dem „freitesten“-gesetz zuzustimmen. das war klar, zumal eben praktisch alle fachmeinungen ein derartiges „freitesten“ für nicht wirklich sinnvoll, manche sogar für gefährlich hielten.

übers wochenende wurde das verwirrungsbild scharf gezeichnet: die opposition ist schuld. rot, pink und eine weitere partei sind schuld, dass ihr nicht frei seid, ihr müsst im lockdown bleiben, weil DIE (fingerzeig) das nicht wollen.

die presse wiederholt vielerorts diesen spin: die opposition ist verursacherin der streichung des freitestplans.

nun ist natürlich endgültige klarheit gefragt, die medien fragen nach. bereitwillig und gutmütig, wie anschober nun einmal bekannt ist, erklärt er: „es wird kein „freitesten“ geben.“ warum zahlreiche grüne nach wie vor der schnapsidee vom „freitesten“ nachlaufen, ist schwer zu erklären.

aus virologischer sicht wäre ein „freitesten“ ohnehin grober unfug gewesen. zumal das auftauchen einer noch ansteckender wirkenden virusmutation beinahe ignoriert wird. (wieder einmal ein sich später rächendes versäumnis???)

die türkisen lassen die sektkorken knallen.
eine „freitesten“-schnapsidee weckt populäre hoffnung in der bevölkerung,
die opposition wird als verhinderer der „freitesten“-schnapsidee hingestellt,
den rückzug von der „freitesten“-schnapsidde erklärt nicht der unheilige selbst, sondern bereitwillig der koalitionspartner.

also sind opposition und grüne an eurer unfreiheit schuld.

sie ist tatsächlich profitabel,
die hohe kunst der verwirrung

bild: screenshot orf by bernhard jenny

ich gehöre nicht dazu

gestern habe ich es endgültig erfahren: mein menschenbild, mein begriff von kultur ist nicht kompatibel. solidarität, empathie, gleichstellung, teilhabe, kooperation, achtsamkeit, gemeinschaft, offenheit.

viele worte, aber jedes steht für einen teil meines bildes davon, worum es mir geht, wofür ich mich einsetze, was mich in meinen aktivitäten antreibt.

in pandemischen zeiten werden wir mehr oder weniger zwingend auf unsere vorstellungen darüber, was uns wirklich wichtig ist, fokusiert, es sei denn, wir flüchten in konsumismus online oder in möbelhäusern.

der dritte lockdown ist wohl dringend angebracht, wenngleich auch eine bittere niederlage für jene, die messianisch von einem licht am ende des tunnels gesprochen haben, ohne die lokomotive des epidemiologischen weitstreckenzuges zu erkennen. wieviele menschenleben am ende auf dem altar der konsumglaubensgemeinschaft geopfert wurden, werden wir erst sehen.

hart. aber den türkisen ist ein anderes licht aufgegangen: die österreichische seele braucht für ihr seelenheil das skifahren. alle unbill ist zu ertragen, solange wir skifahren dürfen. da vergessen wir sogar die von ratten angebissenen kinder im schlamm von lesbos. skifahren, das macht die feminae alpinae und homines alpinis wirklich glücklich.

kein aphrodisiakum kommt in seiner wirkung an das heran, was skifahren kann. der beliebig wiederholbare höhepunkt, per aufstiegshilfe und dann hui und links und rechts und schwung und zack und sprung und hei, wie geil!

skifahren ist die pflichtdisziplin für jene, die ernsthaft pädagog*innen sein wollen, skifahren ist der jodelnde juchzer, für den wir alles opfern.

medizinisches personal auf intensivstationen? pflegendes personal in altenheimen? solidarität? gesundheit? ok. wirtschaft ist wichtiger. aber noch wichtiger ist skifahren. das dürfte die typischen österreicher*innen endgültig mit dem messianischen slimanzugträger und seinen apostel*innen versöhnen. die wichtigste, grösste und aktivste zielgruppe des landes wird mit dem kaiserlichen gestus des grosszügigen „untertanen, ihr dürft skifahren“ im innersten erreicht.

ich gehöre nicht dazu.

dieser blogpost ist am 24.12.2020 auf derstandard.at erschienen

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liebe supermarktkonzerne, so wird das nichts!

seit der zeit nach dem ersten lockdown gehe ich nur mehr mit maske einkaufen, seit herbst nur mehr mit FFP2 masken. abgesehen davon, dass viele menschen noch immer nicht checken, was abstand und distanz bedeutet, bekomme ich jedoch regelmässig an der kassa die krise.

von ca 30 mal einkaufen habe ich erst ein einziges mal erlebt, dass die kassierin (war wirklich kein mann drunter) die maske so getragen hätte, wie es vorgeschrieben ist. regelmässig fällt mir dann die karikatur ein, bei der ein fenster bis zur hälfte mit einem fliegengitter abgesichert ist und sich die bewohner*innen wundern, dass trotzdem fliegen reinkommen.

