die hoffentlich noch lange nicht endende welle der aufdeckungen, die immer länger werdende liste von menschen, die trotz aller verletzungen nun die kraft aufbringen, öffentlich anzuklagen, all das erschüttert viele.
wenn ich aus den medien erfahren muss, dass ein mir gut bekannter seelsorger einer jener missbraucher war, dann löst das automatisch sehr unangenehme gefühle bei mir aus. ich denke nach, in welchen situationen ich etwas erkennen hätte können, ob ich naiv war, ob ich gar weggeschaut habe.
wo war ich denn sonst noch in der nähe, wo habe ich sonst was übersehen? fast jeden tag fallen mir neue szenen ein.
es fallen mir zb. jene schulkollegen ein, die in einem kirchlichen internat wohnten und mir immer wieder zu verstehen gaben, dass ich als einer, der zuhause bei seiner familie leben durfte, nie verstehen würde, „was da bei uns alles so passiert“. wenn ich mich damals gewundert habe, warum meine schulkollegen sich nicht über die letzte schulstunde eines tages oder einer woche freuen konnten, weil „jetzt geht der horror erst los“, so ahnte ich zwar, dass das was schreckliches sein musste, was meine schulkollegen erwartete, aber ich war teil des sprachlosen systems.
mir fällt ein, dass mir ein schulkollege eines tages zu erzählen versuchte, wie sehr er sich vor jenem moment fürchte, wenn der priesterliche heimleiter seinen gürtel aus dem hosenbund zieht, um ihn und andere mitbewohner zu verprügeln. ich kann nicht verstehen, warum mich das zwar unheimlich erschrecken liess, aber nicht zum handeln brachte. mir fällt ein, dass ich damals den ton nicht verstehen konnte, in dem er mir das alles erzählte: nicht verzweifelt, weinend, schwach und schreiend, sondern unwirklich kalt, fast regungslos, starr und hart. heute sage ich mir: offensichtlich waren die gefühle schon lange tot.
und daher fühle ich mich schuldig.
ich hätte es wissen müssen, ich habe es gewusst, aber ich habe nicht gehandelt. ich war zwar minderjährig und nicht direkt betroffen, aber das hilft mir nur wenig um mit meiner damaligen ohnmacht heute fertig zu werden.
wenn ich darüber nachdenke, dann stelle ich mir folgende fragen:
- wieviele direkt betroffene menschen können trotz aller aufdeckungen und öffentlich werdenden anklagen noch immer nicht reden, weil ihre seele zu sehr zerstört ist?
- wieviele leben vielleicht gar nicht mehr, weil sie sich umgebracht haben?
- mit welchem faktor müssen wir die zahl der bekanntgewordenen fälle multiplizieren, um eine ahnung zu bekommen, was wirklich vor sich ging?
- wenn sich nun nach vielen jahren jene melden, denen das quasi „vorgestern“ angetan wurde, wann werden jene sprechen können, denen das gestern und heute angetan wird?
- wie halten wir es aus, dass trotz aller aufdeckungen, den sichtbar werdenden verletzungen und den schwersten erschütterungen betroffener menschen der kriminelle machtapparat dieser angeblichen „amtskirche“ letztlich unerschüttert verharrt?
Lieber Bernhard,
Du kannst und darfst dir selbst keine Vorwürfe machen. Du warst damals ein Kind und hast dich – wie du selbst schreibst – ohnmächtig gefühlt.
Es wäre Aufgabe der „Erwachsenen“ gewesen – von anderen Lehrern, Eltern (auch denen anderer Kind) usw.- aufzustehen. Diese Ausgabe wurde nicht wahrgenommen. Weder damals kann man noch darf man heute nachträglich ein Kind dafür verantwortlich machen, dass es die Aufgabe der Erwachsenen nicht erfüllen konnte.
Danke für Deine Fragen – es ist notwendig, dass sie jemand stellt. Ich selbst ringe seit Wochen um Formulierungen. Ergänzen sollte man das noch um eine Frage: Wieso halten wir es aus, dass trotz all dieser Verbrechen keine ordentliche Aufarbeitung betrieben wird und dass es von Seiten dieser Republik bisher keine Schritt gegeben hat, die verhindern sollen, dass Kindern das wieder angetan wird?
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lieber christoph,
danke für deine worte. es stimmt schon, dass ich minderjährig war, aber immerhin schon jugendlicher in der oberstufe…
deine ergänzende frage ist genau das, was mich auch beschäftigt: bei keinem anderen verein (hoffe ich) würde die gesellschaft so lange zusehen und denen die „aufklärung“ selbst überlassen…
da dürfte auch hier keine ausnahme sein, aber das sehen offensichtlich noch zuwenig menschen so.
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Ich sehe das genau wie Ihr, es ist eine Schande und wieso schauen alle nur zu und keiner tut etwas? Der Kachelmann sitzt in U-Haft und wo sind die Priester denen vorgeworfen wird Kinder missbraucht zu haben? Ja, die laufen frei herum und wir schauen alle nur zu! Super Gesellschaft… 😦
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Alle Verantwortlichen Bischöfe bis hinauf zum Papst sollten zurücktreten, ganz in christlicher Demut und Busse tun.
Wenn sie sich jetzt wie Konzernbosse und Bankmanager über das Volk hinwegsetzen, verdienen diese Herren absolut kein Vertrauen mehr!
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Mit dieser dauernden Kritik treffen Sie zahllose engagierte Menschen in der ganzen Welt, die nichts, gar nichts verbrochen haben, sondern täglich nur wirklich gute Taten vollbringen!
Es muß ein Ende haben, Menschen schlecht zu machen, die Kirche Christi schlecht zu machen, nur weil auch Dinge passieren, wie überall, wo Menschen sind.
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Aber überall wo Menschen sind, gibt es ein Rechtssystem, dass sie zur Rechenschaft zieht. Und genau DAS passiert hier nicht, sie dürfen weiter machen wie bisher, werden geschützt, obwohl sie Täter sind. Damit können auch die Menschen, die „wirklich gute Taten vollbringen“ bei bestem Willen nicht einverstanden sein.
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Mal ehrlich: wer hätte sich vor ein paar Jahren vorstellen können, dass diese riesige RömKathKirche in so schneller Zeit als pure Farce und Schandinstitution dasteht?
Wieviele durchblicken, wer da mauert, vertuscht und machtgeil drangsaliert und wer wirklich gute Arbeit an den Armen, Schwachen und Bedrängten leistet?
Ein wahres Desaster.
Aber vielleicht hilfts?
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