die sieben tode des anstands

noch bevor das letzte team haslauer angelobt wird
ist schon siebenmal der anstand gestorben

der anstand musste sterben gehen
damit frauen kinder austragen, ob sie wollen oder nicht
wodurch die selbstbestimmung den frauen genommen wird

der anstand musste sterben gehen
damit frauen zuhause bleiben und kinder hüten
wodurch gleichstellung verwehrt wird

der anstand musste sterben gehen
damit segregation an schulen weiter kinder sortiert
wodurch inklusion weiter behindert wird

der anstand musste sterben gehen
damit sozialleistungen an deutsche sprachkenntnisse gebunden werden
wodurch erstsprachen einfach entwertet werden

der anstand musste sterben gehen
damit wohnungen rassistisch vergeben werden
wodurch menschen, die unsere gesellschaft mittragen, zu entrechteten werden

der anstand musste sterben gehen
damit gegen menschen hetzende nun für deren integration zuständig sind
wodurch der blanke zynismus zur höhnischen landespolitischen linie wird

der anstand musste sterben gehen
damit rechtsextremismus mitregieren kann
wodurch die erfahrungen der letzten 100 jahre negiert werden

der anstand geht nun täglich aufs neue sterben
es werden viele mehr werden
die sieben tode des anstands

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foto: archiv der salzburger festspiele foto ellinger 1920 jedermann CC BY 3.0

pps.

früher hätte es das nicht gegeben.

foto: bernhard jenny

werde ich wirklich so schnell alt? früher hätte es das nicht gegeben. ein verlässlicher stehsatz der alten. seit meiner kindheit. früher hätte es das nicht gegeben. das waren oft auch die ewig gestrigen, die sich noch an die führerzeiten erinnerten. schrecklich.

früher hätte es das nicht gegeben. ich hätte vor einiger zeit vermutlich geschworen, dass ich selbst diesen satz niemals sagen werde. aber bekanntlich ist niemals nie niemals.

szene 1
in einer salzburger gemeinde stellt sich heraus, dass die stichwahl um den bürgermeister nicht ganz koscher gelaufen ist. eine untersuchung ergab, dass stimmen falsch zugeordnet wurden und andere gar nicht gezählt hätten werden dürfen. jedenfalls. mit rechten dingen hätte genau der andere, der gegenkandidat bürgermeister werden sollen. weil aber beim einspruch gegen das ergebnis vergessen wurde, auch gleich einen antrag auf neuwahl zu stellen, bleibt jetzt dennoch alles beim alten. das kandidat mit den definitiv zahlenmässig unterlegenen stimmen bleibt bürgermeister, der andere mit den meisten gültigen stimmen geht leer aus.

szene 2
im salzburger landtag sitzt eine partei, die eigentlich gar nicht drin sitzen dürfte. denn die gesetzlich genau geregelten schritte zur zulassung als wahlwerbende gruppe/partei wurden eben nicht eingehalten. ein fehler, der in bestimmten kontexten zu einem grossen skandal geworden wäre, nun aber, da es offensichtlich niemanden wirklich stört, eher auf kleiner flamme beheizt wird. es wird den ultrarechten überlassen, sich dagegen aufzuregen. ein geständnis einer damals verantwortlichen person stellt klar, dass es wirklich eigentlich unzulässige manipulationen auf den unterstützungserklärungen gegeben hat. das zweifelt niemand mehr an. nur, was solls, wenn es im interesse der regierungsparteien ist, „die kirche im dorf“ zu lassen.

mich beschäftigt hier weniger das unterbleiben eines aufschreies, weder in szene 1 oder szene 2. sich hier mehr zu erwarten wäre vermutlich naiv.

aber:
früher hätte es das nicht gegeben.

soll heissen:
die politischen akteur_innen in den sechziger, siebziger und achziger jahren waren sicher auch keine unfehlbaren heiligen. sie hatten auch einiges gemauschelt und getrickst. mit sicherheit.

aber, (oder bilde ich mir das nur ein?) früher hätte es gar keines zurufes von aussen gebraucht, keinen breiten protest, keine androhung von weiteren untersuchungen. früher hätte in szene 1 der eigentlich nicht gewählte aber amtierende bürgermeister aus eigenen freien stücken die initiative ergriffen und wäre zurückgetreten. mit bedauern zwar, aber aus demokratiepolitisch bewusster verantwortung. in szene 2 hätte diese gruppierung ebenso von sich aus zumindest die regierungsbeteiligung zurückgelegt, um die arbeit für das land nicht weiter zu belasten. auch mit bedauern, aber eben aus demokratischem bewusstsein. die betroffenen selbst hätten aus verantwortung die einzig saubere konsequenz gezogen. früher.

