75 jahre später. heute.

überarbeiteter screenshot

zum gedenken an die bücherverbrennung auf dem residenzplatz in salzburg am 30.4.1938 hier ein zitat aus erich kästners rede bei der PEN-tagung in hamburg 1958:

Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muß den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr.

Das ist der Schluß, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen, und es ist der Schluß meiner Rede. Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben. Es ist eine Angelegenheit des Terminkalenders, nicht des Heroismus.

Als Ovid sein »Principiis obsta!« niederschrieb, als er ausrief: „Bekämpfe den Beginn!“, dachte er an freundlichere Gegenstände. Und auch als er fortfuhr: „Sero medicina paratur!“, also etwa „Später helfen keine Salben!“, dachte er nicht an Politik und Diktatur. Trotzdem gilt seine Mahnung in jedem und auch in unserem Falle. Trotzdem gilt sie auch hier und heute. Trotzdem gilt sie immer und überall.

dem ist nichts hinzuzufügen.
75 jahre später. heute.

in: erich kästner: gesammelte schriften. band 5, s 571f, zürich, ex libris, 1965

eine kurznotiz zum residenzplatz

residenzplatz flusssteine  (bild: personenkonsortium 2009)

jetzt geht es wieder los, das dilettantische herumgestochere, irgendwie zugepflastere, steine dort oder da verschieben. seit 2009 war gras über alle diskussionen gewachsen, jetzt wird wieder auf klein klein gemacht.
(siehe ORF bericht 1 und bericht 2).

da gibt es einen fertigen vorschlag, der bei einem internationalen architekturwettbewerb gewonnen hat, aber den will man nicht umsetzen, weil zu teuer. dabei ist dieser vorschlag nur deshalb so teuer, weil von der stadt her die belastungsfähigkeit einer autobahn ausgeschrieben worden war – und daran hielten sich die architekten.

was mich – unabhängig von der eigentlichen fachdiskussion, die keine mehr ist – stört:

  • dieser platz war einmal ein friedhof. schon lange her, aber dennoch nicht unwesentlich.
  • dieser platz war schauplatz der bücherverbrennung. was am 30. april 1938 hier stattfand, darf auch nicht unwesentlich sein.
  • also brauchen wir zweierlei:
    architektonisches feingefühl und einen verantwortlichen umgang mit ferner und naher geschichte eines solchen platzes.

    beides scheint es derzeit in der stadt salzburg nicht im ausreichenden masse zu geben.

    vergessen.

    britta bayer, sascha oskar weis und bettina oberender im white noise

    „Es gibt eine historische Verpflichtung Salzburgs, hier Zeichen gegen den Ungeist der Intoleranz zu setzen,“

    betonte landeshauptfrau-stellvertreter david brenner in einer presseaussendung noch am donnerstag, in der die heutige gedenkveranstaltung an die bücherverbrennung vor 73 jahren angekündigt wurde.

    allerdings war heute um 10 im kunstpavillon „white noise“ weder ein landeshauptfrau-stellvertreter noch eine vertretung zu sehen. wohl vergessen.

    zu beginn der von relativ wenig interessentInnen besuchten veranstaltung blieb britta bayer vom landestheater nichts anderes übrig, als über die fehlende ankündigung und bewerbung der veranstaltung zu berichten. wohl vergessen.

    und nein, es gibt ihn offensichtlich nicht, den vermerk im übersichtskalender des koordinierungsamtes der stadt salzburg, der sicherstellt, dass an einem 30.4. nicht irgendeine veranstaltung am residenzplatz platz greifen sollte, schliesslich haben hier mal bücher gebrannt, vorbote der shoa. wohl vergessen.

    letzteres brachte mit sich, dass die „lesung zum jahrestag der salzburger bücherverbrennung am 30.4.1938“ sich am mozartplatz im „igel“ akustisch gegen eine laute, jahrmarktsähnliche geräuschkulisse vom residenzplatz her ankämpfen musste.

    es ist dem engagierten vortrag von britta bayer und sascha oskar weis vom salzburger landestheater zu danken, dass die lesung dennoch zu einem beeindruckenden ereignis wurde. texte aus „verbrannten“ werken, aber auch aus briefen von heinrich heine, carl zuckmayer, stefan zweig, joseph roth, kurt tucholsky, arthur schnitzler und erich kästner, kombiniert mit zeitungsartikeln jener zeit wurden zu einem spannenden, dichten und erschütternd aktuellen bild jener zeit, in der es – wie es einmal heisst – wohl schon zu spät war.

    bettina oberender, schauspieldramaturgin des landestheaters, hat mit ihrer gefühlvollen auswahl und zusammenstellung der texte erreicht, dass ein spannender inhaltlicher bogen entstand: quasi von der noch älteren katastrophe „reconquista“ über die schrecklichen vorahnungen im jahre 1938 bis zu jenen gedanken, bildern und zweifeln der autoren, die uns auch heute noch erschrecken lassen.

    einmal heisst es sinngemäss, 1938 wäre es schon zu spät gewesen, viel früher schon, 1928, hätte man das stoppen müssen, solange noch schneebälle geworfen wurden. die lawine, die diese auslösten, war dann nicht mehr aufzuhalten.

    beim verlassen des „white noise“ beschäftigt nach diesen eindringlichen bildern die frage:
    wie lange sehen wir den heutigen schneebällen noch zu?