die leisen toten der krise

operationssaal foto: 96dpi creative commons by-nc

es sind die kleinen meldungen rund um das verbrechen namens „krise“. die kaum schon jemanden mehr aufregen. dennoch sollten sie das. die spanische EL PAIS berichtet heute über die wartelisten für medizinisch notwendige operative eingriffe. in manchen teilen des landes hat sich die zahl jener, die länger als 6 monate auf eine operation warten müssen beinahe verdreifacht. direkte folge jener kürzungen, die banken retten sollen, während die allgemeinheit draufzahlt. dass das draufzahlen so wörtlich zu nehmen ist, damit haben wohl viele nicht gerechnet. und es fällt bis heute nicht allen auf, sondern eher nur jenen, die es betrifft.

notwendige operationen werden also aufgeschoben oder nicht durchgeführt. diese folgen der kürzungen sind aber – wie expertInnen vorrechnen – gar keine ersparnisse, denn die zu späten eingriffe werden dann oft komplizierter und damit letztlich auch teurer. oder die krankheit nimmt einen schwereren verlauf, mehr eingriffe und langwierigere behandlungen werden notwendig.

dass sich die prognosen für die menschen verschlimmern, ist dann nur noch ein nebeneffekt. wirklich günstiger käme dann wohl nur, einfach noch länger zu warten bzw. die operationen und behandlungen ganz abzusagen.

die billigsten patienten sind die verstorbenen.

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foto: 96dpi creative commons by-nc

salzburger armutszeugnis

bettelgeld foto: bernhard jenny

ein armutszeugnis
ein offenbarungseid
so ein beschluss
der satten
und reichen
und kulturstadtverteidigerInnen

organisiertes betteln
was auch immer das sein soll
wollen jene verbieten
die das
organisierte verbrechen
der umverteilung
von unten nach oben
nicht nur nicht verhindern
sondern noch kräftig
unterstützen

ein schönes stadtbild
eine flanierlandschaft für superreiche
eine orgie der angeblichen hochkultur
wird sauber gehalten
das hatten wir schon mal
das sauber halten
weg mit denen
die offensichtlich arm sind
die ihre armut nicht verstecken

da sind sie sich einig
die feinen damen und herren
dass sie mit ihren feinen tüchern
nicht anstreifen wollen
an schmuddeligen kinderhänden
oder an den offenen hüten
den kriminell scheppernden dosen
die so gar nicht in die stadtmusik passen
die ach so aggresiv
ach so organisiert
ach so mafiös
sind

sauberes christliches salzburg
wie fein du doch bist
herausgeputzt und
edel

nazis dürfen in bürgermeisterstuben jubeln
sie werden sich verordnungen einfallen lassen
die sich gewaschen haben
weg mit denen
den armen

wer wird hier vor wem geschützt?

ein armutszeugnis
ein offenbarungseid
salzburg betätigt sich wieder

ps. meine warnmeldung zu salzburg hat nicht an aktualität verloren
pps. wenn regelmässig und mit indirekter aufforderung ihnen körbe unter die nase gehalten werden, dann ist das organisiertes betteln? also ist das sammeln in den kirchen ab sofort verboten, oder?

SN bericht

die restrevolution

lindos, rhodos, griechenland (foto: bernhard jenny)

ein bescheidener kurzurlaub in einem land, das manche zynisch auf „ramschniveau“ abstufen. griechenland. rhodos. und wem sind wir begegnet? fast ausschliesslich menschen, die uns immer wieder eines sagen wollen: „wir sind nicht nur die krise.“

wenn wir dann im gespräch uns einig sind, dass niemand der sogenannten „kleinen leute“ das verursacht hat, wofür sie jetzt alle bezahlen sollen, dann wird die offenheit und ehrliche gastfreundschaft zum grossen genuss.

„sagen sie das bitte auch in deutschland und österreich,“ hat mich einer gebeten, als ich ihm sagte, dass ich tief beeindruckt von der freundschaftlichen atmosphäre und den zahlreichen gesprächen bin. oder: „wir sind keine verbrecher, wir haben das geld nicht gestohlen, das angeblich weg ist.“

die bevölkerung eines ganzen landes (und einiger anderer länder) wird von den propagandisten der krise in geiselhaft genommen. abgewertet, erniedrigt und als betrügerInnen, falschspielerInnen, steuerhinterzieherInnen und wirtschaftskriminelle gebrandmarkt. das verletzt sehr viele, so manche sind ganz tief getroffen. das macht dann die depression der krise umso schwieriger.

und immer wieder wird klar:

es muss schnell eine lösung her. aber die darf nicht bewirken, dass die ursachen der krise nicht mehr hinterleuchtet werden, dass die wahren kriminellen nicht mehr gefasst werden.

es muss schnell eine lösung her. aber das ist weder der ESF noch sonst ein enteignungs- und knebelvertrag mit ewigkeitsklausel.

es muss schnell eine lösung her. diese müsste aber ein absolutes, ein wirkliches umdenken bedeuten.

