sebastian schlägt sebastian um längen (#corona #20)

ihr müsst jetzt stark sein. ich hielt es ursprünglich für einen scherz, einen geschmacklosen, aber es ist doch wahr. die verehrung des heiligen sebastian, also des wirklichen heiligen, jener der um 288 in rom als märtyrer gestorben sein soll, bekam erst etwa vierhundert jahre nach seinem tod wirkliche bedeutung. der grund: auf seinen beistand, auf die ihn erreichenden anrufe hin erlosch die pest 680 in italien.

da war der eigentliche sebastian also schon 400 jahre tot.

nun, in der aufgeklärten heutigen zeit gibt es wieder einen sebastian. manche verehren in nun schon seit seinem ersten griff zur macht, nun aber, da er vorgibt der bezwinger der seuche zu sein, wird er anscheinend schon zu lebzeiten als heiliger verehrt.

ihr müsst jetzt stark sein. ich hielt es ursprünglich für einen scherz, einen geschmacklosen, aber es ist doch wahr. der orf hat in einer aktion die kinder des landes dazu eingeladen unseren obersten anzugträger doch bitte zu zeichnen. möglichst viele kinder sollten zeichnungen des helden senden. schliesslich ist er es ja, der…

ist das nicht irgendwie kim jong bast oder so? ich höre schon die zwischenrufe, das sei doch ein unterschied. niemand aus dem kabinett des bundesbasti hat die aktion bestellt, niemand hat befohlen, die kinder müssen jetzt den maskenkanzler zeichnen und ausmalen.

zugegeben. aber auch in nordkimlandia würde es nicht der oberbefehlshaber aller zeiten persönlich gewesen sein, der in seiner unübertrefflichen weisheit den befehl ausgibt, jedes kind möge einen kleinen jongbim pinseln.

es würde vielmehr eine verauseilend, dem staatschef sich andienenden idee gewesen sein, irgendwo in einer redaktion oder einer behörde, die das nur allzugerne veranlasst. ist doch nett. oh wait! nicht anders dürfte es auch hier gewesen sein. jemand fand es halt einfach angebracht, den landesheiligen zeichnen zu lassen, solange er noch wirkt.

und da hat der heutige sebastian dem sebastian vor fast zwei jahrtausenden was voraus: letzterer musste erst mal 400 jahre auf der ersatzbank im jenseits warten, bis er endlich wieder auf das gesegnete spielfeld der beliebten helfershelfer durfte. der heutige ist noch nicht mal mit der bezwingung der seuche fertig, wird er schon verehrt.

sebastian schlägt sebastian um längen

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Bild: Andrea Mantegna um 1457 gemeinfrei + Kremlin.ru CC-BY 4.0 remixed by bernhard jenny CC-BY 4.0

wer da ist, ist da. willkommen! (#corona #19)

jetzt wäre der richtige moment, haltung zu zeigen. staatshaltung. in diesen tagen wurde bekannt, dass die reisebeschränkungen wohl eine der hartnäckigsten folgen der coronakrise sein werden. ein- und ausreise in unser land wird noch lange nicht einfach passieren.

das hat nicht nur auswirkungen auf viele berufsgruppen, die uns lange nicht so bewusst waren: von den 24-stunden-pfleger*innen bis zu den gurken-erntehelfer*innen. wir kommen ohne menschen aus dem ausland nicht aus.

das bedeutet aber auch: wir sind als land plötzlich auf uns selbst zurückgeworfen. das sollte uns zum nachdenken bringen. eine unglaublich bedeutungsvolle entscheidung könnte sein: wer da ist, ist da. und darf bleiben. schluss mit dem zynischen herumgetruckse zwischen asyl hin und her, zwischen aufenthalt hin oder her, arbeitsgenehmigung hin oder her.

wir brauchen uns. wir brauchen uns alle. in zeiten, in denen die einreise und ausreise ohnehin (für manche schmerzhaft) nicht möglich ist, sollten wir denen, die bleiben wollen, ein herzliches „willkommen“ zurufen. es wäre ein befreiender erster schritt!

in krisenzeiten haben wir wichtigeres zu tun, als menschen in berechtigte und unberechtigte zu sortieren. wir könnten beginnen, eine gesellschaft der sozialen wärme aufzubauen. wir müssen in diesen wochen so viele gegebenheiten akzeptieren und lernen mit ihnen zu leben, warum nicht auch endlich einen erleichternden schlussstrich unter zermürbende verfahren? was haben wir wirklich davon?

es gibt momente im leben, die entscheidend sind, weil sie manchmal von völlig neuen bedingungen geprägt werden. einen solchen moment bedeutet die derzeitige coronakrise allemal.

wieviel energie, wieviel aufwand bedeuten die laufenden verfahren? nicht zuletzt könnte auch eine unsumme an kosten eingespart werden, wenn all die schwebenden verfahren eingestellt werden und klar ist:

wer da ist, ist da. willkommen.