doch nichts dergleichen wird geschehen.
haben big brother shows, talente-schuppen und sonstige superstar-rein und wieder rauswähl-programme in verbindung mit der banalisierung der verantwortung in allen ebenen uns so sehr vergiftet? wir glauben offensichtlich selbst nicht mehr daran, dass es auch nur irgendwo wirklich nur mit den guten dingen zugeht. wir wissen längst, dass die einen da und die anderen dort landen, alle genau dort, wo sie landen sollen. wir haben gelernt, dass alles nicht mehr so ganz ernst genommen werden muss. weder die verantwortung, noch die demokratie. fast könnten wir sagen: was solls. aber es kann noch fatale folgen haben. wir müssen uns vielleicht einmal fragen, wann das angefangen hat. mit der ungenauigkeit. mit der verantwortungslosigkeit. mit der aushöhlung von geltenden gesetzen und regeln.

selbst eindeutige und nachweisliche fehler im wahlverfahren bleiben folgenlos.
früher hätte es das nicht gegeben.

ps. szene 3: eine regierungspartei spricht sich heute gegen genauere untersuchungen im zusammenhang mit den überschreitungen der erlaubten wahlzuschüsse bei parlamentswahlen aus. wir brauchen nicht lange nachzudenken, warum. früher hätte es das nicht gegeben.

steidl preunert ganz schnell.

logo und zitat: spö salzburg frage: bernhard jenny

ist das die position der spö salzburg?

betteln soll nur als nebeneinkommen gestattet sein.

walter steidl (spö salzburg) in seinem am 1.10. im salzburger landtag eingebrachten antrag:
„Darüber hinaus wird die Landesregierung beauftragt genau zu prüfen,
ob die Aufnahme der Gewerbsmäßigkeit
(wenn durch das Betteln der Lebensunterhalt erwirtschaftet wird)
in das Landessicherheitsgesetz zu einer Entschärfung der emotionalen Situation beitragen kann.“

in anderen worten:
wer als bettler_in kein sonstiges einkommen für seinen lebensunterhalt nachweisen kann,
wird des gewerbsmässigen bettelns verdächtig?

steidl zeigt unfreiwillig auf, wie absurd die betteldiskussion insgesamt ist.

steidl preunert ganz schnell.

ps.
zur erklärung für nicht-salzburger_innen:
steidl ist der landesparteivorsitzende der spö salzburg.
preuner heisst der vp-vizebürgermeister der stadt, bekannt für seine hetze gegen bettler_innen.
schnell heisst ein fpö landtagsabgeordneter in salzburg, bekannt für (was eigentlich?).

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logo und zitat original spö salzburg
fragetext bernhard jenny

erfolg verleiht flügel. wohin?

foto: bernhard jenny

das team rund um astrid rössler darf sich gemeinsam mit ihr einfach mal freuen. es ist ein beeindruckender erfolg aller, die sich in diesem mitunter von anderen sehr dreckig geführten wahlkampf nicht beirren liessen, klar bei der sache zu bleiben.

vermutlich war gerade das chaos, die untergriffigkeit und das täuschen anderer genau jenes umfeld, in dem der ruhige und besonnene stil, die sprache einer ausschussvorsitzenden und ihre achtsamkeit, sich nicht vereinnahmen zu lassen, gold wert waren. das mitbrüllen, das mitschlägern und mitschlammschmeissen wäre nicht seriös gewesen. im chaos sachlich zu bleiben strapaziert vielleicht die geduld so mancher beobachterInnen, war aber offensichtlich wohltuend.

auch wenn nach manchen umfragen eine sehr grosse mehrheit der grünwählerInnen eine regierungsbeteiligung wünschen, wird in den kommenden tagen entschieden, wie kurzfristig, mittelfristig oder langfristig der erfolg sein kann.

wenn die grünen sich als willfährige mehrheitsbeschafferInnen für immerhin jene partei präsentieren, die schliesslich das zocken und spekulieren auf landesebene eingeführt hat, wäre der erfolg vermutlich schnell verpufft.

wenn die grünen sich ihre selbständige position bewahren, also selbstbewusst ihr politisches profil schärfen, ohne sich zu schnell im rausch des erfolgs den vorgaben eines zweiten verlierers zu beugen, entspräche dies der fortsetzung jenes stils, der viele wählerInnen überzeugt hat.

die gratwanderung zwischen regierungsbereitschaft einerseits und (budget-)geknebelter mehrheitsbeschafferIn andererseits, die niemals wirklich eine eigene politik durchsetzen kann, ist sehr schmal.

unabhängig davon, ob astrid rössler und ihr team in den kommenden tagen die angebote zur regierungsbeteiligung als attraktiv und realpolitisch aussichtsreich genug einschätzen oder ob sie klare gründe erkennen werden, warum sie sich nicht in ein boot mit zwei anderen parteien setzen wollen – in jedem fall wird die klare kommunikation der sachverhalte an die öffentlichkeit und damit auch an die vielen neuen wählerInnen entscheidend sein.

sieben landtagsabgeordnete sind so oder so eine grosse chance.
wie sie genutzt werden kann, muss erst ausgearbeitet werden.
erfolg verleiht flügel. wohin?