der staat produziert probleme, die er nicht lösen will

„belastung“, „herausforderung“, „welle“, „ansturm“, „lawine“ heissen die giftportionen in der öffentlichen kommunikation in zusammenhang mit flüchtenden menschen schon seit längerem, seit ende august in einem deutlich angestiegenen ausmass. diese giftportionen wirken, weil sie in unserem denken hängen bleiben und den fokus der aufmerksamkeit nicht auf die menschen, sondern auf ein angebliches „problem“ lenken, welches diese menschen uns angeblich allein durch ihr dasein bereiten.

war schon vorher die situation in traiskirchen unverkennbar eine von der politik bewusst herbeiorganisierte, so wurde die instrumentalisierung von menschen, die sich zu uns in sicherheit bringen wollen, in diesem herbst perfektioniert.

in unsere hirne sollten bilder von menschen eingeprägt werden, die schon rein optisch „zu viel“ sind. wir sollten auf den ersten blick sehen, dass für sie wohl kein platz in unserer gesellschaft sein könne. selbst dass kleine babies auf pappkartons oder blossem boden schlafen mussten, dass überbelegte flüchtlingsunterkünfte kaum gereinigt wurden, dass zeltstädte uns eher an katastrophen erinnern sollten, war politisch gewollt und beabsichtigt.

die gewünschte reaktion lässt auch nicht auf sich warten. „das ist alles zuviel“, „wir können nicht alle aufnehmen“, „wir haben schon genug getan“, „sollen wir allein die welt retten?“ – so klingen die kleingeistigen reaktionen auf solche bilder.

der staat, oder besser gesagt, jene, die uns, der wir der staat sind, politisch zu vertreten hätten, produzieren bewusst probleme, die niemals gelöst werden sollen, sondern uns in egoistische, kleinkarierte einwohner_innen einer festung verwandeln sollen, die sich vor allem und jedem fürchten, die von „draussen“ kommen.

vor mehr als zwanzig jahren war alles ganz anders

damals mussten sich menschen aus dem zerfallenden jugoslawien und dem dort tobenden krieg zu uns flüchten. niemand sprach damals von einer gefahr, einem ansturm oder einer lawine. und auch nicht von einer zynischen „obergrenze‟.

die berichterstattung zeigte keine menschen, die „zuviel“ seien, sondern übertrug damals die grausamen bilder des krieges, der nur wenige kilometer von uns entfernt stattgefunden hat. es war daher nur allzu verständlich, dass diese menschen sich in sicherheit bringen mussten.

die verantwortlichen in den ministerien und behörden waren damals flexibel und gewillt genug, schnell und möglichst unbürokratisch den menschen die aufnahme in unserem land zu ermöglichen. österreich hatte damals offensichtlich den willen, die menschen aufzunehmen. (die ewiggestrigen fremdenfeindlichen dauerunkenrufe ausgenommen.)

womit bewiesen wäre, dass es eigentlich kein problem sein dürfte, menschen, die zu uns flüchten, selbstverständlich und ohne wenn und aber aufzunehmen. sind es wirklich andere beamt_innen, die in den ministerien und behörden hocken, oder ist es einfach der nun ganz andere politische wille, der zu so ganz anderen ergebnissen führt?

flüchtende müssen nochmals leiden

es ist offensichtlich der politische wille, der diesmal fehlt bzw. etwas ganz anderes will. an den inhaltlich entscheidenden stellen der politischen steuerung sitzen offensichtlich menschen, die sich mehr politischen zuspruch und erfolg durch das erzeugen von angst und das verbreiten von zerrbildern erwarten.

diejenigen, die darunter konkret am meisten zu leiden haben, sind jene, die sich zu uns flüchten wollen. ihnen schlägt oft eine welle der ablehnung, der angst und mitunter auch des offenen hasses entgegen, die uns alle beschämen muss.

zivilgesellschaft als „lückenbüsser‟?

