vertreibung des geistigen

Das Zimmer des Philosophen L. Wittgenstein © Stefan Zenzmaier
Das Zimmer des Philosophen L. Wittgenstein in jener Villa, die nun für immer zerstört ist. © Stefan Zenzmaier

er ist nicht das erstemal. und vermutlich auch nicht das letztemal. während andernorts das kulturland salzburg hochgepriesen und öffentlichkeitswirksam dargestellt wird, wird an einem konkreten ort in oberalm das gegenteil sichtbar.

bagger zerstören nun unwiederbringlich eine villa, die von 1889 bis 1950 im besitz von paul wittgenstein und dessen familie gewesen und ab 1938 im „verzeichnis jüdischer liegenschaften“ gestanden ist, aber nicht enteignet wurde.

in dieser villa hat der philosoph ludwig wittgenstein (1889 – 1951) sein erstes hauptwerk, den „tractatus logico philosphicus“, in seine letzte fassung gebracht hat. die bauherrin und die österreichische politik billigt mit dem abriss dieser villa „die vertreibung des geistigen aus österreich und die planierung der erinnerung“, wie es die initiative „villa wittgenstein oberalm“ treffend in einer stellungnahme benennt:

Villa Wittgenstein Abriss © Stefan Zenzmaier

Die Politik (Gemeinde, Land, Bund) sah zu, wie die offenbar ausschließlich am Monetären ausgerichteten Interessen einer Hausbesitzerin nicht gestoppt wurden. Österreichisches Kulturgut wurde zerstört und die Chance, einen „Europäischen Erinnerungsort für lebendige Kultur“ zu schaffen, vertan.

Dr. Dorothea Salzer, die Urenkelin von Paul Wittgenstein, kommentiert: „Diese Zerstörung ist nicht wieder gut zu machen.”

ein ort der geistigen kultur wird durch seine zerstörung zu einem symbol für den umgang mit dem kulturellen erbe. speziell dann, wenn es sich um ein erbe handelt, an das sich viele gar nicht gerne erinnern mögen.

alle dankenswerten bemühungen von christa hassfurther, norbert mayr, karl müller und stefan zenzmaier sind mit ignoranz der verantwortlichen gestraft worden.

dadurch wird aus dem ehemaligen standort ein anschauliches beispiel für die nachhaltige
vertreibung des geistigen

Villa Wittgenstein © Stefan Zenzmaier

mehr unter www.villa-wittgenstein.net

 

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alle fotos © stefan zenzmaier

der feind des terrors ist freiheit

deshalb darf man sie nicht einschränken. wenn die exekutive grundrechte als hemmschuh empfindet, dann ist was faul

für manche mag es logisch erscheinen, wenn die französische regierung offiziell den europarat davon in kenntnis setzt, dass sie unter berufung auf artikel 15 (abweichen im notstandsfall) die menschenrechtskonvention teilweise aussetzt. (siehe artikel im standard) sogar genugtuung in der bevölkerung kommt vor. endlich – so der eindruck – wird die politik etwas effektives gegen den terror unternehmen und hart durchgreifen. verhaftungen und hausdurchsuchungen von gerade mal verdächtigen ohne richterlichen beschluss – das scheint harmlos zu sein. ist es das wirklich?

ausgerechnet in jener stadt, in der die generalversammlung der vereinten nationen am 10. dezember 1948 die un-menschenrechtscharta genehmigt und verkündet hat, werden nun nach den jüngsten terroranschlägen ebendiese menschenrechte vorübergehend „ausgesetzt“. damit ergibt sich die pariser regierung der hauptforderung der terroristen. denn jene freiheiten und grundrechte, die eben gerade durch die erklärung der menschenrechte garantiert werden, sind die grundsäule unserer demokratischen ordnungen. wenn diese freiheiten nur zu schönwetterzeiten gelten und schnell mal abgedreht werden können, war der terror erfolgreich.

situationselastische grundrechte

es scheint im trend zu liegen, unverrückbares, grundsätzliches einfach bedarfsorientiert oder situationselastisch zu relativieren. asyl auf zeit, menschenrechte pausiert, armutsreisende nur in bestimmten zonen – die reihe der rücknahme von grundrechten nach lust und laune der mächtigen ist so angesagt, dass es kaum mehr jemanden aufregt. grundrechte gelten dann, wenn wir dafür zeit haben und es gerade nicht anstrengend ist, sie einzuhalten – ist das die botschaft?

