wer hass will, braucht feinde

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das eint alle, die von hass und hetze profitieren wollen: sie brauchen feinde. am besten todfeinde. das ist die logik der kriege, aber auch die logik des terrors.

die anschläge vom 13.11. in paris folgen wie schon anfang des jahres jener auf charlie hebdo genau dieser logik. der maximale erfolg solcher anschläge sind nicht nur die toten und verletzten, der maximale erfolg ist der hass, die wut und der reflex der rache, der in vielen menschen aufkeimt. der maximale erfolg ist die emotion, die hochkommen muss, wenn wir mitansehen müssen, wie menschen kaltblütig ermordet werden.

wir stehen in europa vor einer entscheidung: lassen wir uns in den hass treiben, oder isolieren wir die hasstreibenden. sehen wir der aufwiegelung der hassenden tatenlos und ratlos zu, oder entsinnen wir uns jener werte, die es wert sind, unsere gesellschaften danach zu organisieren?

dabei geht es nicht nur um die ächtung von gewalt und mord, egal aus welchem ideologischen eck diese kommen. es geht auch darum, die werte selbst wiederzufinden bzw. diese neu zu erfinden.

dass hass der einen immer auch der komplize des hasses anderer ist, ist selbstredend. aber wie es zur bereitschaft, zur kultur des hasses kommt, das müssen wir noch genauer realisieren:

eine entsolidarisierte gesellschaft,
die den verlierer_innen eines postkapitalistischen systems erklärt, sie seien eigentlich nur selbst schuld,
eine entsolidarisierte gesellschaft,
die aus randgruppen definitiv ausgegrenzte outcasts ohne aussichten auf veränderungen macht,
eine entsolidarisierte gesellschaft,
die die chancen auf entwicklung an die spekulationsetagen des organisierten kapitalverbrechens verkauft,
ist der ideale, ja fast zwingende nährboden für extreme wut, gewaltbereitschaft und terrorakte.

wenn wir diesen nährboden nicht in den griff bekommen, steht der erfolgreichen aufwiegelung der hasstreibenden gegeneinander nach dem motto “alle gegen die zivilgesellschaft” nichts im wege, dann wären wir beim zündfunken für einen unüberschaubaren bürgerkrieg à la hans magnus enzensberger angelangt.

es ist klar, dass wir eine systemänderung brauchen. wem wollen wir die gestaltung der veränderungen überlassen?

wer frieden will, braucht vieles:
gerechtigkeit, freiheit, chancengleichheit, partizipation, glauben an eine zukunft und soziale sicherheit.

da haben es die anderen einfacher:
wer hass will, braucht feinde.

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ps. dieser artikel ist fast wortident bereits am 8.1.2015 erschienen, damals nach dem anschlag auf die redaktion von „charlie hebdo“. es stimmt mich nachdenkllich, dass wir gegen ende des selben jahres die wiederholung solcher anschläge zur kenntnis nehmen müssen, ohne dass der gesellschaftliche diskurs seither wirklich merkbar weiter gekommen wäre. eher im gegenteil.

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bild: ao-photos cc licence by nc sa

abschiebung eines aktiven helfers ist nur mehr eine frage von stunden.

bernhard jenny

es ist eine unfassbare geschichte. und eine eilige dazu. das unfassbare: ein junger mann, der in den „zelten“ in der salzburger alpenstrasse als asylwerber lebt, einer, der in den letzten tagen und nächten auf dem salzburger hauptbahnhof tatkräftig mitgeholfen hat, in dem er die wichtigen informationen den aus ungarn eintreffenden menschen via megafon in ihrer sprache bekanntgab, ist nun plötzlich selbst von der (rück)abschiebung bedroht!

aufgrund des dublin-abkommens soll er nach ungarn zurückgeschoben werden. der bescheid ist scheinbar schon ausgestellt. er, der in den letzten tagen vielen hunderten menschen dabei geholfen hat, vertrauen zu haben, ihnen zugesprochen hat, angst abzubauen und zuversichtlich einige stunden auf die weiterreise nach deutschland zu warten, soll nun ausgerechnet selbst das gegenteil erfahren? das ist zynismus pur. der österreichische staat will ihm keinen aufenthalt gewähren, er soll nach ungarn zurück!