zynisch geht der staat auch mit der trotz allem verhandenen hilfsbereitschaft der bevölkerung um. in den ersten tagen und wochen der plötzlich zahlreicher eintreffenden menschen auf ihrem „marsch der hoffnung“ war es die zivilgesellschaft, waren es zahlreiche frei organisierte, aktionsbereite menschen, die spontan eine „willkommenskultur“ mit leben erfüllten. diese zivilgesellschaft war schneller, effizienter und flexibler im einsatz als behörden und organisationen in gang kommen konnten. ein umstand, der manchen verantwortlichen in verwaltung und traditionellen hilfsorganisationen garnicht schmeckte.

während sich der staat „vornehm“ zurückhielt, wurden spendenaufrufe zum alltäglichen appell an die bevölkerung, jene lücken der versorgung zu füllen, die in einem wirklich funktionierenden staat niemals entstehen dürften. wenn dann die hilfbereiten menschen auch noch politisch vereinnahmt werden, wie z.b. durch den vizekanzler, der in einem fernsehinterview behauptet hatte, die regierung hätte diese menschen „erfolgreich mobilisieren können“, wirft das viele fragen über die wirklichen motive der politischen verantwortlichen auf.

verschleppung und trägheit

so wie die situation in den ersten stunden, tagen und wochen schon ahnen liess, setzt sich der mangelnde wille zu wirklichen lösungen auch in der folge fort: die annahme von asylanträgen und die aufnahme in die grundversorgung werden oft verschleppt, dringende anträge selten erledigt, die behörden zeigen keinen wirklichen willen, situationsgerecht zu handeln. „überforderung‟, „massenandrang‟ und „antragslawine‟ sind nun wieder die begriffe, die unser denken prägen sollen. dass unser staat wochen, monate, jahre braucht um von fall zu fall immer wieder neu zu überlegen, ob denn die bedrohung des lebens der betroffenen wirklich ausreicht, um ihnen zu helfen, ist das ergebnis einer trägheit der satten, die mit den hungernden nicht teilen wollen.

wenn dann ein aussenminister auch noch von den zu uns flüchtenden menschen gleich mal „integration‟ einfordert, als wäre dies etwas, das nur sie allein bewerkstelligen könnten, ist es schwer, hier wirklichen Willen zu vermuten. die zu uns geflüchteten müssen erfahren, wie lange einen hier der staat einfach in unsicherheit verweilen lassen kann. sie lernen, dass verfahren, wenn sie denn einmal wirklich begonnen haben, niemals wirklich rechtssicher, sondern oft einfach schikanös und unfair ablaufen können. sie müssen erfahren, dass sie entweder nicht arbeiten dürfen oder, wenn sie sich zb. selbständig machen, sofort aus der grundversorgung genommen werden können. sie sind noch nicht einmal wirklich angekommen, schon müssen sie hören, dass die verantwortlichen ihnen ihr asyl, wenn überhaupt, nur „auf zeit‟ gewähren wollen. und das nachholen von familienmitgliedern, häufig frau und kinder, wird zusätzlich erschwert, was diese erst recht wieder in die lebensgefahr der verzweiflungswanderungen treibt.

der staat versagt nicht, er will gar nicht.

der staat produziert probleme, die er nicht lösen will

(bernhard jenny, derstandard, 11.12.2015)

menschenrechtsbericht 2015 titelsmallweiters ist dieser artikel im MENSCHENRECHTSBERICHT 2015 der plattform für menschenrechte salzburg erschienen, welcher hier in komplettem umfang downloadbar ist.

menschenrechte haben keine farbe.

aus dem bericht „der bürgermeister will das eben nicht“ *) von wolfgang rössler in der NZZ.at kommt klar hervor, dass hier menschen zum gegenstand einer verhinderungs- und kompromisspolitik werden: sepp schellhorns initiative war im mai noch vielen hochwillkommen, wohl auch aus einer politischen drucksituation heraus. der bürgermeister bad gasteins wurde vermutlich voreilig im mai mit einer zusage des landeshauptmanns wilfried haslauer kalmiert, dass das ganze im dezember vorbei sei. wenn der bürgermeister nun das ende der zusammenarbeit mit schellhorn einfordert, muss die damalige zusage hinterfragt werden.