solche relativierungen könnten sich aber rächen. denn es kündigt die verbindlichkeit, die unteilbarkeit und die ernsthafte verpflichtung auf. weder politische autoritäten oder gesellschaftliche institutionen noch einzelpersonen müssen sich daran gebunden fühlen. es wird alles relativiert.

freiheit nicht einschränken

der feind des terrors heißt freiheit. diese freiheit freiwillig einzuschränken, um den terror zu bekämpfen, kann niemals der weg sein. wenn sich kein richter findet, der eine inhaftierung oder hausdurchsuchung für rechtens hält, dann hat sie auch nicht stattzufinden. wer einem richter nicht erklären kann, warum eine polizeiaktion stattfinden muss, darf sie auch nicht befehlen. wenn die exekutive rechtsstaatlichkeit und grundrechte als hemmschuhe empfindet, dann ist was faul – nicht nur in paris.

eine alte strategie gegen den terror war, niemals mit terroristen zu verhandeln. wer aber genau jene freiheit preisgibt, gegen die sich der terror richtet, ergibt sich gleich, ganz ohne jede verhandlung. paris ergibt sich dem terror. (bernhard jenny, derstandard.at, 27.11.2015)

maria, maria!

<a href="https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Maria_Vassilakou.jpg#/media/File:Maria_Vassilakou.jpg">Maria Vassilakou</a>“ von Die Grünen Wien - <a rel="nofollow" class="external free" href="https://wien.gruene.at/mariavassilakou/pressefoto-print-300dpi-cmyk-maria-vassilakou.jpg">https://wien.gruene.at/mariavassilakou/pressefoto-print-300dpi-cmyk-maria-vassilakou.jpg</a>. Über <a href="https://commons.wikimedia.org/wiki/">Wikimedia Commons</a>

vor einigen wochen

nein, das hab ich nicht so gemeint, damals vor ein paar wochen. das war ganz anders zu verstehen. nicht wörtlich. ja ich hab zwar gesagt, dass… aber das ist ja eher symbolisch, also irgendwie indirekt, jedenfalls jetzt ist das für mich klar.

nein, ich trete natürlich nicht zurück und das wird auch keinen schatten werfen, das ist ja nur einmal eine aussage gewesen, da muss nicht alles gleich in die waagschale. also nein. sie werden sehen, dass das alles wieder in die normalen laufbahnen kommt.

konsequenzen, nein. warum? ich habe zwar damals das gesagt, aber wie gesagt, das war nur so dahingesagt und deshalb ist das jetzt eben klarerweise nicht so. klar?

wenige tage später

nein, das hab ich nicht so gemeint, da bei dem interview. ich meinte da zwar, dass man langsam, aber sicher an die grenzen stossen werde, dass die schmerzgrenze erreicht sein wird. aber das ist ja eher symbolisch, also irgendwie indirekt, jedenfalls jetzt ist das für mich klar.

nein, ich spreche natürlich nicht über obergrenzen und das wird auch keinen schatten werfen, das ist ja nur einmal eine aussage gewesen, da muss nicht alles gleich in die waagschale. also nein. sie können sehen, dass ich gleich gestern auch alles widerrufen habe. ich bin gegen obergrenzen.

konsequenzen, nein. warum? ich habe das zwar gestern gesagt, aber wie gesagt, das war nur so dahingesagt und inwischen ist das jetzt eben klarerweise nicht so. klar?

frage

wird da ein muster erkennbar, oder ist das bloss zufall?

maria, maria!

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foto: "Maria Vassilakou" von Die Grünen Wien - pressefoto. Über Wikimedia Commons

tausche parlament gegen facebook-gruppe

Girls Day 2015 im Parlament

 

das budget wurde heute abgesegnet. war das aber spannend. tagelange diskussionen münden in den längst absehbaren ergebnissen. ist das lebendiger parlamentarismus?

niemand musste mehr überzeugt werden, von denen, die dafür stimmten. niemand konnte von seiner ablehnung abgebracht werden, von jenen, die dagegen stimmten.

sind die zwei stimmen weniger für häupl oder gar die mehrstimmen für gudenus in wien etwa das höchste mass an freiem stimmverhalten?

das ergebnis der heutigen abstimmung war eigentlich sogar schon längst vor ausformulierung des budgets klar. kein wettbüro hätte quoten für einen anderen ausgang ausgelobt.

