tödliche schlamperei und unachtsamkeit

nach der sommerpause blieb für mich immer noch der fall jenes jungen menschen, der von der polizei erschossen wurde ein vorfall, den ich nicht einfach so vergessen konnte. es ist schon unglaublich, wie schnell solche vorfälle in die kollektive vergesslichkeit fallen und dann nur mehr gelegentlich aufblitzen. dabei war der in der öffentlichkeit wahnehmbare umgang der behörden mit diesem fall mehr als bedenklich.

und nun heute die nachricht von einem schubhäftling, der plötzlich stirbt. und es scheint wieder um die vertuschung und schönung von schrecklichen tatsachen zu gehen. den offensichtlichen zusammenhang zwischen dem hungerstreik und dem tod des indischen schubhäftlings ist natürlich für die polizei nicht gegeben.

war wiedereinmal die sicht nicht gegeben, obwohl die beleuchtung ausreichte? werden jetzt wieder beamtInnen tagelang nicht vernehmungsfähig sein? wird man die schrecklichen umstände im schubhaftsgefängnis mit dem vokabular eines hotelprospekts zu beschreiben versuchen?

auch wenn diese beiden fälle auf den ersten blick nichts miteinander zu tun haben, so besteht dennoch eine grausame verbindung: amtliche schlamperei und unachtsamkeit, daran sterben in unserem land menschen. und das muss vertuscht und versteckt werden. denn sonst müsste es konsequenzen geben. da würde es nicht reichen, dass eine ministerin zurücktritt oder ein paar beamtInnen suspendiert werden, es müsste insgesamt mehr achtsamkeit in die amtshandlungen einzug halten und menschenrechte umgesetzt werden.

erst wenn diese auch mitten in der nacht in den schlecht ausgeleuchteten winkeln unseres landes ebenso gelten wie in den letzten räumen hinter gittern, erst dann können wir zufrieden sein. wielange wird das noch dauern?

aus psychischen gründen

kurz: wie kann es sein, dass eine polizistin und ein polizist – also profis – nach einem einsatz mit schusswaffengebrauch länger nicht vernehmungsfähig sind, als ein 16jähriger junge, der einen doppelten durchschuss erlitten hat und dessen freund erschossen wurde?

sind das wirklich psychische gründe???

was ist „volksmeinung“?

ich kann und will es mir nicht anmassen, über die frage nach schuld und unschuld im fall des 14jährigen in krems, der bei einem polizeieinsatz wegen einbruches in einem supermarkt getötet wurde, zu entscheiden.

zu schnell waren mir manche stimmen, die bereits nach wenigen stunden von polizeimord sprechen wollten. schliesslich konnte wohl niemand aus der ferne beurteilen, was da wirklich vorgefallen war.

dennoch erschrecke ich über einen von mir in den letzten tagen wahrgenommenen und anscheinend weitverbreiteten konsens, der ungefähr lautet, „wer einbrechen geht, ist selber schuld.“

ich muss nocheinmal betonen, dass ich zur sache selbst keine beurteilung abgeben möchte, was mich aufhorchen lässt, ist der rasche reflex der bevölkerung, schnell einen 14jährigen (!!!) aus der ferne vorzuverurteilen.  wer weiss schon, in welcher lage der junge mensch war, was oder wer ihn zu dieser tat getrieben hat, wie naiv vielleicht dieser junge in das geschehen geraten ist usw.

„es ist schon richtig, wenn es einen dann erwischt“, „dann hätte er es nicht machen dürfen, wenn er nicht erschossen werden will“ oder „wäre er nicht davongelaufen“ – so lauten die stimmen, die mir gestern beim einkaufen und beim gang durch die stadt untergekommen sind.

dass jedes menschenleben gleich viel wert ist, das hörte ich einen polizisten im fernsehen sagen, kaum aber „auf der strasse“.

der tod eines so jungen menschen ist in jedem fall zutiefst zu bedauern, da muss eine bewusste gesellschaft sich immer hinterfragen, wie es zu vermeiden gewesen wäre, dass es soweit kommt.

wenn wir bedenken, dass wir eventuell auch auf sozial viel angespanntere zeiten zugehen könnten, muss uns der primitive reflex, dieses „schon richtig so“ alarmieren: was noch könnte diese volksmeinung für richtig finden, wenn es erst richtig eng wird?

es ist nicht einzusehen

wie bereits in meinem letzten post angesprochen, sind viele „fakten“, die wir scheinbar über agenturmeldungen zur kenntnis zu nehmen haben, einfach nicht mehr akzeptabel.

1. neuerlich gewinne aus spekulationen jener banken, die gerade eben unglaubliche summen von steuerzahlerInnen angeblich dringend benötigt haben.

