ist eigenverantwortung das gegenteil von verantwortung?

seit corona – und mit steigenden zahlen immer häufiger – erklingt das schlagwort von der eigenverantwortung. kaum für möglich hätten wir noch bis vor kurzem die zweifelhaften konsequenzen eines so harmlos klingenden wortes gehalten, die „eigenverantwortung“ so mit sich bringt.

wenn regierende dieses wort in den mund nehmen, dann hat das ziemlich oft damit zu tun, dass „der staat“ in diesen oder jenen bereich entweder nicht „hineinregieren“ will oder dies auch nicht kann. da scheint es dann nur logisch, wenn jede*r einzelne in „eigenverantwortung“ wissen muss, was zu tun oder zu unterlassen ist.

in einem neoliberalen gesamtkontext, in dem wir nun einmal stehen, liest sich dieser begriff jedoch schnell als eine fatale aufkündigung von solidarität und gemeinwohl. „eigenverantwortung“ im klassisch liberalen sinn muss zwar nicht zwingend eine entsolidarisierung bedeuten, sie legt aber das hauptaugenmerk auf die individuellen interessenslagen der einzelnen menschen.

im aktuellen diskurs über covid und den zu setzenden massnahmen bzw. die einzuhaltenden verhaltensregeln kollidieren höchstpersönliche interessen mit jenen der allgemeinheit. eine solidarische gesellschaft müsste nicht darüber diskutieren, wer nun geschützt werden soll und wer nicht, es wäre klar, dass alle das gleiche recht auf unversehrtheit und gesundheit haben.

zunehmend schleicht sich nun aber das bild der segregation ein. da sind die aktiven, wirtschaftlich tätigen und produktiven auf der einen seite und die sogenannten „vulnerablen gruppen“ auf der anderen. schnell wird dann das bild vom altersheim bemüht, von dem wir doch alle wüssten, dass dort natürlich besonders schutzbedürftige leben würden und dort müsste man natürlich ganz speziell massnahmen setzen.

aber der alltag, der soll möglichst den verinnerlichten gesetzen von produktivität und gewinnmaximierung folgen. da heisst es dann, dass „gerade jetzt, in schwierigen zeiten, das ankurbeln der wirtschaft unverzichtbar“ sei.

diese schwarzweiss-malerei ist jedoch ein bitteres bild der entsolidarisierung per se. es kündigt die „gesellschaft für alle“ auf und trennt schon mal ganz einfach menschen in funktionierende und nicht (mehr) funktionierende. fast hört man die „eigenverantwortlichen“ sagen, dass das wohl die „eigenverantwortung“ der vulnerablen wäre, wie weit sie ein risiko eingehen wollen oder nicht.

die trennung in wirtschaftlich relevante aktive und schutzbedürftige vulnerable kündigt endgültig jede empathie auf (sofern sie jemals vorhanden war). sie übersieht das recht auf teilhabe aller und die tatsache, dass eine gesellschaft immer für alle verantwortung trägt.

wie bitte? verantwortung? was soll das denn sein. „eigenverantwortung“ ja, aber verantwortung?

wie wäre die botschaft der regierenden rezipiert worden, wenn sie an die „verantwortung“ ohne dem vorangestellten „eigen“ appelliert hätte?

viele menschen, die aus diversen gründen zu den vulnerablen zählen, sind längst nicht im altersheim. zur risikogruppe gehören menschen wie du und ich in fast allen altersgruppen, die sich nun in eine fatale zwickmühle getrieben sehen:

flächendeckende achtsamkeit mit distanz, nms-maske usw. würde für diese menschen einen relativ risikoarmen umgang im alltag bedeuten, sie wären nicht gezwungen, sich ständig da und dort als risikogruppenmitglied zu outen. lückenlose achtsamkeit wäre die echte ermöglichung von teilhabe für alle.

wenn jedoch kaum die regeln konsequent eingehalten werden, wenn fahrlässig der babyelefant erdrückt wird und die maske wenn überhaupt unter der nase oder gar am kinn getragen wird, dann werden die mitglieder der risikogruppen dazu gezwungen sich ständig zu outen. „ich bitte um verständnis, aber ich bin…“ – ist das wirklich notwendig?