wenn dem so ist, dann sparen wir uns doch das parlament. die diskussionen könnten ebenso in einer facebookgruppe von zuhause aus geführt werden. mit parteipolitisch eingefärbten profilbildern und lustigen kommentaren darunter. regierung postet, opposition kommentiert, opposition postet, regierung kommentiert. und wir können alle zuschauen und mitlesen.

wie die abstimmung ausgeht ist ohnehin klar. ob im parlament, oder in der facebookgruppe. zweiteres ist viel billiger 😉

social parlamentarism.
könnte cool sein, könnte neue zielgruppen begeistern, könnte interaktiver werden. aber solange ohnehin ausgemacht ist, wie es ausgeht, wird selbst das nichts nützen. abgekartete spiele sind dort und da fad. abgekartete spiele sind aber zu teuer im real life, dann lieber ressourcenschonend, oder?

tausche parlament gegen facebook-gruppe

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foto: spö presse und kommunikation cc licence by sa

menschenrechte haben keine farbe.

aus dem bericht „der bürgermeister will das eben nicht“ *) von wolfgang rössler in der NZZ.at kommt klar hervor, dass hier menschen zum gegenstand einer verhinderungs- und kompromisspolitik werden: sepp schellhorns initiative war im mai noch vielen hochwillkommen, wohl auch aus einer politischen drucksituation heraus. der bürgermeister bad gasteins wurde vermutlich voreilig im mai mit einer zusage des landeshauptmanns wilfried haslauer kalmiert, dass das ganze im dezember vorbei sei. wenn der bürgermeister nun das ende der zusammenarbeit mit schellhorn einfordert, muss die damalige zusage hinterfragt werden.

um einen klaren blick für die situation zu schaffen, lassen wir einmal die farben schwarz, grün und pink ausser acht:

kann es wirklich sein, dass verträge, die bestmöglich erfüllt wurden und als good-practice-beispiel weit hinaus gelten können, einfach nicht verlängert werden, obwohl das gegenständliche projekt einer auch von der landesregierung selbst erkannten humanitären verpflichtung nachkommt?

mit dieser seinerzeitigen zusage haslauers an den bürgermeister und der beendigung des vertrags mit schellhorn würde ein eigenartiges bild entstehen: manche bürgermeister sind es, die in sachen flüchtlingsunterkünfte vertragstreu bleiben, andere können es sich aussuchen, ob ihre gemeinde „dran kommt“ oder nicht. ein fatales signal, das sich noch hart gegen die wohl ehrlichen bemühungen auch der im land verantwortlichen wenden könnte.

das land hat mit vielen, sehr unterschiedlich motivierten partner_innen in sachen unterkünfte zu tun. wenn verträge von besonders engagierten betreiber_innen trotz guter umsetzung beendet werden können, dann ist das nochmal ein bedenkliches signal: wer wird sich dann noch um gute betreuung und faire unterkunftsbedingungen kümmern, wenn ganz sachfremde motive darüber entscheiden, ob jemand einen vertrag verlängert bekommt oder nicht?

es ist ein trauerspiel. wenn menschen zum spielball politischer abmachungen werden, dann ist das immer dramatisch. aber wenn flüchtlinge hin- und herverschoben werden, weil die einen oder anderen die humanitäre verpflichtung nicht wahrhaben wollen, dann ist das ein klarer verstoss gegen die menschenrechte. ungeachtet welche parteifarben da mitspielen.

menschenrechte haben keine farbe.

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gastkommentar von bernhard jenny auf NZZ.at vom 18.11.2015

*) kurzinhalt des artikels: „Die Salzburger Grünen-Landesrätin Martina Berthold dreht aus Koalitionsräson ein Flüchtlingsprojekt von NEOS-Politiker Sepp Schellhorn ab. Das hat Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) dem Bürgermeister von Bad Gastein versprochen. Nun klagt Schellhorn: Er will die Macht der Bürgermeister brechen.“

wenn diversität keinen platz hat, hat der terror gewonnen

„pray for paris“, „don’t pray“, das blau-weiß-rote profilbild: in social media wird gestritten, wie man trauern soll

die social-media-community beschimpft sich gegenseitig. posten die einen in betroffenheit „pray for paris“, antworten die anderen „don’t pray“ mit verweis darauf, dass anscheinend die religionen die wurzel allen übels, daher auch des terrors seien. andere wiederum färben ihr profilbild blau-weiß-rot in solidarität mit den opfern der anschläge, schon kommen jene, die darin eine falsche solidarisierung mit der kriegführenden nation frankreich und überhaupt mit nationalismen sehen.