aber: ich habe offengestanden hemmungen, den kassierinnen vorhaltungen zu machen oder sie aufzufordern, die maske richtig zu tragen. warum ich diese hemmungen habe? weil ich meiner meinung nicht der bin, der das dem personal zu sagen hat. das wäre aufgabe der filialleitungen und der konzernleitungen. wenn diese nämlich das thema unter „is eh wurscht“ abbuchen, dann brauche ich mich nicht zu wundern, warum die mitarbeiter*innen dann sich nicht daran halten.

in zunehmendem masse wird der ursprung der ansteckungen nicht mehr nachvollziehbar. ein grund mehr dorthin zu schauen, wo die angeblich so genau eingehaltenen regeln eben nicht klappen.

jedenfalls fühle ich mich von mal zu mal unwohler.
liebe supermarktkonzerne, so wird das nichts!

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es gibt kein bettenproblem

landauf landab hören wir die diskussion über die krankenbetten, über intensivbetten, darüber ob genügend vorhanden sind oder eher nicht.

kapazitäten werden in betten angegeben, da gab es offensichtlich in den letzten tagen grosse verwirrung über höchst unterschiedliche angaben und über eine genaue zahl real in den einzelnen bundesländern zur verfügung stehender intensivbetten.

die einen zählten wohl die derzeit vorhandenen, die anderen gaben vielleicht an, wieviele insgesamt aufgestellt oder umgewidmet werden könnten und wieder andere…

wieviele betten tatsächlich bundesweit vorhanden sind, scheint wohl immer noch ein geheimnis zu sein.

wer von betten spricht oder über betten liest, wird sich das sehr schnell vorstellen können: ein krankenbett hat wohl jede*r schon einmal gesehen, ein intensivbett vielleicht nicht alle, aber wir kennen das ja aus diversen fernsehberichten, da hängen dann viele geräte links und rechts und patient*innen werden oft beatmet. also denken wir vielleicht auch noch an die sicher teuren gerätschaften und die notwendige infrastruktur, damit aus einem bett überhaupt ein intensivbett werden kann.

es ist vermutlich mehr als nur ein versehen: was uns im diskurs um diese ominösen zahlen von betten und intensivbetten völlig abhanden kommt, ist der blick auf die wichtigste und gleichzeitig knappeste ressource: mensch.

niemandem ist mit einem intensivbett gedient, wenn es dazu nicht das tatsächlich hochqualifizierte fachpersonal, die intensivkrankenpfleger*innen und die intensivmediziner*innen gibt, die nicht nur die technik zu bedienen wissen, sondern auch beurteilen, welche massnahme sich wie auf die patient*innen auswirkt.

derartiges fachpersonal ist trotz höchstem medizinischem standard in österreich nicht einfach herzuzaubern. die ausbildung kann nicht in einem schnellkurs einfach vermittelt werden, dazu braucht es eben zeit. hier können keine arbeitslosen umgeschult oder bundesheerrekrut*innen eingearbeitet werden.

im gegenteil: selbst intensivpfleger*innen und -ärzt*innen in einer unfallintenisvstation können nicht von heute auf morgen in eine infektionsintensivstation versetzt werden, denn die arbeit in einer infektionsabteilung folgt nochmals ganz anderen kriterien.

betten sind schnell herbeigeschafft. bettgestelle zusammenschrauben wäre ein leichtes. geräte einkaufen vielleicht momentan etwas teuer, aber dennoch sicher machbar.

aber die obergrenze ist eine natürliche, ein menschliche: die personalressource ist die grenze, über die so manche verantwortliche lieber nicht so laut sprechen, denn sie ist wesentlich knapper und unabänderlicher, als jede technische hürde.

was nützen uns messehallen voller betten, wenn das personal für die adäquate pflege nicht vorhanden ist. wer soll da einspringen?

es ist wohl symptomatisch für ein krankes system:
der faktor mensch wurde zulange übersehen.
es gibt kein bettenproblem

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Bild von Sven Kleinschmidt auf Pixabay

ist eigenverantwortung das gegenteil von verantwortung?

seit corona – und mit steigenden zahlen immer häufiger – erklingt das schlagwort von der eigenverantwortung. kaum für möglich hätten wir noch bis vor kurzem die zweifelhaften konsequenzen eines so harmlos klingenden wortes gehalten, die „eigenverantwortung“ so mit sich bringt.

wenn regierende dieses wort in den mund nehmen, dann hat das ziemlich oft damit zu tun, dass „der staat“ in diesen oder jenen bereich entweder nicht „hineinregieren“ will oder dies auch nicht kann. da scheint es dann nur logisch, wenn jede*r einzelne in „eigenverantwortung“ wissen muss, was zu tun oder zu unterlassen ist.

in einem neoliberalen gesamtkontext, in dem wir nun einmal stehen, liest sich dieser begriff jedoch schnell als eine fatale aufkündigung von solidarität und gemeinwohl. „eigenverantwortung“ im klassisch liberalen sinn muss zwar nicht zwingend eine entsolidarisierung bedeuten, sie legt aber das hauptaugenmerk auf die individuellen interessenslagen der einzelnen menschen.