 

dieser text ist am 10.3.2020 auf DERSTANDARD.AT erschienen.

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Bild von kalhh auf Pixabay

kein social distancing! (#corona #18)

einige stimmen in den social media bemerken bereits seit tagen zurecht, dass das von der regierung von anfang an eingeführte wording „sozialkontakte vermeiden“ in eine falsche ebene zielt. das gegenteil ist für die psychische gesundheit und das gute durchkommen in der krise nötig:

trotz der vermeidung der „physischen kontakte“ müssen wir alles daran setzen, dennoch den sozialen kontakt nicht abreissen zu lassen. das gelingt bei vielen scheinbar „spielend“ via facebook, instagram und co. oder per videoschaltungen und online-meetings, bei anderen zielgruppen wird es wohl eher auch das klassische telefongespräch oder gar ein brief sein.

lassen wir niemanden allein. denken wir nach, wer eventuell wenig kontakte hat, wer unter umständen verängstigt allein zu hause sitzt oder zu zweifeln beginnt, ob wir denn jemals wieder aus dem ausnahmezustand rauskommen.

wir sollten niemanden vergessen, schon gar nicht in einer solchen krise.
es geht ausschliesslich um das vermeiden physischer kontakte!
kein social distancing!

ps. das bild zeigt den makartsteg in salzburg, heute mittag.

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bild: bernhard jenny cc by

hermann glettler findet klare worte (#corona #17)

am sonntag war palmsonntag. bischof hermann glettler, hat in seiner predigt in innsbruck direkten bezug auf die situation genommen, in der wir heute stehen.

doro blancke, eine vielen von euch bekannte menschenrechtsaktivistin, die mit sehr viel engagement u.a. mit dem verein fairness asyl gemeinsam mit anderen quasi „in serie die hoffnung nicht aufgibt“, hat mir diese predigt in voller länge übermittelt.

an dieser stelle will ich zwei teile hervorheben, die mich besonders berühren:

Was ist los mit uns Menschen? Die Covid-Seuche hat unsere eingebildete Souveränität entlarvt. Wir sind viel verwundbarer als wir dachten – trotz aller Versicherungen und Absicherungen. Ohnmacht ist das momentane Grundgefühl – im System Gesellschaft und für viele persönlich bedrängend. Ohnmacht, weil niemand das zerstörerische Ausmaß der bedrohlichen Krankheit einschätzen kann. Die Wirtschaft ist dabei zu kollabieren. Arbeitslosenzahlen wie noch nie. Medizinische Einrichtungen an ihren Grenzen. In dieser Ohnmacht feiern wir Palmsonntag.

da versteht jemand ganz genau, wie es uns derzeit geht, wo die probleme liegen, die uns wirklich drücken. und er vergisst dabei niemanden:

Was ist los mit Europa? Was ist los mit unserer Verantwortung in Europa – wenn einzelne Staaten sich von demokratischen Strukturen verabschieden? Was ist los, wenn südliche Länder mit ihren Überforderungen allein gelassen werden? Was ist los mit unserer Solidarität, wenn auf griechischen Inseln Tausende Asylsuchende im Dreck hausen – in heillos überfüllten Lagern und nicht wegkommen? Bräuchten wir nicht ganz rasch viele Allianzen von Willigen, von Weitsichtigen – Allianzen von Menschen, die nach dem Programm Jesu leben, den wir heute empfangen? Ja, da wäre was los, wenn es nicht mehr primär um die nationalen Interessen ginge, nicht mehr um ungenierte Profite auf Kosten anderer und der Natur. Ja, da wäre was los, wenn die Sorge um die Schwächsten oberste Priorität hätte. Jesus wusch den Jüngern die Füße und sagte: Tut dies zu meinem Gedächtnis.

beeindruckend, wie kraftvoll doch der aus tiefem glauben formulierte auftrag für konkretes handeln formuliert wird. unabhängig, ob jemand wie glettler durch den bezug auf den glauben, andere durch bezug auf grund- und menschenrechte die lage analysieren. die konsequenz für das politische handeln sollte die gleiche sein.

da ist es wichtig, wenn möglichst viele endlich tachles reden.
hermann glettler findet klare worte.