eilig ist die sache deshalb, weil die berühmte betreiberfirma ors.ch in fällen, wo der bescheid ausgestellt ist, die betreffenden asylwerber auf anforderung durch die polizei an diese übergibt und dann erfolgt die abschiebung.

das kann heute nacht oder morgen früh passieren, wenn nicht umgehend deutlicher widerstand gegen diese vorgangsweise entsteht. landesrätin martina berthold, der landeshauptmann wilfried haslauer aber auch alle anderen politisch verantwortlichen sind – unabhängig der offiziellen zuständigkeiten – nun dringend gebeten, gegen diesen wahnsinn aufzustehen und klartext zu sprechen: es kann nicht sein, dass wir einerseits tausende menschen durch österreich schleusen und nach deutschland weiterreisen lassen, während andere zurückgeschoben werden sollen, nur weil sie es geschafft haben, sich ein paar tage früher durchzuschlagen.

in diesen tagen wurden lobeshymnen für alljene gesungen, geschrieben und verbreitet, die sich ehrenamtlich für die flüchtenden menschen engagiert und tatkräftig geholfen hatten. nun soll einer der helfer dennoch abgeschoben werden? das wäre eine schande für unser land.

schluss mit dem dublin-wahnsinn. schluss mit rückabschiebungen!

wie gesagt es eilt.
abschiebung eines aktiven helfers ist nur mehr eine frage von stunden.

UPDATE 10.9.2015 16:45

der betreffende ist noch in salzburg und eine rechtsanwältin wird die betreuung übernehmen, nachdem sie gestern in der nacht noch schnell die unterlagen einer erstbegutachtung unterzogen hat. wir hoffen, dass es bald wieder sicherheit für ihn gibt! das ist die positive nachricht. danke für die vielen nachfragen!

allerdings musste ich im zuge der recherchen feststellen, dass es nicht um einen einzelnen geht, sondern dass mehrere personen von der rückabschiebung bedroht sind. diese muss POLITISCH verhindert werden!

niemand soll irgendwohin abgeschoben werden!!!

der gestrige tag hat vieles verändert.

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der gestrige tag hat in uns vieles verändert. sehr vieles. als wir über michel reimon und robert misik vom ersten zug aus ungarn richtung münchen erfuhren und wussten, dass die willkommenen aus syrien und anderen ländern wohl dringend das nötigste brauchen werden, war uns klar, wir lassen alles liegen und stehen und fahren richtung salzburger hauptbahnhof.

es war sehr schön, dort viele bekannte gesichter zu sehen, viele kauften spontan wasser, babynahrung und obst ein. es war beeindruckend, wie schnell in kürzester zeit hier freiwillige helfer_innen aktiv wurden.

zu diesem zeitpunkt ahnten wir bereits, dass dieser zug wohl nicht der einzige sein wird, schnell war klar, es kommen weitere züge und in der nacht wird die situation zusätzlich schwieriger werden, weil dann weit über 1000 menschen auf dem hauptbahnhof stranden werden, denn die früheste weiterreise nach deutschland war dann erst wieder ab 4 uhr früh möglich.

die öbb teilte uns schnell mit, dass wir – die rasch wachsende zahl an freiwilligen helfer_innen aus verschiedensten richtungen – nun auch obst und wasser auf rechnung der öbb im supermarkt kaufen könnten, um diese für die versorgung der willkommenen vorzubereiten.

mit jedem eintreffenden zug wurde der bahnhof voller und voller, gegen mitternacht waren dann wohl zwischen 1000 und 1300 menschen im und vor dem bahnhof: frauen, männer, jugendliche, kinder und babys.

manche kinder schrieen vor hunger, andere waren krank; als die essensvorräte aufgebraucht waren wurde die situation fast unerträglich. kinder bedrängten uns um essen, gaben uns zu verstehen, dass sie hunger haben, jede eintreffende spende von menschen, die via facebook mitbekommen hatten, was am bahnhof abgeht, verflüchtigte sich innerhalb von sekunden wie die nicht nur sprichwörtlichen „warmen semmeln“.