im aktuellen diskurs über covid und den zu setzenden massnahmen bzw. die einzuhaltenden verhaltensregeln kollidieren höchstpersönliche interessen mit jenen der allgemeinheit. eine solidarische gesellschaft müsste nicht darüber diskutieren, wer nun geschützt werden soll und wer nicht, es wäre klar, dass alle das gleiche recht auf unversehrtheit und gesundheit haben.

zunehmend schleicht sich nun aber das bild der segregation ein. da sind die aktiven, wirtschaftlich tätigen und produktiven auf der einen seite und die sogenannten „vulnerablen gruppen“ auf der anderen. schnell wird dann das bild vom altersheim bemüht, von dem wir doch alle wüssten, dass dort natürlich besonders schutzbedürftige leben würden und dort müsste man natürlich ganz speziell massnahmen setzen.

aber der alltag, der soll möglichst den verinnerlichten gesetzen von produktivität und gewinnmaximierung folgen. da heisst es dann, dass „gerade jetzt, in schwierigen zeiten, das ankurbeln der wirtschaft unverzichtbar“ sei.

diese schwarzweiss-malerei ist jedoch ein bitteres bild der entsolidarisierung per se. es kündigt die „gesellschaft für alle“ auf und trennt schon mal ganz einfach menschen in funktionierende und nicht (mehr) funktionierende. fast hört man die „eigenverantwortlichen“ sagen, dass das wohl die „eigenverantwortung“ der vulnerablen wäre, wie weit sie ein risiko eingehen wollen oder nicht.

die trennung in wirtschaftlich relevante aktive und schutzbedürftige vulnerable kündigt endgültig jede empathie auf (sofern sie jemals vorhanden war). sie übersieht das recht auf teilhabe aller und die tatsache, dass eine gesellschaft immer für alle verantwortung trägt.

wie bitte? verantwortung? was soll das denn sein. „eigenverantwortung“ ja, aber verantwortung?

wie wäre die botschaft der regierenden rezipiert worden, wenn sie an die „verantwortung“ ohne dem vorangestellten „eigen“ appelliert hätte?

viele menschen, die aus diversen gründen zu den vulnerablen zählen, sind längst nicht im altersheim. zur risikogruppe gehören menschen wie du und ich in fast allen altersgruppen, die sich nun in eine fatale zwickmühle getrieben sehen:

flächendeckende achtsamkeit mit distanz, nms-maske usw. würde für diese menschen einen relativ risikoarmen umgang im alltag bedeuten, sie wären nicht gezwungen, sich ständig da und dort als risikogruppenmitglied zu outen. lückenlose achtsamkeit wäre die echte ermöglichung von teilhabe für alle.

wenn jedoch kaum die regeln konsequent eingehalten werden, wenn fahrlässig der babyelefant erdrückt wird und die maske wenn überhaupt unter der nase oder gar am kinn getragen wird, dann werden die mitglieder der risikogruppen dazu gezwungen sich ständig zu outen. „ich bitte um verständnis, aber ich bin…“ – ist das wirklich notwendig?

mehrfach kommt es dann in einer runde von menschen, die zusammentreffen zu verständnisvollem nicken, wenn sich eine person als „vulnerabel“ deklariert: „ja, wir verstehen das, kein problem, du kannst die maske natürlich weiter tragen.“ selbst aber denkt dann kaum eine*r, die maske zum schutz der vulnerablen aufzusetzen.

die ignoranz der einen beschränkt den lebensraum der anderen, die verantwortung der einen würde den lebensraum für alle offen halten. es ist erniedrigend, wenn die vulnerablen dazu gezwungen werden, ständig selbst ihren schutz einzufordern und damit zur störung der „eigenverantwortlichen community“ zu werden. klammheimlich denken sicher manche, dass ohne vulnerable die produktivität besser gesichert wäre.

die mechanismen der solidarität oder entsolidarisierung im zusammenhang mit einer pandemie sind verdammt ähnlich jenen abläufen, die aus den bestrebungen für eine inklusive gesellschaft bestens bekannt sind. selbstverständlich will niemand jemanden ausgrenzen, aber wenn es dann um tatsächliche barrierefreiheit geht, dann reden wir plötzlich wieder von kosten und aufwand, den dann „alle“ tragen müssten. die betonierten beispiele der „eigenverantwortung“ von bauherr*innen sind unzählige.

wir haben also vergessen, was solidarität und empathie in der praxis bedeutet. das hat uns der neoliberalismus erfolgreich aberzogen. jetzt denken wir nur mehr an uns selbst. ganz eigenverantwortlich.

ist eigenverantwortung das gegenteil von verantwortung?

dieser beitrag ist in leicht überarbeiteter form am 15.10.2020 auf derStandard.at erschienen

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Bild von Engin Akyurt auf Pixabay

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