#ibiza ist harmlos

nein, korruption und feilbieten von presse, wasser, bauaufträgen und sonst noch so allem möglichen ist keine kleinigkeit. was strache und gudenus nichtsahnend im klartext ausgeplaudert haben, ist wahrlich ein tiefpunkt in der politischen moral unseres landes. oder vielleicht besser: es ist der beweis, dass es keine politische moral mehr gab, in dieser türkisblauen unregierung.

ibiza ist zwar in aller munde und längst zum geflügelten wort für verkommenheit und schamlosigkeit geworden. dennoch ist es schier unglaublich:

ibiza ist harmlos I

die beiden saufbrüder mit faible für reiche osteuropäerinnen sind auf dem abstellgleis. der rest der bande ist aber unmittelbar nach dem wahnsinn auf der spanischen insel offensichtlich in ein vollwaschprogramm mit turboschleuder gestolpert. alle scheinen sauber und clean, ja fast sauberer als die anderen. wie schnell doch ein volk vergisst.

ibiza ist harmlos II

was der bvt-untersuchungsausschuss ans tageslicht brachte, dagegen ist ibiza wirklich harmlos. korruption und verderbheit ist eines, aber einen – wie es kai jan krainer (SPÖ) in der abschlusspressekonferenz des bvt-u-ausschusses berichtete – „geheimdienst im geheimdienst“ aufbauen, also eine „blaue stasi“ (oder gestapo?) – das ist viel skandalöser, regt anscheinend nur niemanden auf.

wer einen „geheimdienst im geheimdienst“ gründet, gründet eine parallelstruktur. polizei in der polizei, justiz in der justiz, staat im staat.

derartiges verhalten ist nur logisch, wenn es um einen – offenen oder versteckten – putsch gehen soll. ziel solcher machenschaften ist niemals ein redliches, schon gar nicht ein demokratiepolitisch vertretbares.

wer ertappt wird, einen staatsstreich vorzubereiten oder zu planen, wer das staatsgefüge hintergeht und unterwandert, ist für jede art von regierungsbeteiligung disqualifiziert. das ist zwar nicht neu, aber einmal mehr evident. wie weit diese staatszerstörerischen aktivitäten schon gediegen waren zeigt der bekannt gewordene umstand, dass der chef der identitären direkt intensiven kontakt ins kabinett hatte.

und dass hofer sich den einsatz des bundesheers gegen demonstrant*innen herbeisehnt, passt ins alarmierende gesamtbild.

wenn unser land von einem eitlen selbstverliebten mit einer teuren ablenkshow geblendet werden soll, damit die faschist*innen in ruhe die macht an sich reissen können, dann gute nacht. die „netzwerke“ haben offensichtlich viel im griff und stellen eine macht dar, die sich der parlamentarischen und demokratischen kontrolle entzieht. das kommt einem staatsstreich gleich.

ibiza ist wahrlich ein tiefpunkt. aber das, was im türkisblauen dunst zu gange war und vermutlich auch immer noch ist, ist viel gefährlicher! der untersuchungsausschuss hat es herausgefunden, aber im wahlkampf scheint niemand zeit zu haben, sich um die wirklich wichtigen dinge zu kümmern.

ibiza ist harmlos

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dieser beitrag ist auch auf derstandard.at am 26.9.2019 erschienen.

aufklärung heisst naivität ablegen

salzburg foto: bernhard jenny

wir wissen schon lange, dass lehrerInnen auch nur menschen sind, dass es solche und solche gibt. von ärztInnen behauptet wohl heute niemand mehr, dass sie die göttInnen in weiss wären. im gegenteil, wir wissen, dass die medizin vieles kann, was uns wie ein wunder erscheinen muss, aber auch mindestens sovieles nicht weiss und nicht kann. dass manche pfarrer für ihre schützlinge unendlich gefährlicher als der schlimmste krampus sein kann, hatten wir zwar schon in unserer kindheit irgendwo mitbekommen, wirklich wahr haben konnten wir es nicht, bis nun alles endlich ans licht gekommen ist. von den politikerInnen kann ich mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte mal jemanden eine hohe meinung über angehörige dieses berufsstandes zu hören bekam, was sich andererseits viele gar nicht verdient haben. es gibt nämlich auch ehrlich engagierte. nicht zu vergessen die bankerInnen, einst einmal ein berufswunsch für alle, die sauber bleiben wollten. inzwischen wissen wir, dass in manchen etagen die schmutzigsten dinger laufen, die wir uns kaum vorstellen können.

die reihe liesse sich beliebig fortsetzen, mit polizistInnen, juristInnen und richterInnen, mit journalistInnen und so weiter und so fort.

nun lernen wir auch noch von einer bis vorgestern seriös bekannten finanzabteilung des landes, samt den politisch verantwortlichen und allen kontrollorganen bis ganz hinauf zum rechnungshof, dass nichts ist, wie es scheint, dass alles auch illusion sein kann. 340 millionen liegen unter der wahrnehmungsgrenze. besser gesagt: es weiss vermutlich niemand, wieviel dann letztlich abgehen wird. klar ist nur, wem es abgehen wird.

zumindest weniger gutgläubig sollten wir nach diesen erfahrungen sein. wir lernen, dass es keinen bereich gibt, der nicht allen menschlichen höhen und tiefen ausgesetzt ist. die einzige möglichkeit uns vor schwersten schäden zu schützen ist, niemals blauäugig inszenierten autoritäten zu vertrauen. in allen von uns können opfer, aber auch täterInnen stecken.

