rochus gratzfeld: ich fühle grenzen

Die natürlichen, die ich mag.

Die Grenzen meiner Intimsphäre. Nicht zu verwechseln mit Prüderie oder Verschlossenheit.
Die Grenzen der Intimsphären anderer. Nicht zu verwechseln mit Prüderie oder Verschlossenheit.
Die Grenzen anderer Kulturen. Anderer Religionen.
Die Grenzen zwischen den Geschlechtern und Generationen.
Natürliche Grenzen, die ich mag. Die ich gerne fühle.
Sprachgrenzen. Die ich mag wegen der Vielfalt, die sie vermitteln. Dialekte eingeschlossen.
Gewohnheitsgrenzen. Die ich mag wegen der Individualität, die sie vermitteln.
Sexuelle Grenzen, die ich akzeptiere. Gerade, weil hier der Spielraum der Grenzenlosigkeit so sicht- und erfahrbar wird.

Und die unnatürlichen.
Vor und zurück.
Anstoßen.
Zurückprallen.
Vor und zurück.
Wieder anstoßen.

Ich fühle Grenzen.
Die unnatürlichen.
Die ich nicht mag.
Die ungerechten.
Zwischen immer ärmer und immer reicher.
Zwischen GrasserKapitalismus, zynisch manifestiert und mit verdreckter weißer Weste verteidigt bis zum Hohn zum Schutz der GeldPolitMafia.

Anstoßen.
Zurückprallen.
Vor und zurück.
Wieder anstoßen.

Ich fühle Grenzen.
Die unnatürlichen.
Die ich nicht mag.

Den EuropaSkeptizismus nationalstaatlich verbrämt.
Hast du doch die hohe Zeit längst hinter dir und bleibst nur FelixAustria in einem vereinten Europa.
Da hilft keine Rosenkranz – im Gegenteil, auch nicht beten.

Anstoßen.
Zurückprallen.
Vor und zurück.
Wieder anstoßen.

Ich fühle Grenzen.
Die unnatürlichen.
Die ich nicht mag.

Muslime aber natürlich. Auch Moscheen. Aber in Istanbul.
Und Turkish Delights auf dem Naschmarkt mag selbst Strachzi, eine Hand am Busen einer schwarzen PromiSchönheit ohne Hirn. Beide.

Anstoßen.
Zurückprallen.
Vor und zurück.
Wieder anstoßen.

Ich fühle Grenzen.
Die unnatürlichen.
Die ich nicht mag.

Die Urteile gegen Proteste im FekterhoffentlichnichtLand.
Die Abschiebegesetze, die junge Menschen in die Selbsttötung treiben.

Anstoßen.
Zurückprallen.
Vor und zurück.
Wieder anstoßen.

Ich fühle Grenzen.
Die unnatürlichen.
Die ich nicht mag.

Die Rufe nach Recht und Ordnung. Nach mehr Polizei. Nach denen, die den Umgang mit der Waffe gewohnt sind. Die wissen, wie man fastKinder mit einem Schuss erledigt.
Und die kritische BürgerInnen nachts ohne Durchsuchungsbefehl in Kommandostärke heimsuchen.
Felix Austria.

Anstoßen.
Zurückprallen.
Vor und zurück.

Wieder anstoßen.
Ich fühle Grenzen.
Die unnatürlichen.
Die ich nicht mag.

Die Kürzungen im Sozialbereich, die in schlechtNachbargrosserBruderDeutschland als Wunderwaffe gegen die Krise gelobt werden, während sich BankerInnen und TopmanagerInnen fragen, wohin mit dem erspekulierten Geld.

Anstoßen.
Zurückprallen.
Vor und zurück.
Wieder anstoßen.

Ich fühle Grenzen.
Die unnatürlichen.
Die ich nicht mag.

Mir wird schlecht, wenn ich an die wecannotObamaOHNmacht denke, die das TodesÖl nicht stoppen kann.
Mir wird schlecht, wenn ich die BilderimKopf sehe der an den Grenzen Europas angetriebenen SchwarzafrikanerInnen, denen der runde Ball jetzt Hoffnung gibt.
Und dennoch.
Ich weiß, dass ich über die Grenzen springen kann, wir gemeinsam springen können.
Es sind kleine Schritte und Taten, denen die großen Schritte und Taten folgen. Können.