„was ist los?“ – predigt von bischof hermann glettler in voller länge

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Bild: Universalmuseum Joanneum CC BY 2.0

 

david alaba ist der falsche. (#corona #16)

es erscheint so logisch. die aufregung über die unglaublichen entgleisungen französischer wissenschafter, die laut über teststudien für eine covid19-impfung in afrika nachdenken, ist unverzichtbar und wirklich wichtig. (siehe orf)

und natürlich ist es super, wenn sich ein so prominenter sportler wie david alaba gegen diesen rassistischen wahnsinn äussert. und auch klar, dass es nicht weniger schön ist, wenn kollegen wie didier drogba und samuel eto´o ihren protest äussern.

wo ist dann der fehler? samuel eto´o kommt aus dem kamerun, didier drogba von der elfenbeinküste und david alaba hat einen nigerianischen vater. das ergibt ein scheinbar logisches bild, ist aber sehr schnell von fataler wirkung.

es müsste alle menschen dieser welt aufregen, wenn rassistisch / kolonialistische verhaltensmuster ganz easy vom hocker verbreitet werden. das darf nicht nur diejenigen aufregen, die in der öffentlichkeit als die „betroffenen“ wahrgenommen werden. denn dadurch wird der protest quasi an die „zielgruppe“ des rassismus delegiert. so nach dem motto: sollen sie doch selbst sehen, wie sie sich gegen diese ungerechtigkeit wehren.

nein. wenn wir den widerstand gegen offenen rassismus und (neo)kolonialismus nicht zu unser aller angelegenheit machen, dann verstärken diese proteste nur noch das system der ungerechtigkeit.

wohlgemerkt: es ist wirklich wichtig und super, dass er die stimme erhoben hat, das erregt doch wesentlich mehr aufmerksamkeit für ein wesentliches thema. aber allein darf er nicht gelassen werden.

so gesehen:
david alaba ist der falsche.

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fotos: Brian Minkoff-London Pixels , Steindy (talk), Granada, all CC BY-SA 4.0

 

weder romantik noch naivität (#corona #15)

türkisgrün hat sich mit sicherheit einen ganz anderen verlauf der regierungsarbeit vorgestellt. nun ist die frau_mann_schaft ordentlich gefordert, das land durch eine völlig unerwartete weltkrise zu manövrieren.

da steigen popularitätswerte fast ebenso exponentiell wie ursprünglich die covidkurve, da scheinen dinge dem „volk“ zumutbar zu sein, die vor kurzem absolut undenkbar gewesen wären. zu einem bestimmten teil sind die hohen zustimmungsquoten der bevölkerung nicht verwunderlich, bisher ist es dem türkisgrünen team gelungen, sicherheit und professionalität zu vermitteln. das ist durchaus anzuerkennen.

wenn ein nationalratspräsident über die verpflichtung zur tracking-app nachdenkt, dann ist das kein zufall und keine persönliche panne. auch das zurückrudern gehört dann zum spiel. es wird ausgelotet, was geht und was noch nicht geht. noch.

viel fehlt nicht: das rote kreuz als „absender“ der app ist eine wunderbare tarnung, da hätte es die polizei, das BMI oder gar das militär schon viel schwerer, vertrauen aufzubauen. dass ein den türkisen sehr nahestehender versicherungskonzern daten aller art irgendwie zwischen die datenleitungen zu greifen bekommen könnte, wird nur wenigen bedenken bereiten, das sind details ohne grosse breitenwirkung.

noch vor wenigen tagen ist der bundesrettungskommandant im interview mit susanne schnabl im orf-report sehr auffällig nervös geworden, als diese ihm die frage nach einer eventuellen verpflichtung zur app-nutzung stellte. „ich möchte die diskussion hier abbrechen“, dieses statement liess tief in die psyche des krisenstabes blicken.

vielleicht ist ja wirklich eine mehrheit der regierung oder zumindest des krisenstabes derzeit noch nicht für „alles was geht“. rudi anschober ist glaubhaft in seinem engagement zur eindämmung der pandemie.

allerdings sind die begehrlichkeiten der immer gleichen player sicher mit türkusgrün nicht abgeschafft. der wechsel von einem blaubraunen innenministerium zu einem türkisen innenministerium dürfte keine revolution um 180 grad bedeutet haben. und die geheimdienste, so zerbröselt und blossgestellt sie durch razzien und leaks sich auch darstellen mögen, sind inzwischen auch nicht zu harmlosen schildkrötenschutzvereinen mutiert.