jede überhöhung, jede idealisierung, jeder kult bringt uns in gefahr. gerade wenn wir eine ehrliche und offene aufarbeitung von skandalösen vorgängen wollen, müssen wir uns bewusst sein, dass es „menschelt“. das darf selbstredend nicht bedeuten, dass weder die ursache identifiziert noch die schuldigen zur verantwortung gezogen werden müssen. im gegenteil.

es darf aber auch nicht heissen, dass sich das ganze system der verantwortlichen an einer einzigen – wenn auch zentralen – person „abputzt“. selbst aus der distanz wird klar: die theorie von der einzeltäterIn mit der „unglaublichen kriminellen energie“ ist bei so vielen angeblichen kontrollebenen, die nichts bemerkt haben wollen, viel zu einfach. also (grobfahrlässig oder dummerweise) naiv.

vielleicht hat (fast) jeder skandal was gutes. es gibt irrtümer, fehlverhalten und menschliches versagen. und es gibt gezieltes hintergehen und betrügen zum schaden vieler. aufklärung tut not. aber:

aufklärung heisst naivität ablegen.

mixa ist nicht ratzinger

nach dem rücktritt des augsburger bischofs mixa ist nun abzuwarten, ob dies der anfang einer dringend notwendigen welle von konsequenten rücktritten ist, oder ob solche rücktritte teil einer reihe von bauernopfern darstellen, um letztlich das machtsystem amtskirche zu schützen.

die frage, ob der katholischen kirche eine wende zur glaubwürdigkeit gelingt, hängt mir sicherheit auch davon ab, ob der grossinquisitor ratzinger ebenso seine konsequenzen zieht.

wer, wenn nicht er, als ehemaliger „geheimdienstchef“ des kirchlichen machtapparates, repräsentiert genau jene machenschaften und vorgehensweisen, die so viele opfer leiden liessen. vertuschen und verstecken, täter schützen, opfer mundtot machen, das war zwar nie offizielle forderung des katechismus, aber jahrhunderte lange praxis einer machtbesessenen altherrentäterschaft, die entweder selbst aktive täter, oder zumindest zu komplizen all jener grausamkeiten wurden, die so viele seelen zugrunde richtete.

mir ist klar, dass die vorstellung, ein ratzinger könnte zurücktreten, wohl schon hart am klinikreifen realitätsverlust vorbeischrammt, aber ohne einen solchen schritt in neue dimensionen wird die schar der gläubigen allein sich wohl kaum aus den strukturen der täter lösen können.

missbrauch: tiefste erschütterung lässt dennoch die macht unerschüttert

die hoffentlich noch lange nicht endende welle der aufdeckungen, die immer länger werdende liste von menschen, die trotz aller verletzungen nun die kraft aufbringen, öffentlich anzuklagen, all das erschüttert viele.

wenn ich aus den medien erfahren muss, dass ein mir gut bekannter seelsorger einer jener missbraucher war, dann löst das automatisch sehr unangenehme gefühle bei mir aus. ich denke nach, in welchen situationen ich etwas erkennen hätte können, ob ich naiv war, ob ich gar weggeschaut habe.

wo war ich denn sonst noch in der nähe, wo habe ich sonst was übersehen? fast jeden tag fallen mir neue szenen ein.

es fallen mir zb. jene schulkollegen ein, die in einem kirchlichen internat wohnten und mir immer wieder zu verstehen gaben, dass ich als einer, der zuhause bei seiner familie leben durfte, nie verstehen würde, „was da bei uns alles so passiert“. wenn ich mich damals gewundert habe, warum meine schulkollegen sich nicht über die letzte schulstunde eines tages oder einer woche freuen konnten, weil „jetzt geht der horror erst los“, so ahnte ich zwar, dass das was schreckliches sein musste, was meine schulkollegen erwartete, aber ich war teil des sprachlosen systems.

mir fällt ein, dass mir ein schulkollege eines tages zu erzählen versuchte, wie sehr er sich vor jenem moment fürchte, wenn der priesterliche heimleiter seinen gürtel aus dem hosenbund zieht, um ihn und andere mitbewohner zu verprügeln. ich kann nicht verstehen, warum mich das zwar unheimlich erschrecken liess, aber nicht zum handeln brachte. mir fällt ein, dass ich damals den ton nicht verstehen konnte, in dem er mir das alles erzählte: nicht verzweifelt, weinend, schwach und schreiend, sondern unwirklich kalt, fast regungslos, starr und hart. heute sage ich mir: offensichtlich waren die gefühle schon lange tot.

und daher fühle ich mich schuldig.
ich hätte es wissen müssen, ich habe es gewusst, aber ich habe nicht gehandelt. ich war zwar minderjährig und nicht direkt betroffen, aber das hilft mir nur wenig um mit meiner damaligen ohnmacht heute fertig zu werden.

wenn ich darüber nachdenke, dann stelle ich mir folgende fragen:

  • wieviele direkt betroffene menschen können trotz aller aufdeckungen und öffentlich werdenden anklagen noch immer nicht reden, weil ihre seele zu sehr zerstört ist?
  • wieviele leben vielleicht gar nicht mehr, weil sie sich umgebracht haben?
  • mit welchem faktor müssen wir die zahl der bekanntgewordenen fälle multiplizieren, um eine ahnung zu bekommen, was wirklich vor sich ging?
  • wenn sich nun nach vielen jahren jene melden, denen das quasi „vorgestern“ angetan wurde, wann werden jene sprechen können, denen das gestern und heute angetan wird?
  • wie halten wir es aus, dass trotz aller aufdeckungen, den sichtbar werdenden verletzungen und den schwersten erschütterungen betroffener menschen der kriminelle machtapparat dieser angeblichen „amtskirche“ letztlich unerschüttert verharrt?
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