martina berthold als zuständige landesrätin war vor ort und konnte erreichen, dass vom merkur wenigstens ein lastwagen mit babynahrung und brot eintrifft, denn das inzwischen auch eintreffende rote kreuz war ohne essen angerückt. in mehrfachen diskussionen mit dem einsatzleiter war die lapidare auskunft immer wieder „wir tun unser möglichstes“, was schliesslich nach stunden auch in der anlieferung eines (!) teekessels mündete, mit hagebutten tee. dass menschen aus syrien eher schwarztee trinken würden, war wohl nicht bekannt.

nicht nur wir, sondern auch andere freiwillige helfer_innen bekamen den eindruck, dass genau diejenigen, die bis zum eintreffen des roten kreuzes den „versorgungsbetrieb“ gemeinsam mit der öbb geschaukelt hatten wohl „im weg stünden“ und lieber nachhause fahren sollten.

es ist nicht zu verstehen, warum in einer solchen situation ein rotes kreuz mit leeren händen anrückt, wenn der lkw via martina berthold nicht gewesen wäre, hätte es einen kessel tee gegeben. auch medikamente waren keine vorhanden, zahlreiche hilfesuchende, die uns ansprachen wie zb. nach antibiotika oder asthma-medikamenten gingen leer aus.

auf zugegeben heftig geäusserte alarmierungen, dass hier zahlreiche kinder vor hunger schreien, antwortete der einsatzleiter, dass für die ernährung das rote kreuz nicht zuständig wäre, „erst wenn ein kind dehydriert ist oder sonst deutliche mangelerscheinungen zeigt“, dann wären sie zuständig. wie bitte???

insgesamt waren wohl die anwesenden magistratshoheiten und die leitung des roten kreuzes zumindest überfordert, das aufstellen von feldbetten um 1 uhr früh, zu einem zeitpunkt, wo sich die meisten der willkommenen bereits auf blankem boden hingelegt und viele bereits eingeschlafen waren, entbehrt nicht eines gewissen aktionismus, der in presseberichten natürlich gut ankommt.

die mitarbeiter_innen der roten kreuzes beschränkten sich auf eine präsenz in einem bestimmten sektor des bahnhofes, die sanitäter_innen gingen keineswegs durch die menschenmassen durch, um herauszufinden, wer hilfe benötigt, es waren wieder die freiwilligen helfer_innen, die menschen zur hektisch eingerichteten „versorgungsstation“ bringen mussten, obwohl dort – wie gesagt – ohnehin keine medikamente vorhanden waren.

wir müssen lernen. ein solches bild der unzulänglichkeit darf sich nicht wiederholen. es ist die pflicht der zuständigen behörden, in solchen situationen mit augenmass und professionell vorzugehen. es gibt katastrophen (wie erdbeben), die sich überhaupt nicht ankündigen, da sind reaktionszeiten verständlich. warum die letzten einsatzkräfte des roten kreuzes nach eigenen angaben erst um 1 uhr per sms alarmiert wurden, obwohl bereits spätestens seit nachmittag voraussehbar gewesen war, wieviele menschen auf ihrem weg aus dem tod in das leben in salzburg vorübergehend landen werden, ist nicht zu verstehen.

es kann nicht sein, dass eine facebook/twitter-community mit fast einem halben tag vorsprung vor den offiziellen einsatzkräften reagieren muss und das niemanden zum nachdenken bringt.

hier werden die verantwortlichen und wir alle lernen müssen.

über die menschlichen begegnungen und eindrücke wollen wir gesondert noch berichten, jetzt geht es wohl darum, zu recherchieren, wie es mit den willkommenen weitergeht.

die bilder der angst, der hoffnung, der begegnung und des austausches, die augen, die auf ein einfaches „welcome“ entgegenstrahlen, das ein monat alte – auf dem fluchtweg geborene – kind, alle diese bilder sind unauslöschlich in unserem gedanken eingebrannt.

der gestrige tag hat vieles verändert.

cristina colombo und bernhard jenny

wir brauchen viele alberschwende.

screenshot orf alberschwende

viel zu oft gelingt es unseren behörden, menschen einfach verschwinden zu lassen, da die öffentlichkeit nicht davon erfährt. es braucht menschen, die von abschiebeplänen erfahren und sich darauf einstellen, alarm zu schlagen und dagegen zu mobilisieren.

