radikal bleiben

verdienstzeichen des landes salzburg (collage bernhard jenny)

verdienstzeichen des landes salzburg (collage bernhard jenny)

offener brief an landeshauptfrau gabi burgstaller
stellungnahme zu meiner für heute vorgesehenen auszeichnung
mit dem verdienstzeichens des landes salzburg.

keine abschiebung ist gut.
keine abschiebung wird menschen gerecht.
keine abschiebung löst probleme der menschheit.

abschiebung ist immer zwang.
abschiebung ist immer unglück.
abschiebung ist immer unmenschlich.

es gibt keine bessere abschiebung.
es gibt keine schonende abschiebung.
es gibt keine familienfreundliche abschiebung.

abschiebung heisst menschen aus unserer nähe zu verjagen.
abschiebung heisst menschen einen platz in der ferne zuweisen.
abschiebung heisst menschen tödlichen bedrohungen auszusetzen.

wir müssen bewusstsein entwickeln.
für die zusammenhänge, die wir zu verantworten haben,
für die ursachen, die menschen bei uns zuflucht suchen lassen,
für die folgen, die die mechanismen unseres wirtschafts- und herrschaftssystems weltweit haben.

heute leichter und schneller noch als früher können wir erfahren, dass unsere welt ein grosses zusammenhängendes ganzes ist. jeder krieg dieser welt geht uns an, jeder konflikt dieser welt hat mit den weltumspannenden strömen von macht, kapital, reichtum und gier einerseits und ohnmacht, hunger, armut und existenzieller not andererseits zu tun.

nationale grenzen werden immer unbedeutender. die hart verteidigten grenzen sind die zwischen oben und unten, zwischen arm und reich, zwischen drinnen und draussen. während spekulationsunsummen, schwarz-, blut-, drogen- und prostitutionsgelder weltweite reisefreiheit haben und immer und überall willkommen sind, sind die opfer, die unterdrückten menschen unerwünscht. die festung europa ist nicht ein zusammenschluss nationaler staaten, sondern ein teil jener wehranlagen, die sicherstellen sollen, dass das elend draussen bleibt und die masslosigkeit drinnen weiter in ruhe gelebt werden kann. die leichen jener, die es auf dem verzweiflungsweg zu uns nicht geschafft haben, verwandeln unsere meere zu grausamen burggräben der wohlstandsgesellschaft. jeder einzelne mensch, der es bis auf unsere strassen geschafft hat, könnte uns von seinen toten weggefährtInnen erzählen. wenn wir hinhören würden.

abschiebung ist mitwirkung am tödlichen system des unrechts.
dieses system hat niemand gewählt, kann niemand zur rechenschaft ziehen und ist daher illegal.

wir mussten in den letzten monaten erleben, wie eine funktionierende familie mit vielen kindern systematisch und zynisch zerstört wurde. nun sind die kinder ohne vater, frau und kinder psychisch und materiell ruiniert und auf sozialhilfe angewiesen. der vater hat nicht nur von einem tag zum anderen seine jahrelang verlässlich geleistete arbeit verloren, sondern ist nun zum spiessrutenlauf in seiner heimat gezwungen, wo er seines lebens nicht sicher sein kann. sein schicksal und das der österreichischen frau und der kinder war den behörden egal. zufällig ist ein rechtsextremer, schon mal in der öffentlichkeit kräftig zuschlagender naziverherrlicher für die politische beurteilung des falles zuständig. es ist ganz nach seinem menschenverachtenden geschmack ausgegangen.

weil der vater eine vorstrafe vor vielen jahren hatte, wurde er – obwohl längst abgesessen und verjährt – auch von anderen politisch verantwortlichen lieber nicht unterstützt und so zum zweiten mal durch unterlassene hilfeleistung bestraft. was würden denn dann manche zeitungen schreiben!

ist menschenrecht also etwas, das nur dann gilt, wenn du unbescholten bist?
nicht für alle, sondern für jene, die wir uns als geeignet aussuchen?

diese geschichte ist nur ein beispiel für die extremlage unserer gesellschaft. solange wir abschiebung als mittel zur durchsetzung unseres bürgerlichen reichtums einsetzen, solange wir mit jeder abschiebung das perverse bedürfnis von rassistInnen und xenophoben befriedigen, obwohl sie dann doch wieder die wiederbetätigung wählen, solange wir menschen die erniedrigung, die todesgefahr und das leid durch abschiebung zumuten, kann ich keine ehrung annehmen.

ich darf um verständnis darum bitten, dass ein verdienstzeichen für meine bescheidene arbeit mit menschen, die ich nicht mehr flüchtlinge, sondern willkommene nenne, für mich nicht annehmbar ist.

