wieviele verlassen die felsenreitschule beim auftritt haslauers?

der aufruf von cornelius obonya anläßlich der bildung einer schwarz-blau-koalition im land salzburg, bei beginn von haslauers eröffnungsrede die felsenreitschule zu verlassen, hat vor einigen wochen markus hinterhäuser aus der reserve gelockt. in einem beeindruckend gekränkten wording reagiert er auf den ehemaligen „jedermann“ obonya. dessen aufruf sei für ihn, so hinterhäuser in einem gespräch mit stephan hipold im juni, „von einer bemerkenswerten gedanklichen schlichtheit“ und ordnet proteste gegen die fpö als „abrufbaren, (…) ziemlich abgenutzten aktionismus“ ein und spricht von „ewig gleichen empörungsritualen“ und „pawlowschen reflexen“.


da muss schon viel innere empörung mitschwingen, wenn ein sonst eher für seine vorsicht und besonnenheit bekannter festspielintendant derartig ausflippt. das soll vielleicht jene, die tatsächlich protestaktionen planen, einschüchtern, ist aber eines hochrangigen kulturmanagers nicht würdig. dennoch, das wording in dem damaligen interview ist nicht das bedenklichste.

hinterhäuser kann einerseits dem vorhalt, dass der rassistische, antihumanistische diskurs der fpö wohl diametral dem gründungsgedanken von hofmannsthal entgegensteht, nicht widersprechen und gibt zu, dass auch ihm die fpö „in allem fremd, (…) unsympathisch und (…) zuwider“ sei, zieht sich aber dann auf einen realpolitischen fakt zurück: „die kultur liegt bei wilfried haslauer und stefan schnöll und ist dort gut aufgehoben. (…) ich wüsste auch nicht, wo oder wie die fpö (…) einfluss auf die salzburger festspiele nehmen könnte.“

welch kulturbegriff!
wie soll diese aussage verstanden werden bzw. wie muss sie aufgefasst werden? etwa: mag doch die fpö in ihren zuständigkeiten tun und lassen, was sie will, solange sie die hochkultur in ruhe lässt, ist alles in ordnung?


wird hier die festspielkultur als ein abgekoppeltes etwas verstanden, das nichts mit dem gesellschaftlichen leben als realität zu tun hat? sollte es den mitunter zu den weltbesten künstler:innen zählenden stars auf großer weltbühne völlig egal sein, was im leben der menschen stattfindet, solange die show gelingt? genügt sich die hochkultur nun doch wieder selbst?

kann es einem festspielintendanten egal sein, wie es den menschen, die in salzburg leben, ergeht?


wenn frauen kinder austragen sollen, ob sie wollen oder nicht, und dadurch die selbstbestimmung den frauen genommen wird, ist das egal, solange ein solokonzert abgefeiert werden kann?


wenn frauen zuhause bleiben und kinder hüten sollen und ihnen dadurch die gleichstellung verwehrt wird, lässt das einen festspielintendanten kalt, solange die internationale prominenz rekordverdächtig karten kauft?


wenn sozialleistungen an deutsche sprachkenntnisse gebunden werden und dadurch erstsprachen einfach entwertet werden, müssen wir das unaufgeregt hinnehmen, weil jedermann neuinszeniert sterben geht?


wenn wohnungen rassistisch vergeben werden, wodurch menschen, die unsere gesellschaft mittragen, zu entrechteten werden, kann uns das egal sein, solange verdis falstaff uns begeistert?


wenn gegen menschen hetzende nun ausgerechnet für deren integration zuständig sind und dadurch der blanke zynismus zur höhnischen landespolitischen linie wird, ist das in ordnung, solange „helene thimigs briefwechsel mit max reinhardt im exil“ uns an andere zeiten erinnert?


wenn also der rechtsextremismus mitregieren kann und dadurch die erfahrungen der letzten 100 jahre negiert werden, bleiben wir dennoch gelassen, weil die arie im haus für mozart einfach betörend war?

hier ist dringend die klärung des kulturbegriffs gefordert. kunst als sich selbstbefriedigende höchstperformance, die mit der realität der gesellschaft nicht nur nichts mehr zu tun haben will, sondern sich auf ein gesichertes luxusinselchen zurückzieht, sollte eigentlich kein öffentliches anliegen sein.

ausgerechnet gerard mortier, der seinerzeitige mentor des jungen hinterhäuser, hat sich in den neunziger-jahren stets gegen eine abgeschottete und von der aktuellen gesellschaft entkoppelten kultur gewandt. die radikale öffnung der hochkultur für ein jüngeres publikum war sein anliegen und er trieb dieses mit lustvoller vehemenz voran. es waren jahre, in denen viele „neue zielgruppen“ mitunter begeistert, manchmal fasziniert und irritiert zugleich, aber stets gerne die neuen impulse bei den festspielen miterlebt haben. das festival wurde mutig auf das 21. jahrhundert ausgerichtet.

heute ist nun das gegenteil der fall.
es hat den anschein, dass hinterhäuser nichts von irgendwelchen protesten hält, solange – mit oder ohne fpö – die produktionen der hochkultur gesichert werden. dabei kann es ihn anscheinend nur sehr wenig kümmern, wer sonst noch in unserer gesellschaft lebt und nicht auf exklusiven schutz durch haslauer und schnöll hoffen kann. ein festival, dessen intendant in seltener weise die auffassung von kultur als geschehen fernab der lebensrealitäten grosser bevölkerungsgruppen offenlegt, könnte dieses um ein jahrhundert zurück katapultieren.

wie viele verlassen die felsenreitschule beim auftritt haslauers?

bild: festakt zur eröffnung der salzburger festspiele 2019 in salzburg © foto: neumayr/leo 27.07.2019

dieser blogpost ist in ähnlicher form am 24.6.2023 auf DER STANDARD erschienen

Avatar von Unbekannt

Autor: bernhardjenny

kommunikationsgestalter meine unternehmen: jennycolombo.com, conSalis.at blogger, medienkünstler, autor, erwachsenenbildner salzburg - wien

2 Kommentare zu „wieviele verlassen die felsenreitschule beim auftritt haslauers?“

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..