es ist schon absurd mit welchem aufwand unser staat immer wieder versucht, menschen zwangsweise von A nach B zu bringen, sei es ins schubhaftgefängnis oder über die grenze oder per flugzeug in andere kontinente. ausgerechnet ein flüchtling aus jenem land, wo derzeit einer der heftigsten kriege herrscht, soll zwar nicht zurück nach syrien, aber der „ordnung halber“ nach ungarn abgeschoben werden. was ihn dort erwartet, das wissen informierte längst. es verwundert also nicht, dass viele menschen da nicht einfach zusehen wollen.

gleich mit 25 polizeibeamt_innen mit mehreren einsatzfahrzeugen wurde montag früh in alberschwende nach jenem jungen syrer gesucht bzw. das haus, in dem acht asylwerber wohnen umstellt. „als ginge es um terrorismus“ oder einen „schwerverbrecher“ – so die reaktionen aus der bevölkerung. (siehe orf orf bericht)

die bürgermeisterin angelika schwarzmann (vp) aber reagierte nach der verständigung durch die polizei prompt: sie löste alarm über eine telefonkette aus, an der 150 unterstützer_innen teilnehmen. daher waren gleich mal 20 unterstützer_innen vor ort. da die polizei den betreffenden nicht finden konnte, wurde der einsatz beendet.

alberschwende wird zu einem weiteren symbol des widerstands gegen abschiebungen. „wir sind asyl“ engagiert sich schon seit längerem für die flüchtlinge, die da und dort mitarbeiten dürfen, aktiv am gemeindeleben teilnehmen können und kurse besuchen. in einem rundschreiben der bürgermeisterin schreibt diese:

Es gärt im Land, es rumort in den Gemeinden! Durch unsere Aktivitäten mit Asylwerbern haben wir Einblick in die Unzulänglichkeiten des europäischen Asylsystems (Dublinabkommen) bekommen. Wir sind nicht mehr gewillt, uns gleichgültig den ‚Achselzuckern‘ anzuschließen. Wir Menschen an der Basis scheinen in puncto Asylpolitik weiter zu sein, als die mutlose und – in diesem Falle – unehrliche ‚hohe‘ Politik.

Wir schreiben in unserem beiliegenden Manifest ganz bewußt vom zivilen Gehorsam, weil wir die EU-Grundrechtscharta befolgen, indem wir staatlich angeordnete Deportationen verhindern, die zu Menschenrechtsverletzungen führen können.

Wir geben die Stimmung von Bürgerinnen und Bürgern (Wählerinnen und Wähler) an der politischen Basis wieder. Ihre Basis handelt bereits im Sinne der Menschlichkeit. Für die hohe Politik wird es höchste Zeit, eine Asylpolitik des 21. Jahrhunderts zu entwickeln, ohne Schielen auf ewig gestriges Gedankengut.

In Vertretung vieler Bürgerinnen und Bürger, Angelika Schwarzmann, Bürgermeisterin.

(hier das schreiben und manifest zum download)

beeindruckend, wie klar die alberschwender bevölkerung sich gemeinsam mit der politischen gemeindeleitung auf die seite der schwachen stellt!im manifest – an dem politik, kultur und pfarre beteiligt sind – heisst es u.a.:

Da Schutz und Sicherheit durch die unmenschliche Abschiebepraxis nicht gewährleistet ist, sehen wir uns bei „Rückführungen“ in Länder wie Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Italien berufen, unsere Asylwerber auch gegen die eigenen Bundesbehörden zu schützen.

Die Gemeinschaft von Alberschwende stellt sich dem Bruch von Grundrechten entgegen.

Es ist unser Recht, ja unsere staatbürgerliche Pflicht, solches Unrecht zu verhindern.

das dorfleben in alberschwende ist geprägt von der aktiven einbindung der menschen. eine übersicht über die aktivitäten seit jänner zeigt uns allen, was möglich ist, wenn alle wollen:

• Unsere Asylwerber übernehmen den Generalputz des Hermann Gmeiner Saales (großer Dorfsaal mit ca. 400 Sitzplätzen)
• Unser syrischer Mathematiker hält an der VMS Mathematikunterricht in englischer Sprache; die Schüler sind begeistert und nützen auch die Gelegenheit, etwas über Syrien zu erfahren
• Renovierung der Jugendräume unserer Gemeinde
• Mitarbeit mit den Gemeindebediensteten, wenn Not am Mann ist
• Mithilfe in Privathaushalten, wenn diese über die Caritas angefordert wird (Nachbarschaftshilfe)
• Mitbeteiligt beim Theaterprojekt „Zeitungstheater“ im kleinen Kultursaal des Mesmers Stall. Im Anschluss ans Theater gab es ein großes arabisches Buffet
• Ein Asylwerber ist bereits beim Fußballverein unter Vertrag
• Gemeindevertretungswahlen: die acht Männer backen Kuchen, unsere Wählerinnen erhalten als Gruß ein syrisches Häppchen
• Einladung in die Sonntagsmesse durch Pfarrer Peter Mathei (es war der Wunsch der Flüchtlinge, eine Messe besuchen zu dürfen); anschließend eine Agape am Dorfplatz
• Ausstellung in Mesmers Stall: Vier junge Künstler, der Akademie der bildenden Künste in Wien gestalten eine Ausstellung. Unsere Asylwerber bewirten die Besucher (Mesmers Stall ist ein Kultursaal für Kleinkunst)
• Ostersonntag nach der Messe – Syrische Agape am Dorfplatz
• Freiwilliger Deutschkurs durch eine Lehrerin, um das im offiziellen Deutschkurs Erlernte zu vertiefen
• Wer immer bei unseren neuen Mitbürger vorbei schaut, wird bekocht und mit Spezialitäten verwöhntkein mensch ist illegal.

nur eine verhinderte abschiebung ist eine gute.
ein dorf wehrt sich.
ein dorf zeigt uns, wie es geht.
ein dorf wird zum „best practice“ beispiel in sachen menschlichkeit.
wir brauchen viele alberschwende.

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bild: screenshot orf bericht

dieser artikel ist am 13.5.2015 auf fischundfleisch.at erschienen und ist auch dort aufrufbar.

das leben ist kein kinofilm.

foto: thomas geiregger creative commons by

die schauplätze waren noch nie so nah. ein vermutlicher londoner ermordet einen amerikanischen journalisten vor laufender propagandakamera. der islamische staat hat also auch europa- und usa-bezug. die schauplätze waren noch nie so weit weg. was verstehen wir von den vorgängen, was ist information, was ist desinformation? jesiden? peschmerga? wohl vielen erst seit wenigen tagen geläufig.

paradepazifisten wie rupert neudeck fordern ehestmöglich waffen für die in not geratenen, andere wie konstantin wecker oder margot kässmann wollen keine einzige waffe irgendwohin liefern und endlich aktive friedensarbeit ein- und umgesetzt sehen.

zu oft wurden wir opfer von vexierbildern der mächtigen und gezielt getäuscht. wie wollen wir uns klare vorstellungen machen, wie wollen wir entscheiden, was wohl richtig wäre?

michel reimon beeindruckte uns mit seinem so unglaublich einfachen und gerade deshalb so direkten video aus dem nordirak. uns wurde plötzlich klar, dass etwas geschehen muss, dass wir nicht wegschauen dürfen.

haben friedensdienste wirklich keine berechtigung, sobald es um wirkliche konflikte geht? oder ist friedensgerede zynisch, während massenmordende banden durch die dörfer ziehen?

haben waffen jemals etwas gelöst? oder sind waffen das einzige mittel, den aggressor zu stoppen?

lässt sich das geschehen auf die bösen da und die guten dort reduzieren? oder ist das gerede von differenziertheit und vielschichtigkeit menschenverachtend, weil mit jedem geschwafelten wort jene zeit verstreicht, die wieder soundsovielen das leben kostet?

im grossen kino dauern die probleme maximal zwei stunden. und es ist (meist) klar, was gut und richtig war. das reale leben und sterben ist längst nicht so eindeutig, es macht uns mitunter ratlos. in kriegszeiten ist keine zeit: zögern kostet leben, handeln kostet leben.

das leben ist kein kinofilm.

foto: thomas geiregger cc licence by

die polizei verschlimmert das leid von kriegsflüchtlingen.