eine offizielle ehrung würde jenen besonders gut tun, die trotz der zynischen jahrelangen hinhaltetaktik eines asylverfahrens bei uns ausharren und sich im irgendwie und irgendwo durchschlagen, zwischen den mauern des arbeitsverbots, der ausländerfeindlichkeit und der kriminalisierung. diesen menschen wäre allerdings nicht mit einem abzeichen, einem band, einer anstecknadel gedient, die offizielle ehrung die diese menschen brauchen, ist die anerkennung ihres lebens und ihres rechts zu bleiben. wie reich könnte unser weltbild, unser leben werden, wenn wir menschen und kulturen als geschenk betrachten und nicht als aussortierware, die entsorgt gehört. so fände unsere gesellschaft zu ihrer eigenen zukunftsfähigen kultur.

dennoch werde ich heute abend bei der veranstaltung dabei sein und freue mich, wenn menschen, die sich in der betreuung der schubhäftlinge engagieren, dafür geehrt werden.

ich betreue keine menschen in schubhaft, sondern willkommene im niemandsland.
unsere familie versucht im rahmen der möglichkeiten mit menschen zu sprechen, wenn sie rat brauchen, ihnen essen zu geben, wenn sie hunger haben, geld zu geben, weil sie keines verdienen dürfen und die ständige angst zu teilen, denn sie ist immer da: die angst vor der abschiebung.

ich möchte, dass diese arbeit überflüssig wird.
ich möchte das ende jeglicher abschiebung.
denn kein mensch ist illegal.
das klingt für manche – besonders für politisch verantwortliche – radikal.
ich möchte radikal bleiben.

Autor: bernhardjenny

kommunikationsgestalter meine unternehmen: jennycolombo.com, conSalis.at blogger, medienkünstler, autor, erwachsenenbildner salzburg - wien

17 Kommentare zu „radikal bleiben“

  1. Danke für die klaren und verständlichen Worte in diesem Beitrag und natürlich für die Arbeit die zu diesem Kommentar geführt haben. Eine wichtige, da noch notwendige Arbeit.

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  2. Ich kenne die traurige Haltung der Frau Burgstaller zum Thema Asylpolitik. Mit so einer Verleihung will sie nur ihr eigenes Image aufpolieren. A la „Ich finde dieses Engagement eh ungemein ‚gut‘ und ‚wichtig'“. In Wirklichkeit wird eine ganz harte und unmenschliche Linie gefahren. Deine Ablehnung ist der einzig richtiger Schritt. Danke dafür!

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  3. bernhard, danke in meinem – und im namen aller willkommenen!!! – für deine klaren worte und taten!!! – möge es zu einer veränderung in richtung mehr menschlichkeit in den köpfen und besonders in den herzen von politikerInnen und wählerInnen führen.
    mit lieben grüßen, georg

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  4. Ich bin froh, dass es noch Menschen wie Dich gibt in unserem Land. Da ist dann noch nicht alles verlohren – hoffentlich! Meine besondere Hochachtung und ein großes DANKE!

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  5. habe soeben aus dem büro der frau landeshauptmann erfahren, dass ich in den nächsten tagen mit einer antwort von frau lh burgstaller auf meinen offenen brief erhalten werde.

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    1. Da bin ich aber schon gespannt, ob es was anderes als das übliche Pölitikerwischi-waschi zu lesen geben wird. Finde die Bezeichnung „Frau Landeshauptmann“ übrigens sehr skuril! Ein Zwitter???

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      1. ja ich bin auch gespannt…

        das mit der frau landeshauptmann ist ein dummer fehler. sollte nicht passieren, aber immer wieder trickst die autokorrektur irgendwas im text herum und dann schnell copy paste und schon ists passiert – keine absicht! ich schreib immer frau landeshauptfrau… im gegenteil. ich finde es zumindest ulkig, dass sie aber einen landeshauptmann-stellvertreter hat, obwohl der ja entweder stellvertretender landeshauptmann sein sollte, oder eben landeshauptfrau-stellvertreter.

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  6. Danke, lieber Bernhard für die klaren Worte und das deutliche Zeichen, damit bleibst Du ein Stachel im Fleisch unserer satten Gesellschaft.
    Danke Eurer großen Familie, für das Leben-Teilen mit den Willkommenen!!!
    So wie ehemals misshandelte Kindern heute aufstehen und anklagen, werden wir uns vor diesen zurückgewiesenen und häufig gedemütigten Asylsuchenden einst verantworten müssen für die Missachtung der Menschenrechte. Und keiner darf dann sagen, wir haben`s nicht gewusst.

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