der gestrige tag hat vieles verändert.

foto: bernhard jenny cc by sa

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der gestrige tag hat in uns vieles verändert. sehr vieles. als wir über michel reimon und robert misik vom ersten zug aus ungarn richtung münchen erfuhren und wussten, dass die willkommenen aus syrien und anderen ländern wohl dringend das nötigste brauchen werden, war uns klar, wir lassen alles liegen und stehen und fahren richtung salzburger hauptbahnhof.

es war sehr schön, dort viele bekannte gesichter zu sehen, viele kauften spontan wasser, babynahrung und obst ein. es war beeindruckend, wie schnell in kürzester zeit hier freiwillige helfer_innen aktiv wurden.

zu diesem zeitpunkt ahnten wir bereits, dass dieser zug wohl nicht der einzige sein wird, schnell war klar, es kommen weitere züge und in der nacht wird die situation zusätzlich schwieriger werden, weil dann weit über 1000 menschen auf dem hauptbahnhof stranden werden, denn die früheste weiterreise nach deutschland war dann erst wieder ab 4 uhr früh möglich.

die öbb teilte uns schnell mit, dass wir – die rasch wachsende zahl an freiwilligen helfer_innen aus verschiedensten richtungen – nun auch obst und wasser auf rechnung der öbb im supermarkt kaufen könnten, um diese für die versorgung der willkommenen vorzubereiten.

mit jedem eintreffenden zug wurde der bahnhof voller und voller, gegen mitternacht waren dann wohl zwischen 1000 und 1300 menschen im und vor dem bahnhof: frauen, männer, jugendliche, kinder und babys.

manche kinder schrieen vor hunger, andere waren krank; als die essensvorräte aufgebraucht waren wurde die situation fast unerträglich. kinder bedrängten uns um essen, gaben uns zu verstehen, dass sie hunger haben, jede eintreffende spende von menschen, die via facebook mitbekommen hatten, was am bahnhof abgeht, verflüchtigte sich innerhalb von sekunden wie die nicht nur sprichwörtlichen „warmen semmeln“.

martina berthold als zuständige landesrätin war vor ort und konnte erreichen, dass vom merkur wenigstens ein lastwagen mit babynahrung und brot eintrifft, denn das inzwischen auch eintreffende rote kreuz war ohne essen angerückt. in mehrfachen diskussionen mit dem einsatzleiter war die lapidare auskunft immer wieder „wir tun unser möglichstes“, was schliesslich nach stunden auch in der anlieferung eines (!) teekessels mündete, mit hagebutten tee. dass menschen aus syrien eher schwarztee trinken würden, war wohl nicht bekannt.

nicht nur wir, sondern auch andere freiwillige helfer_innen bekamen den eindruck, dass genau diejenigen, die bis zum eintreffen des roten kreuzes den „versorgungsbetrieb“ gemeinsam mit der öbb geschaukelt hatten wohl „im weg stünden“ und lieber nachhause fahren sollten.

es ist nicht zu verstehen, warum in einer solchen situation ein rotes kreuz mit leeren händen anrückt, wenn der lkw via martina berthold nicht gewesen wäre, hätte es einen kessel tee gegeben. auch medikamente waren keine vorhanden, zahlreiche hilfesuchende, die uns ansprachen wie zb. nach antibiotika oder asthma-medikamenten gingen leer aus.

auf zugegeben heftig geäusserte alarmierungen, dass hier zahlreiche kinder vor hunger schreien, antwortete der einsatzleiter, dass für die ernährung das rote kreuz nicht zuständig wäre, „erst wenn ein kind dehydriert ist oder sonst deutliche mangelerscheinungen zeigt“, dann wären sie zuständig. wie bitte???

insgesamt waren wohl die anwesenden magistratshoheiten und die leitung des roten kreuzes zumindest überfordert, das aufstellen von feldbetten um 1 uhr früh, zu einem zeitpunkt, wo sich die meisten der willkommenen bereits auf blankem boden hingelegt und viele bereits eingeschlafen waren, entbehrt nicht eines gewissen aktionismus, der in presseberichten natürlich gut ankommt.

die mitarbeiter_innen der roten kreuzes beschränkten sich auf eine präsenz in einem bestimmten sektor des bahnhofes, die sanitäter_innen gingen keineswegs durch die menschenmassen durch, um herauszufinden, wer hilfe benötigt, es waren wieder die freiwilligen helfer_innen, die menschen zur hektisch eingerichteten „versorgungsstation“ bringen mussten, obwohl dort – wie gesagt – ohnehin keine medikamente vorhanden waren.