um einen klaren blick für die situation zu schaffen, lassen wir einmal die farben schwarz, grün und pink ausser acht:

kann es wirklich sein, dass verträge, die bestmöglich erfüllt wurden und als good-practice-beispiel weit hinaus gelten können, einfach nicht verlängert werden, obwohl das gegenständliche projekt einer auch von der landesregierung selbst erkannten humanitären verpflichtung nachkommt?

mit dieser seinerzeitigen zusage haslauers an den bürgermeister und der beendigung des vertrags mit schellhorn würde ein eigenartiges bild entstehen: manche bürgermeister sind es, die in sachen flüchtlingsunterkünfte vertragstreu bleiben, andere können es sich aussuchen, ob ihre gemeinde „dran kommt“ oder nicht. ein fatales signal, das sich noch hart gegen die wohl ehrlichen bemühungen auch der im land verantwortlichen wenden könnte.

das land hat mit vielen, sehr unterschiedlich motivierten partner_innen in sachen unterkünfte zu tun. wenn verträge von besonders engagierten betreiber_innen trotz guter umsetzung beendet werden können, dann ist das nochmal ein bedenkliches signal: wer wird sich dann noch um gute betreuung und faire unterkunftsbedingungen kümmern, wenn ganz sachfremde motive darüber entscheiden, ob jemand einen vertrag verlängert bekommt oder nicht?

es ist ein trauerspiel. wenn menschen zum spielball politischer abmachungen werden, dann ist das immer dramatisch. aber wenn flüchtlinge hin- und herverschoben werden, weil die einen oder anderen die humanitäre verpflichtung nicht wahrhaben wollen, dann ist das ein klarer verstoss gegen die menschenrechte. ungeachtet welche parteifarben da mitspielen.

menschenrechte haben keine farbe.

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gastkommentar von bernhard jenny auf NZZ.at vom 18.11.2015

*) kurzinhalt des artikels: „Die Salzburger Grünen-Landesrätin Martina Berthold dreht aus Koalitionsräson ein Flüchtlingsprojekt von NEOS-Politiker Sepp Schellhorn ab. Das hat Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) dem Bürgermeister von Bad Gastein versprochen. Nun klagt Schellhorn: Er will die Macht der Bürgermeister brechen.“

das problem heisst nicht flüchtlingskrise, sondern humanitätskrise.

foto: dirk kruse cc licence by sa

wer zäune gegen flüchtende menschen aufstellt, ist gescheitert. maschendrahtzaun, dahinter eine zweite reihe stacheldrahtrollen. wer solches veranlasst, hat endgültig jede moralische autorität verspielt. nicht, dass johanna mikl-leitner diese noch gehabt hätte, aber das feuerwerk der grauslichkeiten ist schier unendlich.

wenn nun werner faymann trotz seiner brandrede gegen einen zaun (die er kurz nach seiner verkühlung anlässlich der wienwahl gehalten hatte) zulässt, dass mikl-leitner unser land wie orban flüchtenden menschen, familien, kleinen kindern anlässlich der eiseskälte des nahenden winters zu einem land der menschlichen eiseskälte macht, hat auch er jede moralische autorität verspielt.

wer anderen ländern millionen und noch mehr millionen flüchtende menschen zumutet, aber in unseren reichen ländern bereits bei ein paar tausend auf panik macht, hat nicht nur europa nicht verstanden, sondern auch die notwendigkeiten  einer humanitären und solidarischen gesellschaft verraten.

wenn dieser zaun der schande wirklich aufgestellt wird, ist es schlimm um uns bestellt. menschen, die durch meere geschwommen sind, in gummiboote gestiegen sind und durch jede unerdenkliche widerlichkeit gekommen sind, sollen nun von einem zaun aufgehalten werden? wie zynisch!

wir wissen offensichtlich nicht mehr, was die verpflichtung starker gegenüber schwachen, gesunder gegenüber kranken, reicher gegenüber armen, in sicherheit lebender gegenüber flüchtenden ist.
wir haben jede moral verlernt. wir sind unsozial.
die zu uns flüchtenden menschen bringen uns einen spiegel, der uns erschrecken lassen muss.

das problem heisst nicht flüchtlingskrise, sondern humanitätskrise.