mehrfach kommt es dann in einer runde von menschen, die zusammentreffen zu verständnisvollem nicken, wenn sich eine person als „vulnerabel“ deklariert: „ja, wir verstehen das, kein problem, du kannst die maske natürlich weiter tragen.“ selbst aber denkt dann kaum eine*r, die maske zum schutz der vulnerablen aufzusetzen.

die ignoranz der einen beschränkt den lebensraum der anderen, die verantwortung der einen würde den lebensraum für alle offen halten. es ist erniedrigend, wenn die vulnerablen dazu gezwungen werden, ständig selbst ihren schutz einzufordern und damit zur störung der „eigenverantwortlichen community“ zu werden. klammheimlich denken sicher manche, dass ohne vulnerable die produktivität besser gesichert wäre.

die mechanismen der solidarität oder entsolidarisierung im zusammenhang mit einer pandemie sind verdammt ähnlich jenen abläufen, die aus den bestrebungen für eine inklusive gesellschaft bestens bekannt sind. selbstverständlich will niemand jemanden ausgrenzen, aber wenn es dann um tatsächliche barrierefreiheit geht, dann reden wir plötzlich wieder von kosten und aufwand, den dann „alle“ tragen müssten. die betonierten beispiele der „eigenverantwortung“ von bauherr*innen sind unzählige.

wir haben also vergessen, was solidarität und empathie in der praxis bedeutet. das hat uns der neoliberalismus erfolgreich aberzogen. jetzt denken wir nur mehr an uns selbst. ganz eigenverantwortlich.

ist eigenverantwortung das gegenteil von verantwortung?

dieser beitrag ist in leicht überarbeiteter form am 15.10.2020 auf derStandard.at erschienen

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Bild von Engin Akyurt auf Pixabay

Autor: bernhardjenny

kommunikationsgestalter meine unternehmen: jennycolombo.com, conSalis.at blogger, medienkünstler, autor, erwachsenenbildner salzburg - wien

2 Kommentare zu „ist eigenverantwortung das gegenteil von verantwortung?“

  1. ojegerle, etwas eindimensional:

    1. die regierung handelt verantwortungslos mit ihrer widersprüchlichen politik, wenn sie z.b. dort wo kaum eine ansteckungsgefahr besteht wie beim einkaufen – soferne abstand gehalten wird – eine maskenpflicht aufzwingt. sogar ages-leiter allerberger hat mehrmals betont, dass es keinerlei hinweise gibt, dass masken im supermarkt etwas bringen. dass die maske so für manche immer mehr zum symbol einer irren politik wird, ist nicht verwunderlich. auch in der wissenschaft ist der zusatznutzen von masken nach wie vor umstritten, weil masken nur dort einen zusatznutzen bringen, wo abstand halten eben nicht aussreicht. die „wissenschaftliche evidenz“ ist nach wie vor eher gering, weil masken eben nicht überall einen nutzen bringen.

    Physical distancing, face masks, and eye protection to prevent person-to-person transmission of SARS-CoV-2 and COVID-19: a systematic review and meta-analysis
    https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)31142-9/fulltext

    Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit: Keine Hinweise für eine Wirksamkeit
    https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1174-6591

    eine studie, die gar behauptet, masken tragen sei wirksamer als abstand halten, musste wegen grober Mängel vom Autor zurück gezogen werden …

    masken sind für viele menschen nicht nur unangenehm und der anblick maskierter menschen ist auch nicht für alle leiwand, sondern haben auch medizinisch negative folgen wie verringerung der atemleistung, kopfweh, hautreaktionen usw. und wenn ich niesse dann gehen die viren auch durch die maske.

    Headaches Associated With Personal Protective Equipment – A Cross‐Sectional Study Among Frontline Healthcare Workers During COVID‐19
    https://headachejournal.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/head.13811

    Effects of surgical and FFP2/N95 face masks on cardiopulmonary exercise capacity
    https://link.springer.com/article/10.1007/s00392-020-01704-y

    masken sollten daher nur dort getragen werden, wo sie wirklich etwas bringen.

    2. wird gerne vergessen, dass die autoritäre und teilweise überschießende politik der regierung auch massive gesundheitliche kollateralschäden nach sich zieht, weil 3 monate lang auch das gesundheitssystem grossteils runter gefahren wurde und viele medizinische untersuchungen und behandlungen einfach gecancelt wurden bzw. nach wie vor viele menschen aus angst vor dem virus – hier rächt sich die angstmache durch medien und politik – nicht oder zu spät zum arzt oder ins spital gehen. auch hier sterben menschen. nicht vorwiegend alte, sonder quer durch alle altersgruppen!

