zu traumatisiert um bleiben zu dürfen?

seit 7 jahren lebt eine tschetschenische familie in salzburg. der sohn der familie ist geborener pongauer: er ist vor 6 jahren in schwarzach auf die welt gekommen und besucht seit 2009 den kindergarten eines kleinen ortes im pongau. der bub hat sich in den letzten jahren gerade durch diesen kindergartenbesuch freundesbeziehungen aufgebaut.

zu tschetschenien hat er keinen bezug, keine kontakte und verbindungen. aber weil selbst in einem verfahren auf humanitäres bleiberecht die psychische beeinträchtigung seiner eltern nicht berücksichtigt wird, erwartet nun die ganze familie eine massive gefährdung durch deportation.

die kleinen erfolge jahrelanger engagierter psychologischer betreuung würden von einem tag auf den anderen zunichte gemacht und eine neuerliche traumatisierung in kauf genommen: kriegserlebnisse, verschleppungen, verhöre, gewalt, folter, ermordungen von familienangehörigen etc… – die bisherigen traumatisierungen sind mittlerweile von mehreren behandelnden ärztInnen/psychiaterInnen diagnostiziert und bestätigt worden.

durch die intensive psychosoziale begleitung und psychotherapeutische und auch psychiatrische unterstützung wurde es der familie erstmals möglich, fortschritte bei der bewältigung der traumatisierung zu machen und positive Schritte in richtung integration zu setzen. im jänner 2011 absolvierte der vater positiv eine ‚schnupperwoche’ im verein member, und er könnte, sobald er einen positiven aufenthaltstitel und eine arbeitsbewilligung hätte, in diesem arbeitsprojekt beginnen. weiters besucht er seit november 2010 einen deutschkurs in st.johann. beide Eltern lernten in den vergangenen wochen für die deutschprüfung auf A2-niveau.

aber das scheint niemanden zu rühren.

schon im asylverfahren, in dem eine traumatisierung eigentlich schutzwürdigkeit bedeuten würde, wurde diese psychische beeinträchtigung zum „stolperstein“ für die eltern. beide waren aufgrund ihrer erkrankung dem „prüfungsverfahren“ auf asylrelevante gründe nicht gewachsen. traumatisierte menschen sind mit der `formal-juristischen’ sprache der einvernahmen völlig überfordert. auch das ganze prozedere rund um eine antragstellung (fingerabdrücke, foto, usw.) verunsichert und ängstigt traumatisierte personen und führt zu massiven beeinträchtigungen aller kognitiven funktionen.

auch im niederlassungsverfahren wird die psychische problematik wieder zur hürde. bei der beurteilung des grades an integration wird die psychische verfasstheit der eltern zu wenig berücksichtigt. eigentlich wird von traumatisierten menschen, aus einem völlig anderen kulturkreis, ein überforderndes maß an integration verlangt. nach dem verlassen der heimat, dem kappen aller familiärer und sozialer wurzeln, mit der angst im nacken, sind sie hier, in einer völlig fremden kultur, mit einer völlig fremden sprache, gefordert, aktiv, von sich aus ihre integration zu betreiben, und dies unter erschwerten bedingungen, wie z.b. fehlender freier zugang zum arbeitsmarkt. die psychische beeinträchtigung wurde jahrelang nicht erkannt und blieb (aufgrund fehlender therapeutischer möglichkeiten) unbehandelt.

laut auskunft der fremdenpolizei st. johann wird der familie keine niederlassungsbewilligung erteilt werden, d.h., dass die ausweisung (entweder „freiwillige rückkehr“ oder zwangs-abschiebung) veranlasst wird.

eine ausweisung würde unabsehbare folgen für diese familie haben: die jetzige zumindest relative sicherheit würde völlig verloren gehen, dies würde zu einer psychischen destabilisierung führen. eine adäquate behandlung, im sinne eines sozialpsychiatrischen gesamtkonzeptes ist im herkunftsland nicht möglich. dies birgt die gefahr der massiven verschlechterung des gesundheitszustandes der eltern bis hin zur völligen eskalation. zudem bedeutet eine abschiebung eine massive und direkte gefährdung des kindes, da keine strukturen zur begleitung, betreuung und psychotherapeutischen behandlung des kindes gegeben sind.

diese familie braucht dringend eine sichere perspektive!

die verbesserung des gesundheitszustandes in den vergangenen monaten zeigt, dass es sehr wohl möglich ist, mit dem nötigen psychosozialen netz im hintergrund zur arbeitsfähigkeit und zur selbsterhaltungsfähigkeit zu gelangen.

es ist blanker zynismus, wenn menschen, die schwerstens traumatisiert sind, wegen kaltblütiger amtsbetätigung neuerlich misshandelt werden. es ist nicht hinzunehmen, dass diesem kind seine heimat (die einzige, die es bis jetzt kennt!) genommen wird, weil seine eltern aus schlimmster not zu uns geflohen sind.