trauer um die toten ist auch nicht so einfach. „wenn ihr um die toten von freitag trauert, warum trauert ihr nicht um jene vom donnerstag in beirut, um jene vor monaten in kenia, um jene in syrien, palästina, israel oder sonst noch wo?“

moralische keulen

manche scheinen sich also das recht herauszunehmen, anderen menschen ihre betroffenheit vorzuschreiben. dass anschläge in unmittelbarer gefühlter nähe schneller betroffen machen als anschläge in vermeintlich sicherer entfernung, ist wohl verständlich, wird aber zum ziel moralischer keulen der selbstdefinierten politischen korrektheit.

kann es also wirklich sein, dass sich manche das recht herausnehmen, das trauern, das beten, das weinen zu verbieten, solange es nicht auf absolute weltgerechtigkeit durchdekliniert ist? muss ich also das nächste mal, wenn ich zu einem tödlichen verkehrsunfall komme, meine betroffenheit zurückhalten angesichts der tausenden toten, die es sonst wo auf der welt gibt?

darf ich mein profilbild bearbeiten, wie es mir gerade passt, oder soll ich vorher hundert reflexionsschleifen durchlaufen, damit mir klar wird, dass eigentlich jedes symbol, jede reaktion ob ihrer individuellen verkürzung auch genauso falsch sein kann? ist meine spontanität also immer verdächtig?

social media sind schnell – und voller emotionalität

die social-media-community ist schnell. sehr schnell. und sie verbreitet sowohl wichtiges wie banales. wenn aber die plattformen einigermaßen sinnvolle kommunikation ermöglichen sollen, dann müssen wir uns emotionalität zumuten. da haben angst und sorge ebenso platz wie humor und satire.

wenn aber manche glauben, anderen vorschreiben zu können, wie gefälligst richtig getrauert und korrekt protestiert wird, dann wird jene diversität verloren gehen, die soziale medien brauchen. es muss meine höchstpersönliche entscheidung bleiben, in welcher form ich betroffenheit und trauer ausdrücke. das können weder religionsgemeinschaften noch säkularisierte meinungsvertretungen diktieren. wenn diversität keinen platz hat, hat der terror gewonnen. (bernhard jenny, derstandard.at, 17.11.2015)

dringende nachricht an die regierung: der winter kommt!

foto: wuhuu cc licence by sa

klar, damit konnte niemand rechnen, das ist wirklich eine echte überraschung. aber bevor die information bei euch gar nie ankommt, hier die eilmeldung für die gesamte regierung!

während die situation in traiskirchen aus dem fokus der öffentlichen wahrnehmung geraten ist (hat sich dort eigentlich was geändert?), während alle an die grenze spielfeld schauen, wo sündteure grenzzäune die kleingeister unserer länder beruhigen sollen, zeigt ein blick in die wetterprognosen eines: spätestens in einer woche wird es kalt! der winter kommt auch heuer wieder!

was hat sich die regierung nun in den letzten monaten und wochen überlegt? wird der winter euch absolut überraschen? oder überlegt ihr den grenzzaun zu beheizen? was passiert mit all den menschen in notunterkünften wie zelten und folientunnels, was passiert mit menschen, die im freien ungeschützt auf einlass warten? was passiert, wenn decken, kartons und mützen nicht mehr reichen? was passiert, wenn lebensgefahr herrscht?

gehen uns menschen, die erfrieren könnten, erst dann etwas an, wenn sie unser „staatsgebiet“ betreten haben? werden unsere grenzbehörden zusehen, wie menschen auf der anderen seite des zauns erfrieren? oder ist das pressestatement mit der überschrift „dafür sind die slowenischen behörden zuständig“ schon fertig vorformuliert? braucht es also nur mehr das datum? ist das vielleicht der tiefere beweggrund für grenzzäune? damit im falle des falles klar ist, dass die menschen auf der anderen seite waren???

manche, die in den untiefen unseres kulturkreises etwas bewandt sind, feiern bald einmal ein fest des lichts, das in die dunkelheit hoffnung und freude bringt, ja es geht sogar um herbergssuche einer familie mit einer hochschwangeren frau und die geburt eines kleinen kindes in einer notunterkunft. klingelts?

oder hängt ihr eure politische verantwortung als leere kugeln in den maschendrahtzaun, eisig, kalt und lebensbedrohlich?

dringende nachricht an die regierung: der winter kommt!

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bild: wuhuu cc licence by nc