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foto: dirk kruse cc licence by sa

„asyl auf zeit“: die perversion der menschenrechte

eine aufnahme ohne intensive integrationsmaßnahmen muss im chaos und im frust enden

„asyl auf zeit“ heißt der neue plan der sonst recht ratlosen rot-schwarzen bundesregierung. „asyl auf zeit“ ist die absurdität schlechthin. es ist genau jenes instrument, mit dem eine erfolgreiche politik angesichts vieler nach europa flüchtender menschen schlicht nicht erfolgreich sein kann.

erst vor wenigen tagen hat die eu-kommission ein mögliches wirtschaftswachstum prognostiziert, wenn es gelingt, die neu angekommenen menschen zu integrieren. wie aber soll eine integration möglich werden, wenn den betreffenden gesagt wird, dass die aufnahme in unserem land eine ablaufzeit hat? wer soll sich um spracherwerb, einarbeitung in die hier üblichen gepflogenheiten und arbeitsmöglichkeiten kümmern, wenn ohnehin klar ist, dass kein aufenthalt auf dauer vorgesehen ist?

„beruhigungspille“ für kleingeister

was also die bundesregierung als „beruhigungspille“ für kleingeister entwickelt hat, ist die garantie dafür, dass es wirklich nicht klappen kann. eine aufnahme ohne intensive integrationsmaßnahmen muss im chaos und schließlich im frust enden.

die folgen sind absehbar: ein österreichischer orbán, der womöglich noch viel rechter sein wird, als das original in ungarn, wird dann die menschliche katastrophe verwalten dürfen. und es wird wieder vieles den bach hinunter gehen. die schuldigen lassen wir gerade in unser land herein, um sie als sündenböcke so schnell wie möglich wieder zu vertreiben.

humaner blindflug

bleibt nur zu hoffen, dass nicht in allen ländern europas solche spezialistinnen und spezialisten im humanen blindflug an der macht sind.

menschenrechte sind unteilbar und gelten immer und überall für alle. ob es einem kleingeist, einem kanzler oder einer innenministerin gefällt. selbst das berühmte stammtischvolk hat nicht darüber zu bestimmen. aber das wollen viele nicht wahrhaben. es ist nicht nur peinlich, es ist eine schande: was unsere regierung vor hat, ist schlicht die perversion der menschenrechte. (bernhard jenny, derstandard, 7.11.2015)

die lage an der grenze spitzt sich zu

foto: bernhard jenny cc licence by sa nc

wie „für gewöhnlich gut informierten kreise“ berichten, wurde anscheinend wirklich von krisenstab der stadt salzburg beschlossen, dass die grenze direkt „weiterhin nicht von den organisationen versorgt wird.“

dadurch werden die freiorganisierten privaten helfer_innen „im wahrsten sinn des wortes im regen stehen gelassen.“ viele dieser helfer_innen sind seit tagen im einsatz und sind am ende ihrer kräfte.

monika schreiner, eine jener helfer_innen, die sich unermüdlich einsetzen, berichtet:

Die Zahl der Helfer schwankt stündlich, die Nachtschicht ist natürlich am schlechtesten besetzt. Es kann mittlerweile halbwegs vor Ort gekocht werden, Teeküche, Suppe. Viel wird von den Leuten zuhause vorgekocht und gebracht. Es mangelt eigentlich an Allem. Hab gestern noch für 100 Euro Müllsäcke und Einweghandschuhe besorgt und das machen viele von den anderen auch. Magistrat ist dort mit Müllcontainern und versucht die Lage unter Kontrolle zu halten. Der Weg zur Asfinag ist gar nicht beschildert, sprich die kommen wieder zurück weil sie das Lager nicht finden. Die meisten wollen nicht weg, weil sie den Platz in der Schlange nicht verlieren wollen, was ja auch verständlich ist. Viele der Freiwilligen sind kaputt, seit Tagen wenn nicht Wochen im Einsatz…

und aktuell:

… seit heute Morgen sind die Toiletten verstopft, ich habe keine Ahnung, ob schon jemand gekommen ist um das zu richten. Im Zollhaus tropft es von der Decke, da kann ein ganzer Raum nicht genutzt werden.

die an vielen stellen in den letzten tagen und wochen immer wieder aufklaffende kluft zwischen ehrenamtlichen privaten helfer_innen und den „offiziellen“ organisationen ist beschämend. anstelle einer gemeinsamen vorgangsweise und gegenseitigen unterstützung wird die tatkräftige zivilgesellschaft im stich gelassen. es ist nicht einzusehen, warum die hilfe für die menschen nicht „aufsuchend“ organisiert wird, denn dass sie nicht irgendwo „zurück“ wollen, wird verstehen, wer mit den betroffenen spricht.

im magistrat war „wegen der gemeinderatssitzung“ niemand erreichbar.

die helfer_innen (sowohl die „freien“ wie auch innerhalb der organisationen) leisten wirklich sehr vieles und wichtiges, es sind die leitenden stellen, die so schwerfällig sind, dass das letztlich gegen viele ausgeht. gegen jene, denen geholfen werden muss und gegen jene, die unter einsatz ihrer letzten energien helfen.

es müsste nicht unbedingt heissen:
die lage an der grenze spitzt sich zu

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eine weitere nacht der hoffnung

foto: bernhard jenny cc licence by nc sa

manche würden es unvernunft nennen. da liegen menschen – manche mit ihren kleinen kindern – auf offener brücke und strasse. helfer_innen versuchen ihnen gemeinsam mit übersetzer_innen klar zu machen, dass heute nacht noch regen kommt und es kalt wird. und dass 2,5 km weiter hinten eine grosse halle mit hunderten betten leer steht. sie könnten dort in ruhe schlafen.

unverständnis auf beiden seiten. ich muss mich an einen satz erinnern, den mir ein junger syrer auf dem hauptbahnhof in salzburg gesagt hat: „für uns gibt es keinen meter zurück, wir gehen nur nach vorn, weiter und weiter und weiter.“ das scheint das gesetz der flucht zu sein, das ist die kraft, mit der menschen, gross und klein, alt und jung und auch gerade erst geboren, sich auf den weg machen, ein marsch der hoffnung, ein gang in das gelobte land.

foto: bernhard jenny cc licence by nc sa

wer will es den menschen, die durch alle nur erdenklichen und für uns nicht vorstellbare höllen gegangen sind, verdenken, dass sie zwanzig meter vor ihrem ziel nicht einfach umkehren. was kann für solche menschen schon regen oder kälte bedeuten. sicher nicht grund genug „umzukehren“ – auch wenn das uns nicht real erscheinen mag.

vielleicht werden manche dann doch in die halle gehen, wo die caritas auf sie wartet. einstweilen aber bleiben sie rund um die brücke nach deutschland und versuchen zu schlafen, zumindest sich auszuruhen und kraft zu schöpfen. dort spielende kinder, da ein baby, das schreit, insgesamt fast friedvolle szenen.

foto: bernhard jenny cc licence by nc sa

hier an der brücke sind es keine grossen organisationen, sondern privatpersonen, die sich über facebook organisieren und dienstzeiten einteilen: das von den helfer_innen selbst gekochte warme essen wird verteilt, getränke ausgegeben, decken, matrazen und polster weitergereicht und immer wieder übersetzungsarbeit geleistet.

mitten drin erschöpfte polizisten. es ist ihnen anzusehen, dass sie kaum mehr können. „seit fünf uhr in der früh“ antwortet einer, als ich sie frage, wie lange sie schon hier im dienst sind. jetzt ist es 23:30!