foto bernhard jenny

stellen wir uns vor: eine strasse weiter brennt es lichterloh. die bewohner_innen der dortigen häuser müssen fliehen, laufen um ihr leben. sie kommen über die grundstücke gelaufen und manchen wollen sich über unser grundstück in sicherheit bringen. die meisten haben nicht einmal vor, sich bei uns niederzulassen, sie laufen durch. aber wir halten sie auf, ergreifen sie und drängen sie zurück auf jenes nachbargrundstück, von dem sie gekommen sind. sollen sich doch die nachbarn um diese menschen kümmern! uns geht das nicht nur nichts an, wir helfen nicht, wir lassen aber auch niemanden durch. wo kämen wir da hin! abgrundtief.

genauso abgrundtief haben wir uns als österreichischer staat schon oft verhalten, zuletzt an diesem wochenende, wo 93 personen – darunter viele kinder, das jüngste erst ein jahr alt – wieder nach italien zurückgeschoben wurden. innerhalb weniger stunden. raus, weg, fort!

eine solche vorgangsweise mag gesetzlich gedeckt sein. sie ist aber abscheulich. wer weiss, dass diese menschen aus kriegsgebieten flüchten und einfach nur irgendwo sich in sicherheit bringen wollen, kann diese menschen nicht einfach zwangsverbringen. wer weiss, dass italien bereits unter der ständig wachsenden und weiter rasch steigenden zahl von flüchtenden menschen aus allen möglichen krisengebieten schwer zu kämpfen hat, darf diejenigen, die aus italien raus wollen, nicht einfach zurückbringen. wer weiss, dass die flüchtenden in andere länder weiter reisen wollten und sie daran hindert, handelt zynisch.

dublin II oder was auch immer. die mitmenschlichkeit verlangt menschen in not immer schutz und hilfe anzubieten. uns dürfen die kriege, die gewaltausbrüche und „säuberungen“ in den krisengebieten nicht egal sein.

und wir müssen menschen, die von dort flüchten, sicherheit gewähren.
jede abschiebung ist ein verbrechen. mit diesen abschiebungen wird das leid der aus not flüchtenden menschen nur verschlimmert. wir werden zu komplizen der verbrecherischen vertreibungen.

was sich die tiroler polizei am wochenende geleistet hat, ist ein menschenrechtlicher skandal.
es zeugt von einer unmenschlichen haltung der behörden, die schärfstens zu verurteilen ist.

die polizei verschlimmert das leid von kriegsflüchtlingen.

mikl-leitner ist schuldig.

foto: julian schüngel - medevac71 - creative commons by nc nd

sind sie schon einmal von der rettung oder feuerwehr aus einer lebensbedrohlichen lage gerettet worden? haben die helferInnen sie vor den ersten handgriffen gefragt, ob sie „christlichen glaubens“ seien? genau das passiert jetzt. rettung „nur für christen“!?

wenn mikl-leitner nun zu ostern bekannt gegeben hat, dass sie bereit sei, zusätzlich zu den (längst nicht erfüllten) 500 flüchtenden menschen aus syrien nun weitere 1000 aufzunehmen gedenke, so darf sie deshalb nicht gelobt werden. nicht nur, dass angesichts der gesamtzahl der aus syrien flüchtenden menschen auch diese zahl viel zu niedrig ist. es wird – kaum vorstellbar – zynisch selektiert: die im gleichen atemzug angekündigte „besondere Rücksicht auf verfolgte Christen“ widerspricht den menschenrechten, der grundrechtecharta der europäischen union und der flüchtlingskonvention. (schade, dass caritas-chef landau und kardinal schönborn in die falle tappen und der innenministerin danken, statt die zynische selektion zu bedauern. aber wenn die richtigen ausgesiebt werden, stört das vermutlich nicht.)

offensichtlich sollen die rassistisch-antiislamistischen strömungen in den braunen sümpfen unseres landes befriedigt werden. mikl-leitner und ihr politisches umfeld giessen somit öl in jenes feuer, das die kultur unseres landes zu vernichten droht. wer ressentiments fördert statt einen humanitären auftrag unmissverständlich und ohne wenn und aber umzusetzen, macht sich schuldig. wer bei in not geratenen menschen selektiert, macht sich schuldig.

mikl-leitner ist schuldig.

artikel september 2013 über selektion von flüchtlingen

artikel über mikl-leitner
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foto: julian schüngel – medevac71 – creative commons by nc nd