und irgendwann ist es auch egal, wer in welchen amtstuben eigentlich zuständig wäre und wer nicht. ALLE politikerInnen, die diesem treiben auch nur passiv zusehen, machen sich mitschuldig. aber was heisst das heute schon noch?

was verlieren wir, wenn wir diese familie bei uns leben lassen?
was gewinnen wir, wenn wir sie deportieren und damit zerstören?

heissen wir diese menschen willkommen!

justizbrennt, frau karl!

beatrix karl (foto: michael thurm cc flickr)

eigentlich unvorstellbar: da wird der 19jährige dario d. (warum, tut eigentlich nichts zur sache, aber es war lt. pressemeldungen eine lapalie) in untersuchungshaft genommen, doch niemand erfährt davon.

seine familie sucht den jungen mann, der plötzlich verschwunden ist, vergeblich. anfragen bei der polizei blieben ebenso erfolglos. mehr als 2 wochen sind die angehörigen von dario d. verzweifelt. bis sich dario d. im gefängnis in einem fernsehbericht über sein verschwinden selbst entdeckt!

das ist ein skandal. offensichtlich ist es möglich, dass menschen in unserem justizsystem wie in einem mittelalterlichen verlies verschwinden – und niemand erfährt es.

dass aber nun die behörden der familie keinen besuch ihres vermissten angehörigen erlauben, ist nochmal ein skandal. dadurch wird das mittelalterliche verlies noch tiefer, noch unheimlicher und noch unmenschlicher.

so etwas darf in einem angeblichen „rechtsstaat“ nicht vorkommen.

dass das alles aber keine wirklichen und schon gar keine grundsätzlichen konsequenzen haben wird, ist teil des unsystems.

frau karl, nach unibrennt brennt nun die justiz!
welches ressort verbrennen sie als nächstes?

justizbrennt!

ps. böse zungen, aber nur wirklich ganz böse, sprechen davon, dass der junge dario d. vermutlich tagelang nicht „präsentabel“ war, wohl zu körpernah amtsbehandelt. und dass deshalb auch jetzt noch kein besuch möglich wäre. aber das sind wie gesagt nur böse, ganz böse gerüchte. solche entstehen aber genau dann, wenn wo was vertuscht und verpfuscht wird…

bild: michael thurm (flickr creative commons)

eine abschaffung. und ein mehr.

der verein talktogether hat mich eingeladen ein paar gedanken zur eröffnung des flüchtlingsfestes 2011 am samstag, 11.6.2011 in der argekultur salzburg zu sagen. das habe ich dort gesagt:

willkommenenfest argekultur 11.6.2011

in salzburg lebende flüchtlinge sind heute gastgeberInnen.
„die flüchtlinge feiern, wir feiern mit.“
so lautet der titel des heutigen festes.
ich lese nochmal:
„die flüchtlinge feiern, wir feiern mit.“
und nochmal:
„die flüchtlinge feiern, wir feiern mit.“

ich möchte euch alle einladen, dieses heutige fest zum anlass zu nehmen, etwas abzuschaffen und etwas anderes mehr werden zu lassen.
ich spreche vom wort „flüchtling“ und vom wort „feiern“.

flüchtling.
dieses wort möchte ich abschaffen.
ich möchte es überflüssig machen.

ihr sollt keine flüchtlinge mehr sein.
ihr wart lange genug flüchtlinge.
ihr sollt hier bei uns wirklich nicht mehr flüchtlinge sein müssen.

flüchtling
– bezeichnet das, was hinter euch liegt, das vergangene.

flüchtling
– erzählt uns über die vielen schrecklichen dinge, die ihr erleben und überleben musstet, über die gründe, die schlimm genug gewesen sein müssen, alles hinter euch zu lassen und aufzubrechen. aus der verzweiflung in richtung hoffnung.

flüchtling – dieses wort wird hier bei uns viel zu oft von jenen in den mund genommen, die in euch eine gefahr und eine belastung sehen. es ist ganz einfach, einem „flüchtling“ alles mögliche zu unterstellen. „flüchtling“ ist schnell eine identität für jene, die keine wirkliche identität haben dürfen.

wie gesagt, ich lade euch alle ein, das wort flüchtling abzuschaffen.

das soll nicht heissen, dass wir ignorieren oder vergessen wollen, warum und dass ihr hier nicht freiwillig bei uns seid.

wir müssen uns auch bewusst machen, dass die gründe, die euch hierher kommen haben lassen, immer auch mit uns zu tun haben, ja oft sehr nachvollziehbar mit jenem system zu tun haben, von dem wir profitieren und viele, sehr viele andere verlieren.

es wäre auch nicht richtig, weil sehr naiv, so zu tun, als hättet ihr ohnehin die gleichen chancen, wie alle anderen auch, als wäre alles an schwierigkeiten schon vorbei und überwunden.
aber ich will nicht mehr „flüchtling“ zu euch sagen, sondern „willkommene“.

wir streichen das wort „flüchtling“ und sagen „willkommene“ zu euch.

ich glaube, es ist wesentlich, die bilder in unseren köpfen zu verändern.
nur dann kann sich auch in der wirklichkeit etwas verändern.