______
Ich fühle Grenzen
Copyright: Rochus Gratzfeld
Obmann WANDERgalerie
http://wandergalerie.wordpress.com/

diesen text, den unser freund rochus gratzfeld letzte woche im rahmen der PECHA KUCHA NIGHT SALZBURG VOL.4 präsentierte, freue ich mich hiermit mit seiner freundlichen genehmigung weiterverbreiten zu dürfen. an stelle eines kommentars möchte ich diesen starken text für sich stehen lassen und sag einfach: danke!

frauen zeigen sich (mehr als) nackt

es gibt geschehen, die brauchen das private. nacktheit ist zumeist sehr privat und wenn sie öffentlich ist, ist sie oft das ergebnis eines ungleichen geschehens zwischen einem gaffer (zumeist männlich) und einer oder mehreren begafften (zumeist weiblich). oft bekommen wir sie zu sehen, die nacktheit eines objektes, das fast nur zufällig auch frau/mensch ist.

susanne lencinas / wandergalerie salzburg

wenn die wandergalerie nun in einem quasi privatissimum zu einem abend in eine ausgediente tankstelle in salzburg lädt, der den abschluss eines projektes mit dem titel „MYSELF NUDE“ darstellt, dann ist eine ganz andere nacktheit thema.

auf einladung der wandergalerie haben 12 frauen aus 9 europäischen ländern selbstakte für diesen vorabend zum 1.mai zur verfügung gestellt. frauen werden nicht gezeigt, sondern zeigen sich selbst, wobei die werke eine nacktheit zeigen, die sich als aktuelle statements unterschiedlichster sinnlichkeit anbieten.

so verschieden die herangehensweise an das „sich selbst zeigen“ dieser frauen ist, umso deutlicher die gemeinsamkeit bewusster selbstbestimmung (oder selbstbewusster bestimmheit?). um ein paar beispiele zu nennen: von olya ivanovas sensiblen momentaufnahmen oder marta bevacquas subtiler erotik bis zu susanne lencinas‘ kraftvollen akten (als photoprints auf dem fussboden kaschiert), von den digital colorierten lustvollen selbstinszenierungen von sabine kristmann-gros bis zu den ästhetisch skulptural anmutenden rumpf-reduzierungen des weiblichen körpers von vera gradinariu, ensteht insgesamt ein starker – an einer solchen location vorerst unerwarteter, aber dann umso spannenderer – ausdruck weiblicher nacktheit.

in die betrachtung der bilder an den wänden und am boden webt sich plötzlich die reale nacktheit der performerin vakinore, die mit ihrem blossen körper, ihrer stimme und einem minimalistischen einsaitigen musikinstrument in beeindruckender schlichtheit authentische, weil persönliche feierlichkeit erzeugt. „nicht das was, das wie ist mir wichtig“, bringt sie später ihren begriff von perfomance-kunst auf den punkt.

später am abend schliesst der orientalische tanz von lucia nadia cipriani an eben diese feierlichkeit mit selbstbewusster stärke an und zeigt eine direktheit, die auch bekleidet der an diesem abend gefeierten nacktheit um nichts nachsteht.

entspannt nehmen die gäste des abends unter dem für tankstellen typischen vordach dann platz ein, um bei indischem essen und flachgauer bier weiter zu reflektieren. welche beziehungen die betreiberInnen der wandergalerie – h.rogra, vakinore und sonja schiff – nutzen konnten, um den lauen frühlingsabend filmreif und energiegeladen in einem spektakulär heranblitzenden sommergewitter enden zu lassen, ist noch nicht geklärt. inszenierung war eben das thema.

http://wandergalerie.wordpress.com/

es bahnt sich was an!

vergangene woche in der times-garage in salzburg: stahl_ton_bild – eine ausstellung und performance der wandergalerie. http://wandergalerie.twoday.net/

mit dieser zweiten initiative nach streetART im mai setzt das team der wandergalerie (veronika konrad, sonja schiff und rochus gratzfeld) einen weiteren impuls: wieder an einem jener zwischenräume in dieser stadt, in die wir sonst nie gekommen wären (bzw. auch nicht auf die idee, dort eine kulturveranstaltung zu vermuten). und es wird bereits jetzt programm sichtbar: unverbrauchte, frische impulse an neuen (un)orten, unvorhersehbar, unangepasst und daher wohltuend anregend.

ernsthaft, aber nicht überinszeniert, authentisch, aber nicht exhibitionistisch auch die performance von vakinore, die mit ihrer ausdruckskraft und stimmarbeit raumfordernd in diese zwischenräume einer satten kulturstadt hineinzurufen scheint.

das thema stahl_ton_bild in den ausgestellten digiprints und im video vermittelt eindrücke einer foto- und performance-aktion im stahlskulpturenpark riederbach, quasi einer pre-event-performance als gegenstück zum post-event-shooting, welches auf der homepage publiziert wird.

es vermittelt sich daher ein geschehen, das vor und nach der vernissage passiert, die gäste der ausstellung werden kurzfristig zeugen des geschehens, das aber permanent im fluss zu sein scheint.

es wird spannend, welche zwischenräume, bruchlinien und vorhers und nachhers sich noch auf tun, der fluss geht sicher weiter und wir werden wieder eingeladen werden, an der einen oder anderen interessanten stelle das fliessen zu beobachten.

mit „krampus“ wird für dezember bereits die nächste stromschnelle benannt.

ps. die einführenden worte von karl schönswetter waren sehr beeindruckend, weil sehr persönlich. die einblicke in das zurückliegende (er)leben zwischen künstlerischem vater und künstlerischem sohn waren involvierend.