wir müssen lernen. ein solches bild der unzulänglichkeit darf sich nicht wiederholen. es ist die pflicht der zuständigen behörden, in solchen situationen mit augenmass und professionell vorzugehen. es gibt katastrophen (wie erdbeben), die sich überhaupt nicht ankündigen, da sind reaktionszeiten verständlich. warum die letzten einsatzkräfte des roten kreuzes nach eigenen angaben erst um 1 uhr per sms alarmiert wurden, obwohl bereits spätestens seit nachmittag voraussehbar gewesen war, wieviele menschen auf ihrem weg aus dem tod in das leben in salzburg vorübergehend landen werden, ist nicht zu verstehen.

es kann nicht sein, dass eine facebook/twitter-community mit fast einem halben tag vorsprung vor den offiziellen einsatzkräften reagieren muss und das niemanden zum nachdenken bringt.

hier werden die verantwortlichen und wir alle lernen müssen.

über die menschlichen begegnungen und eindrücke wollen wir gesondert noch berichten, jetzt geht es wohl darum, zu recherchieren, wie es mit den willkommenen weitergeht.

die bilder der angst, der hoffnung, der begegnung und des austausches, die augen, die auf ein einfaches „welcome“ entgegenstrahlen, das ein monat alte – auf dem fluchtweg geborene – kind, alle diese bilder sind unauslöschlich in unserem gedanken eingebrannt.

der gestrige tag hat vieles verändert.

cristina colombo und bernhard jenny

Autor: bernhardjenny

kommunikationsgestalter meine unternehmen: jennycolombo.com, conSalis.at blogger, medienkünstler, autor, erwachsenenbildner salzburg - wien

14 Kommentare zu „der gestrige tag hat vieles verändert.“

  1. Ob es sinnvoll ist unter den Helfer_innen zu suchen wer wieviel gemacht hat ist fraglich! Jede einzelne Person die da war ist großartig und hat Solidarität gezeigt!

    Artikel wie solche ist der grund wieso die linken sich immer spalten und deshalb den Rechten nicht geschlossen die Stirn bieten können!
    Danke an alle die dort waren und Menschlichkeit gezeigt haben!!!!

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    1. solche kommentare sind der grund, weshalb viele immer noch in links/rechts schema denken. forget it. „geschlossen die stirn bieten“ setzt voraus, dass die hirne alle zu sind. nur buntheit und vielfalt kann gegen die menschensortierer_innen wirken.

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  2. der gestrige tag/die gestrige nacht hat gezeigt, dass wir es miteinander schaffen. der heutige tag/die heutige nacht wird zeigen, dass wir alle aus den erfahrungen lernen können und werden. danke an ALLE: den freiwilligen helferinnen, den flüchtlingen und mehrsprachigen helferinnen, die unermüdlich übersetzt haben!! den ÖBB-mitarbeiterinnen, den vielen Rot-Kreuz-freiwilligen, der polizei, den behördenvertreterInnen. und eine kleine richtigstellung: ich hab nicht den merkur-truck zu verantworten, sondern, dass die zentralen basisinformationen in unterschiedlichen sprachen durchgesagt worden sind, auf den screens erschienen, als kopien verteilt worden sind. hab laufende infos ausgetauscht, vernetzt, verbunden und war als landesvertreterin und MENSCH im einsatz…

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    1. hallo martina, ich wollte in keinster weise deine leistungen schmälern, im gegenteil, wie gesagt ohne den von dir organisierten truck wäre es verdammt eng geworden… und sowohl du als auch simon sind gemeinsam mit vielen anderen bis ganz spät in der früh geblieben. das ist wirklich sehr dankenswert! ja, ich meine es genau so: wir alle müssen aus dem lernen.

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  3. Meine Meinung zu diesem Beitrag: eine Beleidigung gegenüber der „freiwilligen“ Mitarbeiter des Roten Kreuzes. … und ach die so lieben Politiker… wieder mal auf Stimmenfang….. Tja wer keine Ahnung hat kann sich leicht das Mail zerreissen. Ich verachte Sie auf´s tiefste.

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  4. Zunächst werde ich mich für dien letzten Satz mit der Verachtung entschuldigen, kam aus einer emotionalen Gefühlsregung heraus. Ich bitte diese Entschuldigung anzunehmen.

    Ich frage mich nur , ob diese Personen welche solche Artikel verfassen, und damit meine ich auch Sie , getan haben in der Zeit von 23.00 Uhr abens bis 6.00 Uhr früh??? Gut geschlafen oder gemütlich zuhause gesessen bei einem Glas Wein?

    Nicht nur das Rote Kreuz, sondern auch andere Organisationen bestehen hauptsächlich aus freiwilligen Mitarbeiter welche ihre sperrliche Freizeit dafür OPFERN,, dass diesen Menschen auf der Flucht WÜRDEVOLL und ausreichend geholfen wird. Sie sehen und fühlen das Leid unmittelbar vor Ort und ermöglichen alles um dieses Leid ein wenig zu lindern.
    Dann kommen solche Kommentare wie Schwarztee statt Hagebuttentee nicht so gut an.