2. provisionen und boni-zahlungen an bankenmitarbeiterInnen, die die ausgewiesenen gewinne der banken übersteigen

3. sozial- und krankenversicherungen und pensionskassen, die um ihre existenz zu kämpfen scheinen, immer mehr beiträge einheben (müssen?) und dabei immer weniger leistungen bezahlen (können?).

4. selbst für die dringensten projekte zum kampf gegen hungertod und krankheiten unter den allerärmsten unserer welt scheinen die mittel immer weniger zu reichen.

an einem ende der menschheit wird die krise zur megachance nochmal viel mehr zu gewinnen, als bisher denkbar war, am anderen ende wird es für immer mehr menschen immer enger und tödlicher.

kaum eine talkshow ist inzwischen am thema „krise und ihre folgen“ vorbeigekommen, dennoch wird selten gründlich nach den ursachen gesucht. fragestellungen nach dem „wie werden wir damit zurecht kommen“ sind häufiger als die eigentlich klar auf der hand liegende analyse, dass es sich ganz wenige auf kosten von sehr vielen sensationell gut gehen lassen. direktes oder indirektes ausspielen einzelner gruppen (junge gegen alte, kranke gegen arbeitslose, ausländerInnen gegen einheimische, bildungssuchende gegen kulturschaffende) gehört zu den beliebten ablenkungsmanövern.

wie falsch und richtig zugleich die aussage „es gibt kein geld mehr“ sein kann, haben wir in den letzten monaten gelernt. nur scheint es inzwischen schon fast egal zu sein, ob jemand das spiel durchschaut oder nicht, es läuft ohnehin unaufhaltsam.

wenn selbst obama resigniert feststellen muss, dass aus der krise nicht gelernt wurde, dann muss uns klar werden, dass da niemand ist, der lernen wollte.

es ist nicht einzusehen, es ist nicht hinnehmbar, was sich hier abspielt. vielfach höre ich von menschen, die schon länger versuchen, bewusst ihr leben zu gestalten, dass eine zeit der veränderung und des umbruchs auf uns unaufhaltsam zukommt. mag sein, kann ja auch gut sein, wenn dringende einsichten – wie jene, dass wir alle auf dieser einen welt gemeinsam leben – sich wirklich durchsetzen.

mich persönlich beunruhigt aber die gefühlte notwendigkeit von veränderung gepaart mit der brutalen unverschämtheit der wenigen. wenn wir nicht aufpassen, dann steuern wir unter umständen auch wieder auf kriege zu. allerdings müssen wir eigentlich zur kenntnis nehmen, dass kriege global gesehen schon lange laufen, auch im direkten zusammenhang mit unseren resourcen. wir leben im frieden, während anderswo schon krieg herrscht.

krieg und krise haben eines gemeinsam: die menschheit als verlierer, unmenschen als gewinner.

die krise ist keine panne

bei der lektüre der letzten schlagzeilen aus dem bereich der wall street und anderer wirtschaftsrelevanter tempel über unverschämte boni-forderungen einzelner broker oder über neuerliche rekordgewinne „trotz krisenzeiten“ werde ich das gefühl nicht los, dass die krise keine panne eines veralteten und überkommenen systems ist. sie scheint vielmehr teil des zynischen gewinnspiels zu sein, das nur noch rascher – und für bestimmte spieler effizienter – unglaubliche summen aus den gesellschaften dieser welt in die hände weniger spült.

dies mal so als schnelle notiz, das thema möchte ich noch mal weiter vertiefen…

er soll hier nicht beim namen genannt werden

kerzenlicht

er soll hier nicht beim namen genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
nichteinmal der name soll genannt werden

er
der hier nicht beim namen genannt werden soll
kam heute wieder einmal zu uns
wie so oft

heute
seine augen sagten mir sofort
sein schweigen bestätigte
es musste was schlimmes passiert sein

er soll hier nicht beim namen genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
nichteinmal der name soll genannt werden

heute
brachte er mir seine verzweiflung
pure verzweiflung
gestern hatte er die nachricht per anruf aus afrika erhalten
seine mutter ist vor vier tagen verstorben

heute
war alles anders
kein problem mit dem asylverfahren
keine bitte um ein paar euro
keine strafe fürs schwarzfahren die zu bezahlen wäre

heute
war alles zusammengebrochen
seine mutter ist gestorben
und nirgendwo konnte er seine trauer loswerden
nur
ein schluchzendes
i’m so tired

heute
hätte ich ihn am liebsten fest umarmt
aber es wäre zuviel gewesen
heute
diese ratlosigkeit zwischen uns
und seine verzweiflung
heute
war alles zusammengebrochen

