wie peinlich lassen wir den gedenktag werden?

Lendemain de Pogrom, le 19 novembre 1938 à Berlin © dalbera creative commons

heute ist ein gedenktag.
am 9.november 1938 wurde die judenverfolgung endgültig systematisiert.
über die folgen wissen wir bescheid.
unfassbar nach wie vor.

ich habe schwierigkeiten mit diesem gedenktag.
gedenktage sollten verlässliche verortungen sein.
verortungen in unserem denken, in unserer herangehensweise, in unserer kultur.

eine reihe solcher gedenktage – solcher denkpunkte – soll uns ein „nie wieder“ zuverlässig erscheinen lassen.
aber ich muss zweifeln.
das „nie wieder“ ist schon lange nicht mehr gesichert, wenn es das überhaupt einmal war.

zu salonfähig sind die nazis wieder geworden.
zu wenig genau geht die politische kultur mit lasten um.
nein, es sind nicht nur mehr „altlasten“, „ewig gestrige“ oder „kameradschaftler“.
inzwischen haben wir eine unglaublich lange liste von „neulasten“.

nicht weil ich nicht gedenken wollte.
sondern ich frage mich, was bringt uns das gedenken an einem, an zwei oder von mir aus sieben tagen, wenn wir nicht fähig sind, die wirklichkeit verantwortlich zu schützen.

aber wir sind mit blindheit geschlagen.
die blindheit, die es möglich macht, dass ein rechtsextremer nationalratspräsident wird.
die blindheit, die uns zusehen lässt, dass der antisemitismus in immer neuen spielformen zunimmt.
die blindheit, die uns nicht erkennen lässt, dass „moscheen nicht da haben wollen“ nicht besser ist, als „synagogen nicht da haben wollen“.
die blindheit, die uns nicht alarmiert, wenn menschen, die politik gestalten wollen, nicht mehr über die vergangenheit reden oder bescheid wissen wollen.

ein gedenktag ist nur so viel wert, wie konsequent wir unser alltägliches handeln entsprechend gestalten.
ein gedenktag, der uns für ein paar stunden beruhigend erinnern lässt, ist wertlos und gefährlich, wenn wir ab morgen wieder keine lehren aus der geschichte ziehen.
ein gedenktag wird peinlich, wenn er nicht mehr sein kann, als ein einsamer kurzer tag.

ps. die diskussionen in den letzten tagen (siehe die letzten beiden blogeinträge) haben mich in diesem zusammenhang besonders erschreckt.

pps. durch zufall entdeckte ich ein foto, auf welchem parlamentsmitglieder für eine charityveranstaltung gemeinsam als chor aufgetreten sind. welche parlamentarierInnen stellen sich noch freiwillig in einen charity-chor mit dem rechtsextremen nationalratspräsidenten? welche „gute sache“ wiegt hier den politischen wahnsinn auf?

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foto creative commons dalbera

hpö: parteigründung mit antisemitismus und verherrlichung des deutschen reiches

screenshot kreditie.at (bildschirmfoto: bernhard jenny)

„Die US-Regierung weiß ebenso wie ihre geistig-jüdischen Führer, dass nur das neue Europa die Welt zu regieren berufen ist. Sie hatten berechtigt die nackte Angst im Nacken gespürt, als das neue Wirtschaftssystem des Deutschen Reiches ab 1933 die Arbeitslosigkeit mit fast zinslosem Geld ohne Golddeckung beseitigte und damit ein überragendes Beispiel für alle freiheitsliebenden Völker in Europa erschuf, das nur mit dem zweiten Weltkrieg wieder zum Verschwinden gebracht werden konnte.“

dieses zitat stammt von der österreichischen website der „HuMan-Weg Bewegung“ (dies war ursprünglich der link, der jetzt ins leere läuft kreditie.at, hier aber der beweis per google-gedächtnis: kreditie.at im rückblick). nicht die einzige unglaublichkeit auf dieser seite, die von der gründung einer neuen partei, der HPÖ berichtet.

massgeblicher ideologe und inhaber der seite ist der schweizer hans-jürgen klaussner, mitbegründer der partei in österreich ist franz hörmann, coautor des buches „das ende des geldes“, ein bestseller. der zweite autor dieses buches, otmar pregetter, hat sich bereits im dezember 2011 unmissverständlich von hörmann distanziert. (apa-meldung)

dass die antisemitische verherrlichung des deutschen reiches auf einer österreichischen website so stehen bleiben darf, muss verhindert werden.

die berechtigte systemkritik an jenen vorgängen, die politisch verantwortliche zunehmend entmündigen und die soziale struktur unserer gesellschaft aushöhlen, die kritik also an jenem verbrechen, das finanzspekulation gewinnen und menschen verlieren lässt darf nicht von solchen unterwandert werden, die unter dem deckmantel „ideologischer neutralität“ und „schlussstrich“ jenes gedankengut rehabilitieren wollen, das den holocaust möglich machte.

eine parteigründung mit den hier zitierten aussagen in den grundsatztexten muss uns alarmieren.

systemkritik ist wichtig, ja unverzichtbar.
eine rückkehr zu alten ideologien jedoch keine option.
nie wieder.

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malmoebericht

streifzüge distanzierung

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aktualisierung 2012-01-22

wie auch einem kommentator aufgefallen ist, wurde die hier zitierte seite auf kreditie.at unsichtbar geschalten. schon mal ein erster erfolg, wenngleich sich daraus noch nicht eine distanzierung von den von mir entdeckten inhalten zwingend ablesen lässt.

inzwischen haben gestern DIE PRESSE und heute PROFIL klare berichte über die verworrene situation gebracht:

DIE PRESSE – LINK ZUM ARTIKEL von magdalena klemun

PROFIL – LINK ZUM ARTIKEL von edith meinhart

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