    HIER stielt sich der autoritäre coronastaat völlig aus seiner verantwortung !!!!!!!

    da gibt es zahlreiche artikel in medizinischen fachmedien! und auch in anderen medien verstreut!

    Als Anregung daher noch ein paar Links zum medizinischen Diskurs der zum teil recht kritisch ausfällt:

    http://www.matthias.schrappe.com/

    https://www.public-health-covid19.de/ergebnisse.html

    https://www.ebm-netzwerk.de/de/veroeffentlichungen/stellungnahmen-pressemitteilungen

    Kein Kontakt wegen Corona: Kommt jetzt die „Epidemie der Einsamkeit“? (11.10.2020)
    https://www.aerztezeitung.de/Nachrichten/Kommt-jetzt-die-Epidemie-der-Einsamkeit-413622.html

    Warum die Corona-Krise auf den Appetit durchschlägt (8.10.2020)
    https://www.aerztezeitung.de/Podcasts/Warum-die-Corona-Krise-auf-den-Appetit-durchschlaegt-413548.html

    Pandemie-Folgen: Blutplasma droht durch Corona zum knappen Gut zu werden (6.10.2020)
    https://www.aerztezeitung.de/Politik/Blutplasma-droht-durch-Corona-zum-knappen-Gut-zu-werden-413497.html

    Associations between Anxiety and Depression Symptoms and Medical Care Avoidance during COVID-19 (1.9.2020)
    https://link.springer.com/article/10.1007/s11606-020-06156-8

    https://www.aerztezeitung.de/Podcasts/Wie-Corona-das-Ketoazidose-Problem-verschlimmert-hat-411723.html – KINDER waren beim Lockdown doppelt so oft von einer schweren form der diabetis melitus betroffen !!!!

    https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Deutlicher-Anstieg-von-FSME-Faellen-in-der-Schweiz-411251.html

    https://www.aerztezeitung.de/Podcasts/Herzinfarkt-im-Corona-Lockdown-Die-Patienten-sind-zu-spaet-ins-Krankenhaus-gekommen-411069.html

    https://www.aerztezeitung.de/Politik/Corona-laesst-Klinik-Fallzahlen-einbrechen-410779.html

    https://www.aerztezeitung.de/Politik/Ploetzlich-bleibt-die-Haelfte-der-Neurologie-Patienten-aus-410781.html

    https://www.aerztezeitung.de/Nachrichten/Mit-Warp-Speed-zum-Impfstoffdebakel-410753.html

    https://www.aerztezeitung.de/Politik/Impfausfaelle-treffen-bis-zu-80-Millionen-Kinder-409729.html

    https://www.aerztezeitung.de/Politik/Bei-den-Blutspendediensten-werden-die-Vorraete-knapp-409684.html

    https://www.aerztezeitung.de/Politik/Verschleppte-Krankheiten-oft-gefaehrlicher-als-Corona-408979.html

    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/114553/Behandlungsrueckgang-Zahlen-zu-Lockdowns-erst-Anfang-2023-erwartet

    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/114349/USA-Uebersterblichkeit-uebertrifft-die-Zahl-der-gemeldeten-Todesfaelle-an-COVID-19

    WHO und Unicef warnen vor weltweit sinkender Impfrate
    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/sw/COVID-19?s=&p=1&n=1&nid=114764

    Auch in der führenden Medizinzeitung des Planeten sind kritische Artikel zu finden!

    Cancer diagnostic delay in the COVID-19 era: what happens next? (20.7.2020)
    https://www.thelancet.com/journals/lanonc/article/PIIS1470-2045(20)30391-0/fulltext

    Food insecurity will be the sting in the tail of COVID-19
    https://www.thelancet.com/journals/langlo/article/PIIS2214-109X(20)30228-X/fulltext

    Has COVID-19 subverted global health?