nur wenn wir unser desaster zu einem wirtschaftssystem neu ordnen, in dem menschen mehr zählen als geld, in dem leben mehr wert bedeutet als zertifikate, in dem kein spekulationsangriff auf die soziale gemeinschaft mehr zugelassen wird, dann wären wir auf dem weg zu einer lösung.

kolimbia, rhodos, griechenland (foto: bernhard jenny)

was uns derzeit merkel und co als lösung verklickern wollen, ist eben genau nicht die lösung. selbst die angeblichen alternativen formen eines hollande sind nur varianten des ewigen fortschreibens der fehler.

keine spekulationsblasen dürfen bildung, sicherheit, gesundheit oder grundeinkommen zerstören. kein papier – weder geldscheine, schuldscheine, anleihen, fonds oder derivate – darf mehr wert sein, als das leben der menschen.

bescheidenes ergebnis unseres kurzurlaubes:
eine echte umkehr muss her.
eine revolution muss her.

realistisch gesehen:
der alltag wird uns bald wieder haben.
urlaub ist immer etwas realitätsfern.
aber es wäre zumindest einen versuch wert, einen kleinen rest hinüberzuretten.
revolutionsmässig.

zur lage der nation

titel blogparade neuwal lage der nation
ich beobachte

    nicht nur rechtsextreme, die unbehelligt ihre helden am hauptplatz der nation abfeiern dürfen,
    nicht nur ausländerfeindliche, rassistische und alltagsfaschistische übergriffe von seiten des staates z.b. im falle von deportationen vulgo abschiebungen,
    nicht nur skandalöse kürzungen im bereich der gesundheit, der pflege und der bildung,
    während andererseits banken und spekulation gefördert, gesichert und finanziert werden,

ich beobachte

    das erstarken der kleingeister, für die die welt immer schon zu gross und die grenzen unseres landes zu undicht waren,
    oder
    das weinerliche auftreten einer – wie heisst eigentlich ihre funktion wirklich? -, die bedauert, dass jetzt schon jedes hinübergeschobene festspielkarterl samt williger begleitung in den generalverdacht gerät
    oder
    die erscheinungen der unschuldsvermutung himself, die so schön, so reich und so intelligent ist, dass das ganze volk in den kalten schatten des zynismus gestellt wird
    oder
    die verschmitzten gesichter der eggers und hochs, die wissen wo das eine gesagt und das andere verschwiegen werden muss, damit wir die blöden und die anderen die lachenden bleiben

ich habe extreme schwierigkeiten

    bei der beobachtung
    von nachrichtensendungen und presseberichten
    weil sie immer mehr
    comedy- und standup-auftritte sind
    während die kabarettsendungen
    immer ernsthafter, seriöser und informativer werden

ich beobachte

    dass das steuern zahlen
    eine sache für dummies ist,
    während die nichtdummies
    mit läppischen 10% ihre schwarzen milliönchen
    legalisieren können

ich beobachte

    dass waffenschieben offensichtlich
    das einträglichste geschäft ist
    das dir nicht nur bei wildschweinjagden
    ein hohes ansehen
    einbringt
    es schützt auch vor richterlichem übereifer

ich beobachte

    dass das das spiel offensichtlich doch
    take all you can take
    heissen muss
    schamlos
    moralfrei
    und
    immer in die kameras grinsend

ich beobachte

    dass nun wörterbücher oder lexika für politikerInnen
    aufgelegt werden sollen
    wo dann drin steht
    was verboten, wirklich verboten ist
    was versteckt, aber wirklich versteckt laufen soll
    was erlaubt und daher wirklich offen dargestellt werden kann
    (so nach dem motto „schwarzgeld“ heisst nicht so, weil es der partei gehört,
    sondern nur weil es uns davor schützt, dass wir rote zahlen schreiben müssen)

das alles ist besorgniserregend,
aber noch nicht das schlimmste.

das schlimmste ist,
dass nun schluss sein soll mit der korruption.

wie soll die wirtschaft leben – denkt die kammer,
wie soll die kunst leben – denkt die präsidentin,
wie soll die welt sich drehen – denken nicht nur die waffenlobbyisten.

daher mein vorschlag.
lernen wir von den grossen
von den menspuis und dorfs
von den karlis und heinzis
von den macherInnen
von den erfolgreichen
und
erklären wir die praxis zur tugend
schluss mit alten moralvorstellungen
die nur im weg stehen
und uns nichts und noch weniger bringen

legalisieren wir die korruption.
das geht schneller
das ist einfacher
das macht alle glücklich

jedeR darf immer seinen/ihren preis bestimmen
der busfahrer könnte sein weiterfahren an trinkgelder binden
die krankenschwester die nächste spritze
der altenpfleger das windelnwechseln
die uniprofessorin das beurteilen
der richter das urteil sprechen

korruption ist
die lösung der krise
der motor der wirtschaft
die soziale gerechtigkeit die wir uns nehmen
und
alles wird gut.