wozu bin ich überhaupt da
wozu soll ich hier noch um geld betteln
wozu soll ich weitermachen
ich hab nicht genug geld schicken können
ich hab ihren tod nicht verhindern können
ich bin der einzige der hier ist
wie weit bin ich weg von der beerdigung
was kann ich jetzt noch tun
wenn sie jetzt doch gestorben ist
meine mutter
für die ich

seine stimme erstickt
und
wieder dieses schweigen

er soll hier nicht beim namen genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
nichteinmal der name soll genannt werden

heute
war das gespräch ganz anders
was ich auch sagte
es war irgendwie nicht genug

du hast sie sehr geliebt deine mutter
sie hat dich sehr geliebt
sie hat ihr möglichstes für dich und deine geschwister gegeben
ich stelle mir vor deiner mutter geht es jetzt gut
sie hat jetzt ihr leiden hinter sich
jetzt schau auf dich selbst
das würde sie sicher freuen

wie muss ein solcher satz
auf einen
dessen namen lieber nicht genannt werden soll
wirken
jetzt schau auf dich selbst
weit und breit keine familie
niemand der/die seine mutter kannte
niemand der/die mit ihm trauern würde

er soll hier nicht beim namen genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
nichteinmal der name soll genannt werden

jetzt schau auf dich selbst
konnte ich allen ernstes einem flüchtling sagen
jetzt schau auf dich selbst

ich hörte mir selbst zu
was ich ihm da sagte
absurdes?
jetzt schau auf dich selbst
und dann wieder ratloses
ich bete für deine mutter
ich zünde eine kerze an

wie ratlos muss ich gewesen sein
als ich ihm zu den wie immer paar euros
noch eine kerze
und ein gebet versprach

mein sohn hat ihn dann noch später angerufen
um mit ihm zu sprechen
ein paar worte der anteilnahme
des trostes

er soll hier nicht beim namen genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
nichteinmal der name soll genannt werden

aber der tarif kann genannt werden
so ist das bei flüchtlingen
be free
heisst der handytarif bei flüchtlingen
be free

flüchtling oder mensch

blackbei uns läuten immer wieder flüchtlinge an. mal brauchen sie ein paar euro, dann wieder einen tipp oder eine hilfestellung. das geht seit jahren so, mal sind es viele, dann wieder weniger. da scheint es phasen zu geben.

oft ist es auch einfach das gespräch, das kurze berichten über erlebtes, das sie sonst kaum wo loswerden können. da hören wir dann von demütigenden polizeikontrollen, wo sie auf offener strasse die hose runterlassen müssen, oder von der geburt von kindern – eigentlich ein freudiges ereignis, wenn nicht beide eltern flüchtlinge wären. oft können wir nur ein klein wenig helfen, selten wirklich was dauerhaftes bewirken. befreundete rechtsanwälte und menschen in institutionen wissen bereits, dass wir öfter mal anrufen und beraten, was in dem einen oder anderen fall gemacht werden kann.

es sind die „kleinigkeiten“ des alltags, die besonders jenen, die auf die zusage oder ablehnung ihres asylantrages warten, zu schaffen machen: heute eine rechnung über einen krankenhausaufenthalt, ein andermal eine strafe wegen schwarzfahrens im bus usw.

irgendwie bin ich froh, dass diese menschen den weg zu unserem haus finden, offensichtlich unsere adresse auch schon untereinander weitergeben. ich denke, dass wir auf diese weise fast täglich an eine realität in unserem land erinnert werden, die wir sonst nur aus den medien kennen würden. unsere „probleme“ haben gesichter, haben namen und grüssen uns freundlich.

heute war für mich ein besonders rührender moment. einer unserer „besucherInnen“ hatte von meinem sohn letzte woche erfahren, dass ich geburtstag hatte. mit dem nichts, worüber er verfügen kann, hat er es sich dennoch nicht nehmen lassen, mir heute einen aceto balsamico und eine flasche wein als geschenke zu bringen. hübsch eingepackt in geschenkpapier. und mit grüssen von NN.

ich war wirklich zu tränen gerührt, weil ich dem moment spürte, wie dankbar dieser NN. für ein paar kurze worte und ein paar euro sein musste. und immer wieder erzählt er uns, wie unglaublich fad ihm sei, dass arbeit, irgendeine arbeit für ihn das höchste wäre, natürlich auch wegen dem geld, aber auch, um die selbstachtung aufrecht erhalten zu können.

das schlimme: selbst wenn wir oder sonst jemand arbeit hätte, es wäre illegal und ein schritt richtung sichere abschiebung.

und das ist das schlimmste: manche namen, an die wir uns schon so gewöhnt haben, kommen urplötzlich nicht mehr, manchmal erfahren wir es gar nicht, manchmal erst viel später: abgeschoben, weg, draussen.

und das drama beginnt von vorne…