wenn wir euch als „willkommene“ bezeichnen, dann ist das auch programm für unser handeln:

willkommene – lassen wir uns nicht einfach wegnehmen.
willkommene – dürfen damit rechnen, wirklich aufgenommen zu werden.
willkommene – gehören zu uns.

wesentlich ist auch, dass alle willkommen sind.
alle, die grund genug hatten, alles aufzugeben um hier bei uns in sicherheit ein leben aufzubauen, alle die da sind, um zu bleiben. ich kann und will mir kein recht nehmen, zu entscheiden, wer willkommen sein soll und wer nicht.

es muss also auch egal sein, ob euer schicksal den medien bekannt ist oder nicht, ob journalistinnen über euch schreiben oder nicht, ob politikerinnen euch kennen oder nicht, ob ihr sympathisch oder zurückgezogen, laut oder leise, gesprächig, lächelnd, trauernd oder depressiv, kraftstrotzend oder krank, schwach oder sportlich, ob ihr jung seid, oder älter, ob ihr christen, moslems oder sonst religiös seid oder euch keiner religion zugehörig fühlt, ob ihr herausragende fähigkeiten habt oder bisher keine bildung hattet, welche visionen euch antreiben, welche träume ich habt, ob ihr hetero-, homosexuell, ob ihr frau, mann oder transgender seid, ob ihr familie und kinder habt oder ganz allein da seid.

ihr seid alle willkommen. kein mensch ist illegal.

das wars mit der abschaffung.

und nun noch zum „mehr“ werden lassen:

wenn nun nach erfolgreicher abschaffung dieses fest nun neu heisst:

willkommene feiern, und wir feiern mit!

dann erleben wir sofort, wie schnell
die abschaffung den mehrwert dieses festes steigert,
wie „feiern“ eine neue qualität bekommt.

oft genug müssen wir über die traurigen zustände sprechen,
die euer hiersein gefährden.

oft genug sind wir gezwungen uns alles mögliche und unmögliche einfallen zu lassen, um euch hier bei uns bleiben zu lassen.

wenn wir nun alle gemeinsam feiern,
dass ihr willkommen seid,
dann können wir aus solchen festen genau jene kraft schöpfen,
die wir alle brauchen werden,
um etwas zu verändern.

wir bedanken uns bei euch,
ihr verändert unsere welt durch euer hier sein.

lasst uns das feiern.

UPDATE: todesmeldung war falschmeldung

auch wenn ich darauf hingewiesen habe, dass die meldungen noch unbestätigt sind, so muss ich mich dennoch für die verbreitung der falschmeldung entschuldigen! indymedia und andere hatten die meldung des forums ebenso wiedergegeben, das war für mich anlass, zu informieren. schade, wenn mit solchen nachrichten gezielte desinformation betrieben wird und schade, dass ich reingefallen bin.

die dementi sind zwar ebenso unbestätigt, häufen sich jedoch in einem ausmass, dass sie wesentlich glaubwürdiger erscheinen, als die schreckensmeldung, die von keiner weiteren seite bestätigt werden konnte.

wollen wir hoffen, dass das auch so ist.

hier dier ursprüngliche text dieses eintrags:

EILMELDUNG: #spanishrevolution beklagt tod eines „indignado“

einer jener aktivistInnen, die vor wenigen tagen auf brutalste weise von der „plaza la cataluña“ in barcelona von der polizei geschlagen und verletzt wurden, ist gestern an seinen verletzungen verstorben. lt. einer – allerdings derzeit noch unbestätigten – meldung im „alternativen forum für politik“ hatten die massiven schläge der „mossos“ dem demonstranten die leber und lunge so schwer zerstört, dass er dies nicht überleben konnte.

ein video zu dieser brutalen aktion der polizei:

unerträglich.

foto: creative commons flickr konqui

ich werde mich nicht daran gewöhnen. und will es auch nicht.

es läutet am gartentor. ich sehe einen menschen, der bettelt. er zieht von haus zu haus. meine paar euros will er nicht, er macht mir deutlich, er und seine familie hätten einfach hunger.

also schnell die hilflosigkeit in ein sackerl gepackt: reis und tomatensosse, käse, brot, äpfel und pfirsiche. dankbare blicke, ein händeschütteln und irgendwie die gewissheit, dass er weiss, er kann wieder kommen.

zurück in meinem haus überfällt es mich. unverständnis, ratlosigkeit und wut.

kann es sein, dass wir in der reichsten gegend der welt leben, mitten im wirtschaftsboom nach der „krise“ und menschen um essen betteln müssen?

kann es sein, dass menschen ihre herkunft mit hungern bezahlen müssen?

kann es sein, dass wir menschen erniedrigen und diskriminieren, weil sie ihre ethnischen wurzeln nicht verstecken können?

wollen wir, dass unsere gesellschaft betteln verbietet, anstelle diesen menschen in die augen zu sehen?

nein, ich werde mich nicht daran gewöhnen. und will es auch nicht.

wie kommen wir aus dieser unerträglichkeit heraus?