    Solche Artikel, welche Sie verfassen, ist meiner Meinung ein Hassposting gegenüber der Organisation und den freiwilligen Mitarbeitern und kränken obendrein, weil diese VORORT Hilfe leisten ohne Bezahlung und am nächsten Tag wieder ihrer Arbeit nachgehen und IHR täglich Brot verdienen, ohne gefragt zu werden, was sie in der Nacht getan haben.

    Sollte sich so eine Situation wiedermal ereignen, wäre es interessant, ob Sie sich dazu bereit erklären, ihre Freizeit in der Nacht zur Verfügung zu stellen und VORORT bis zum Ende mitarbeiten, und danach auch noch ihr Tagespensum bei ihrem Arbeitsgeber zu erfüllen.

    Kurz noch ein Ausschweifer zum Thema Politik: Ihr Antwortkommentar und das Kommentar von Martina Berthold ist ein Stimmenfang in „meinen“ Augen.

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    1. sorry, hier triffst du absolut auf den falschen. ich wollte hier keine zeiten ausbreiten, aber wenn du mir so blöd kommst, dann bitte: ich war – wie viele andere auch – bereits am NACHMITTAG beim allerersten zug, der mit willkommenen durch salzburg nach münchen gefahren ist dabei, denen wasser, brot und babynahrung in den zug zu reichen. und ich bin DIE GANZE NACHT – wie viele andere und immer mehr werdende auch – dort geblieben. also geht dein untergriff ins leere. die verärgerung ist nicht nur meine, sondern sehr vieler, die eben bereits am nachmittag wussten, was sich da anbahnt. und dann brauchen die offiziellen bis spät in die nacht um anzurücken? die meisten vom roten kreuz sind um 1 uhr per sms alarmiert worden. da war das meiste schon gelaufen. dank der tatkräftigen und finanziellen unterstützung der ÖBB-leute waren am ende sicher hundert freiwillige menschen damit beschäftigt, die menschen zu betreuen und ihnen auch sicherheit zu vermitteln. die „einsatzleiter“ sind ab ca. 21:00 oder 22:00 mehrfach sich abschirmend durchgegangen, aber niemand ging auf irgendjemanden zu. und ich bin nicht der einzige, der von den leuten des roten kreuzes signalisiert bekommen hat, wir wären jetzt eigentlich nur im weg, wir sollten nachhause fahren. diese haltung bekamen wir massiv zu spüren. haben wir aber weggesteckt, denn die willkommenen waren unser anliegen. ich selbst bin – wie viele andere auch – mehrfach mit kranken durch die menge durch zurück in den „ambulanzbereich“ gegangen, wo die erste antwort „no medicine“ war, ach wie professionell. ich verstehe schon, dass eine kritik an einer so ehrwürdigen organisation wie dem roten kreuz manche in die falsche kehle bekommen. aber es kann nicht sein, dass jene, die über stunden bereits unter massivem energieeinsatz dort geholfen haben, als störelemente betrachtet und behandelt werden. das geht einfach nicht.

      wir waren sehr viele und das war das schöne. ein grossteil blieb sehr lange, wir haben den bahnhof in der morgendämmerung verlassen. institutionen und behörden werden lernen müssen, dass es eine MÜNDIGE und AKTIVE zivilgesellschaft gibt!

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  5. hallo!

    ich machte vorgestern am wiener hauptbahnhof die selben erfahrugen: von caritas und hilfswerk wurden den ganzen tag zuständigkeiten diskutiert, außerdem hat er die falschaussagen der öbb mehr geglaubt als mir – öbb sagte, dass alle tickets haben (die menschen haben uns nacch tickets gefragt) dass keine neuen flüchtlinge gekommen sind (waren „nur“ kleinere gruppen neu eintreffender) außerdem wurden uns 3 biertische versprochen, die niemals eingetroffen sind. die caritas ist sogar direkt am hauptbahnhof – niemand hat sich persönlich ein bild von der lage gemacht!!!
    zugegeben – nachhdem die grenze in ungarn zugemacht wurde und die menschen vor wien aus dem zug geworfen wurden waren es nicht mehr so viele. trotzdem: knappe 100 warens auch. (hauptbahnhof wien, am westbahnhof waren es mehr)

    auch die öbb, die anscheinend diese information an hilfswerk weitergegeben hat – haben nicht mit uns geredet und waren einfach nicht vor ort – wie ignorant!

    also, nach wie vor sind bürger gefragt, hilfsdienste arbeiten ja ansheinend auch nach politischem kalkül.
    dranbleiben – und per facebook & co verbreiten was gebraucht wird!!

    danke für dein engagement!

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