    The number of deaths from COVID-19 since the epidemic began is a tiny fraction of all deaths that have occurred due to any cause since the start of 2020. Thus, people continue to die in the millions of other diseases, and lockdowns have made accessing essential health care much more difficult in some places.
    https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)31089-8/fulltext

    COVID-19 and the consequences of isolating the elderly (19.3.2020 !!!)
    https://www.thelancet.com/journals/lanpub/article/PIIS2468-2667(20)30061-X/fulltext

    in den usa ist ein teil der übersterblichkeit nicht auf corona sondern auf die folgen der angstmache in form nicht behandelter „normaler“ krankheiten zurück zu führen.

    besonders drastische auswirkungen hat die auf der angstmache beruhenden autoritären politik in den „entwicklungsländern“ wo besonders kinder und frauen betroffen sind! hier werden auch hungersnöte befürchtet. unterernährung auf jeden fall aufgrund der massiven wirtschafltichen auswirkungen auf die unteren schichten.

    nicht zu vergessen: corona ist ja „nur“ eine klasse über der grippe. mittlerweile ist in österreich die sterblichkeitsrate vermutlich sogar kleiner als bei einer normalen grippewelle dank besserer medizinischer behandlung und schutz gefährderter (was bislang bei grippe großteils verabsäumt wurde). dafür wird nun künstlich durch mehr pcr-tests usw. künstlich angst geschürt. denn wenn die menschen merken, wie manipulativ medien und politik gearbeitet haben, dann kippt womöglich die stimmung gewaltig.

    Comparing SARS-CoV-2 with SARS-CoV and influenza pandemics
    https://www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(20)30484-9/fulltext

    https://www.ebm-netzwerk.de/de/veroeffentlichungen/covid-19

    Klicke, um auf fact_sheet_200910.pdf zuzugreifen

    übrigens: die viel beschworene „schmierinfektion“ entpuppt sich nach wissenschaftlichen studien als fake-news
    Low risk of SARS-CoV-2 transmission by fomites in real-life conditions (29.9.2020)
    https://www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(20)30678-2/fulltext

    auch die übertragung über die augen ist fragwürdig (außer bei großer bzw. langer virenlast im krankenhaus usw.)

    der medizinische / wissenschaftliche diskurs ist also viel differenzierter als diese eigentlich recht einfachen meinungskommentare!

    da wäre es gut sich näher zu informieren!

    dann wird klar, warum die kirche der coronaangst nun fast in panik noch mehr angst zu schüren versucht, weil die fakten einfach anders sind, als das durch die medien vermittelt bild:

    zur massiven überschätzung der opfer siehe folgende umfrage

    Klicke, um auf kekstcnc_research_covid-19_opinion_tracker_wave-4.pdf zuzugreifen

    aber wie schon le bon in „psychologie der massen“ schrieb, sind angstbilder mächtig beim ausschalten des verstand und es ist dann recht schwer, die massenhysterie wieder los zu werden. schon le bon hat auf die rolle der medien hingewiesen, die zu einer verzerrten wahrnehmung führen.

    für die vielen kollateralschäden, die kosten überschießender politik, gibt es nämlich KEIN dashbord das täglich aktuallisiert wird! geht schwer, weil die daten oft nur sehr verzögert zu gewinnen sind.

    würde jede gesundheitliche bedrohung – z.b. durch umweltverschmutzung – ebenso massiv wahrgenommen werden, dann ginge es erst recht rund!

    das geld der unnötigen pcr-tests wäre sicher besser in den spitälern und gesundheitszentren in indien, brasilien, afrika usw. angelegt! (schon ivan illich hat vor 40 jahren eine art „luxussteuer“ auf teure medizinische geräte / behandlungen in den reichen industriestaaten zugunsten der „entwicklungsländer“ gefordert!)

    nicht zu vergessen: eine demokratiegemäße epedemiepolitik schaut auf jeden fall anders aus!

    https://www.medico.de/ein-corona-manifest-17746/

    wer eigenverantwortung propagiert, sollte diese aber auch erst einmal ermöglichen. statt auf „schwarzer pädagogik“ aufbauenden coronaobrigkeitsstaat wettbewerb der guten idee („best practice“ ist ja so ein modewort!)

    https://www.aerztezeitung.de/Politik/Ethikrat-fordert-Wettbewerb-der-Ideen-statt-stumpfe-Corona-Obrigkeit-408400.html
    (7.4.2020, also auch schon lange her!)

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