„muss man ja machen, wir sind einfach zu wenig, aber wenigstens ein bisserl ordnung hier reinbringen, das muss sein“ sagt ein anderer. mit ordnung meinen sie zb. die familien mit kleinen kindern, sofern sie wollen, in das ehemalige zollgebäude hier direkt an der brücke zu bringen, solche, die schon seit gestern 8 uhr früh auf der brücke stehen, vorne zu lassen, damit sie auch als erste drankommen, wenn „wieder was geht“ und nachschau zu halten, ob jemand akut was braucht. ein krankenwagen steht bereit.

wann ablöse kommt, wissen die polizisten nicht, wie schnell die deutschen wieder welche „rüber“ lassen, auch nicht. da kommt einer der organisatoren der ehrenamtlichen helfer_innen vorbei, einer der polizisten betont mit blick auf den helfer: „ohne ihn und all die anderen, ohne die vielen, die uns übersetzen helfen oder sonst wie helfen, ginge es sowieso nie, da wären wir völlig aufgeschmissen.“

ich lasse erkennen, dass ich oft auch kritisch über die polizei berichte, aber dass ich in dieser situation ihnen einfach nur danken muss für ihr engagement, und dass ich ihnen wünsche, dass sie bald abgelöst werden. „es gibt überall solche und solche,“ meint einer der beamten, „nichts ist einfach nur schwarzweiss.“

möge die nacht zumindest kein brutaler platzregen loslegen, möge es nicht zu kalt werden.

eine weitere nacht der hoffnung

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fotos: bernhard jenny cc licence by nc sa

selektion von flüchtlingen ist zynisch

wir sehen flüchtlingen zu, als wäre europa ein gigantisches dschungelcamp mit geilem reality-faktor. warum nicht gleich webcams an den küsten?

unruhe ist in den vergangenen tagen entstanden. besonders durch die wiedereinführung von grenzkontrollen, die aussetzung von zügen und busverbindungen hat deutschland jenen menschen, die sich über ungarn und österreich durchgeschlagen hatten neuerlichen stress verursacht. und die zwischenstationen sind seither an die kapazitätsgrenzen gestoßen, so sagen das die verantwortlichen. haben die europäischen außenministerien, innenministerien, flüchtlingsbeauftragten und sonstige informationsdienste keine kenntnis über die bewegungen aus den krisengebieten?

genauer betrachtet ist die situation allerdings nicht nur künstlich heraufbeschworen, weil aufgrund der über wochen über den balkan ziehenden menschen durchaus absehbar gewesen wäre, wohin diese flüchtenden menschen wollen und entsprechende vorkehrungen längst getroffen sein könnten. sie ist auch eine sehr zynische, denn die gefährdung von menschenleben müsste nicht sein: flüchtenden menschen wird sehenden auges zugemutet, dass sie in ihrer verzweiflung durchs meer schwimmen, in ungeeignete bootsbehelfe steigen, dann elendslange gewaltmärsche durchstehen und sich durch unwegsames gelände oft hungernd und durstend durchschlagen müssen, um letztlich vor stacheldrahtzäunen zu stehen, durch minengefährdetes gebiet zu gehen und oft wie verbrecher gejagt zu werden. auf diesen langen wegen brechen krankheiten aus, werden kinder geboren, müssen die menschen unglaubliche strapazen ertragen, um dann vielleicht auf einer brücke nach freilassing zurückgewiesen zu werden? bitte warten.

refugee-tv?

wir wissen also seit monaten, dass diese menschen entschlossen ihr leben retten wollen und sehen ihnen zu, als wäre europa ein gigantisches dschungelcamp mit geilem reality-faktor? warum nicht gleich webcams an den küsten und wanderrouten aufbauen, für werbefinanzierte live-übertragungen im refugee-tv?

europa versündigt sich an den menschen, die um ihr überleben laufen. schon geil, zu wievielen marschkilometern verzweifelte fähig sind, was? schau, dort drüben kommt wieder einer!

kein hindernislauf

flüchtende menschen haben jeden anspruch auf schutz. wer glaubt, die menschen per wassergraben und hindernislauf aussieben zu dürfen, macht sich schuldig. selektion von flüchtlingen ist zynisch. (bernhard jenny, der standard, 18.9.2015)