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dieser beitrag ist anlässlich der blogparade von neuwal „zur lage der nation“ entstanden.

bedrohliche inflation in europa

suppenteller / foto: bernhard jenny

die wirkliche inflation findet nicht beim geld statt. es sind andere werte, die uns schneller abhanden kommen, als die konten. es ist die moral.

viele von uns nutzen sogenannte “soziale netzwerke” für den raschen austausch. das ist hype. das ist in. “soziale sicherheit” und “solidarität” scheinen dagegen fast, wie alte geldscheine aus einer anderen zeit, kaum mehr etwas wert zu sein. wenn daran erinnert wird, dass unsere gesellschaft niemand in den ruin entlassen dürfte, so wird von “hängematte” gesprochen, wenn gefordert wird, dass niemand zwangsdeportiert werden darf, so wird von “kriminellen” und “schmarotzern” parliert.

wer kann es noch hören? schulden. krise. euro. rettung. hair cut. bankrott. sparen. kürzung. rating. alles kandidaten für die unwörter des jahres.

wir wissen, alle diese begriffe haben etwas mit europa zu tun. und wir glauben, es geht ums geld. oder um den turbokapitalismus. vielerorts regt sich widerstand, unmut und empörung. viel zu wenig allerdings. und viel zu diffus.

mag sein, dass es ungeduld wäre, immer gleich orientierung und ausrichtung der entwicklungen zu erwarten. und niemand weiss, ob uns das organisierte verbrechen der spekulation nicht noch viel schlimmer an den abgrund oder gar hinab reissen wird.

es wäre allerdings in jedem fall eine “focusfalle”, also das lenken der aufmerksamkeit auf das nicht wirklich wichtige, wenn wir weiter über geld, ob real entwendetes oder gar nicht vorhandenes sprechen.

die grossen gremien der europäischen politik befassen sich derzeit mit dem – zugegeben nicht unwesentlichen – symptom finanzen. viel dringender – und für einen weg aus dem schlamassel unverzichtbar – wäre eine wertediskussion. geschieht diese nicht, wird jeder weitere schritt einer ohne richtungsänderung sein – also richtung abgrund. dann könnte es millionen verlierende und wenige, sehr wenige gewinnende geben. wieviele schritte es bis zum absturz sind, wissen wir nicht.

weder der derzeitige euro noch eine andere oder zukünftige währung wird uns retten können, solange wir nicht wissen, welche werte unsere gesellschaft wirklich verfolgt. scheinbar war dies einmal klarer als heute. der verlust der moral hat uns überhaupt erst dorthin kommen lassen, wo wir derzeit angelangt sind.

es ist die inflation der moral, die es zuerst zu bekämpfen gilt.

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dieser beitrag ist am 16.12.2011 auf nonapartofthegame.eu
erschienen und ist auch unter folgender adresse erreichbar:
http://nonapartofthegame.eu/?p=3235

AAA oder alarm, alarm, alarm

brandmelder (foto bernhard jenny)

ultrakurz einfach drei fragen zu den geschehnissen der letzten tage:

A) wer sagt an, was zu geschehen hat und was nicht?

A) wer erfüllt diese ansagen ohne jegliche verantwortung?

A) wer wird zu den verliererInnen gehören, die die folgen bitter zu bezahlen haben?

den alarmknopf dreimal drücken.

stuttgart aus der ferne betrachtet

foto: bastian_r (flickr/cc)

michael schlieben schreibt in der „zeit“ über das stuttgarter experiment, es sei geglückt. über weite strecken kann ich ihm da auch zustimmen. aus der ferne gesehen hat mich nicht die frage „oben bleiben“ oder „tieferlegen“ empört. der skandal war nicht, dass es zu einer grosszügigen umplanung eines verkehrsknotenpunktes kommen soll. es ging um die partizipation der bevölkerung an der entscheidung bzw. um die transparenz in der planung solcher vorhaben. und um das präpotente, aggressive vorgehen der betreibenden.

da meinten manche, sie könnten einfach über das volk „drüberfahren“, doch die stimmung ist dann gekippt, öffentliche verhandlungen wurden geführt, eine regierung abgewählt und nun ein neuerlicher entscheid getroffen.

fast könnte es ein glücksfall sein, dass dieser entscheid nicht so ausgegangen ist, wie die gegnerInnen es sich gewünscht hätten. dadurch wird nun klarer, wo der erfolg liegen könnte: in einer direkten demokratie. in transparenz. in partizipation.

doch leider dürfen und können wir diesem erfolg nicht trauen. viel schwerwiegendere, dramatischere entscheidungen werden nach wie vor ohne uns getroffen. wo bleibt im fall der sogenannten wirtschaftskrise die transparenz, die direkte demokratie? wie sieht die demokratische legitimation von merkozy aus? sind die beiden nicht längst ferngesteuerte fingerpuppen der gier?

wann haben wir entschieden ob banken oder menschen einen schutzschirm brauchen?

selbst die partizipation (die wir uns in diesem falle alle nicht wünschen) ist im falle der katastrophe nicht gerecht: es wird sehr viele geben, die schwer darunter leiden werden, aber auch die ultimativ gierigen, die sich daran immens bereichern. und die können wir weder abwählen, noch deren handeln per volksentscheid verhindern.

oder doch?

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foto:cc_icon_attribution_smallcc_icon_noderivs_small bastian_r (flickr)