wenn wir in diesen tagen die diskussion über eine rotkreuz-uniqa-tracking-app im kampf gegen corona diskutieren, dann diskutieren wir in wirklichkeit nur über zwei dinge: 1. über die akzeptanz einer solchen massnahme in der bevölkerung und 2. über die legalität – nicht zuletzt verfassungskonformität – solch schwerwiegender eingriffe in die persönlichen rechte.

denn die frage, ob das technisch machbare auch – von wem auch immer – genutzt wird, dürfte erfahrungsgemäss mit hoher wahrscheinlichkeit mit ja zu beantworten sein. ganz ohne branding durch uniqa oder rotes kreuz, aber auch ohne jegliche gesetzliche freigabe, wird es immer interessierte geben, das datenmeer zu befischen. für diese erkenntnis brauchen wir edward snowden nicht einmal fragen.

bei allem berechtigten einsatz gegen das virus, dürfen wir uns nicht in falschen gefühlen ergehen:
weder romantik noch naivität

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Bild von Jan Vašek auf Pixabay remixed by bernhard jenny cc free

eine solidargesellschaft? (#corona #14)

nicht oft genug kann den menschen mit systemerhaltenden berufen oder ehrenamtlichen tätigkeiten gedankt werden. ihnen allen wäre zu wünschen, dass die bedeutung dessen, was sie tun, nicht am vierten oder fünften tag nach der krise vergessen wird.

diesmal sollen aber jene in den fokus gebracht werden, die nun schon seit geraumer zeit zum überwinden der krise und zum gelingen der eindämmung beitragen. das sind viele, viel mehr als jene, die im netz sichtbar und hörbar sind. sie alle aber verdienen gewürdigt zu werden:

diejenigen, die allein zuhause sein müssen und viel einsamkeit ertragen, diejenigen, die mit ihrem kind oder kindern nun schon ordentlich lange ausharren, diejenigen, die zu zweit, zu dritt, zu viert oder mehr manchmal in nun plötzlich viel enger erlebten räumen dennoch nicht durchdrehen, diejenigen, die langsam zweifeln, ob das alles wirklich „real life“ ist, diejenigen, die manchmal schlapp machen und glauben, nicht mehr zu können, diejenigen, die sich an abstandsregeln und sonstige empfehlungen halten, auch wenn es manchmal nicht leicht ist, diejenigen, die trotz schwierigkeiten nicht verzweifeln und auf bessere zeiten setzen, diejenigen, die mit psychischen problemen umgehen müssen und sich jetzt besonders gefordert sehen, diejenigen, die aufgrund von behinderungen in diesen tagen nochmals zusätzliches zu bewältigen haben, diejenigen, die krank sind und eigentlich noch viel mehr umsorgung bräuchten, als das derzeit möglich ist, diejenigen, die ihre nabelschau überwinden und mit freund*innen telefonieren, diejenigen, die sich nicht scheu machen lassen, weder von panikmeldungen noch durch verharmloser*innen.

da sind die kinder, die in diesen wochen vieles aushalten müssen, was so nicht vorgesehen war, und jene, denen noch nicht alles wirklich erklärt werden kann, jene, die spüren, dass irgendwas seltsam ist und sich vielleicht nur wundern, kinder, die gerne auch die grosseltern wieder „in echt“ besuchen wollen und langsam anfangen, zu digital skeptics zu werden, kinder, die die lust am entdecken nicht verlieren und sich trotz aller schwierigkeiten am leben erfreuen.

und die grosseltern, die durchhalten, jene, die erst seit wenigen wochen wissen, dass sie als „alt“ eingestuft werden und jene, die das gefühl nicht los werden, ständig nur als „risikogruppe“ gesehen zu werden. jene, die die enkel vermissen und jene, denen der alltag abhanden gekommen ist, jene, die sich sorgen um die zukunft machen und dabei nicht nur die eigene meinen.

es sind viele, die diese krise aushalten müssen, es sind viele, die durch ihr verhalten das funktionieren der massnahmen erarbeiten.

nicht die politiker*innen, nicht die krisenstäbe – ohne deren leistungen schmälern zu wollen – und nicht die „relevanten dienste“ allein sind es, die an der bekämpfung der pandemie arbeiten. es sind viele, sehr viele, die entscheidendes leisten.

eine solidargesellschaft?

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foto: bernhard jenny cc by