nationalratspräsidentin barbara prammer beantwortet meinen offenen brief

Sehr geehrter Herr Jenny,

ich habe Ihr e-Mail zur Familie Zogaj erhalten und möchte dazu einige grundsätzliche Anmerkungen machen.

Ich habe in der ORF-Pressestunde von „Wiedergutmachung“ gesprochen und habe das auch begründet. Es sind in diesem Fall von nahezu allen Beteiligten Fehler gemacht worden. Darüber hinaus bleibe ich dabei, dass hier auch ein politisches Exempel statuiert worden ist. An den Zogajs ist die ganze Unnachgiebigkeit einer restriktiven Fremdenpolitik demonstriert worden. Dazu kommt ein enormes mediales Interesse an diesem Fall, namentlich an Arigona. Alles zusammen hat einen Konflikt erzeugt und vor allem auf dem Rücken der Kinder eskalieren lassen. Mit weniger politischer wie medialer Aufgeregtheit hätte sich – wie in vielen ähnlich gelagerten Fällen – beizeiten eine sachliche Lösung finden lassen.

Dass das nicht passiert ist, mag man bedauern, aber die verfahrene Situation ist nun einmal, wie sie ist. Schuld an dieser unerfreulichen Entwicklung haben jedenfalls nicht die Kinder. Es ist unbestritten, dass die Familie seinerzeit illegal nach Österreich eingereist ist, wie auch unbestritten ist, dass das nunmehrige Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zu respektieren und umzusetzen ist. Das ändert allerdings nichts daran, dass sich diese Familie eine faire, anständige Behandlung verdient hat.

Daher bleibe ich dabei, dass es hier so etwas wie eine Verpflichtung seitens der Republik Österreich gibt, diesen Fall zu einem gütlichen Ende zu bringen. Genau das und nichts anderes verstehe ich unter Wiedergutmachung. Falls die Familie Zogaj vom Kosovo aus um Wiedereinreise nach Österreich ansuchen sollte, sollte sie eine faire Chance für einen legalen Aufenthalt erhalten. Das wäre im Übrigen nicht nur in humanitärem, sondern auch in volkswirtschaftlichem Sinne. Es ist schlichtweg unsinnig, jetzt die Kinder außer Landes zu schaffen, nachdem Österreich jahrelang in ihre Bildung investiert hat. Faktum ist, dass unser Land aufgrund geburtenschwacher Jahrgänge auf einen akuten Arbeitskräftemangel zusteuert. Daher wird Integration eine der zentralen Herausforderungen sein, der sich unsere Gesellschaft in nächster Zeit zu stellen haben wird. Wer sich schon nicht von Humanität leiten lassen will, sollte sich somit wenigstens von ökonomischen Argumenten überzeugen lassen.

Lassen Sie mich abschließend feststellen, dass mir große Sorge bereitet, wie viel Gehässigkeit und Aggressivität sich gegenüber der Familie Zogaj – und letztlich gegenüber Kindern – immer wieder entlädt. Das ist für mich nicht nachvollziehbar und ich habe dafür nicht das geringste Verständnis, weil es jede Mitmenschlichkeit vermissen lässt. Es werden mich deshalb auch Beschimpfungen und Anfeindungen nicht davon abbringen können, mich weiterhin für eine klare, aber anständige Fremdenpolitik einzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen,

Barbara Prammer e. h.

(eingetroffen 13.7.2010)

foto: petra spiola

wiedergutmachung oder menschlichkeit?

offener brief an nationalratspräsidentin maga. barbara prammer

sehr geehrte frau nationalratspräsidentin maga. barbara prammer!

mit interesse habe ich ihr heutiges statement zum fall der kosovarischen flüchtlingsfamilie zogaj in der orf pressestunde verfolgt, in dem sie „so etwas wie eine wiedergutmachung“ für die unglaublichen zumutungen forderten.

das kann ich ganz und gar nicht nachvollziehen: sollen wir nun wirklich zusehen, wie das absurde und menschenverachtende verhalten unserer politikerInnen und behörden – allen voran bundesministerin fekter – gegenüber längst in unserem land integrierten menschen endgültig zu einem beschämenden schauspiel wird, wie es sich thomas bernhard kaum noch beklemmender hätte ausmalen können?

wenn sie diese vorgänge wirklich dergestalt einschätzen, dass sie eine wiedergutmachung verlangen, wozu sollen wir dann die ultimative zuspitzung dieses unrechts durchsetzen, um dann auf eine wiedergutmachung zu hoffen?

eine ausweisung von arigona zogaj und ihrer familie würde ausschliesslich einen sehr symbolträchtigen und daher gefährlichen kniefall vor den ausländerInnenfeindlichen kraftsprüchen jener politischen brandstifter bedeuten, die dann alles in bewegung setzen werden, die von ihnen geforderte wiedergutmachung zu verhindern.

einmal mehr würde die familie zogaj zum unfreiwilligen spielball zwischen menschen, die an die schrecklichsten zeiten unserer geschichte anknüpfen und menschen, die hoffen, dass alles gut ausgehen könne.

ich finde, es ist höchste zeit, keinen einzigen millimeter unserer demokratie mehr an den braunen sumpf zu verlieren.
auch wenn einer, der eben diese sümpfe trocken legen wollte, bereits tot ist, sollte uns ein leitgedanke führen:

menschlichkeit und barmherzigkeit sind zentrale werte unserer gesellschaft, die niemals ein widerspruch zum rechtsstaat sein dürfen, sondern unverzichtbare prinzipien einer politischen kultur sein müssen, die jenseits von paragraphen auch noch menschen sieht.

unsere familie musste im vergangenen monat selbst erleben, wie heute eine nächtliche „nachschau“ der behörden unsere einfachsten grundrechte ignoriert. was bei uns vermutlich nur ein einschüchterungsversuch war (was gegenstand einer parlamentarischen anfrage von alev korun an bm fekter ist), wird für andere zur dramatischen zuspitzung: praktisch ident war nun das vorgehen der behörden in st.georgen im attergau, wo nun eine bestens integrierte familie aus georgien zwangsabgeschoben wurde. der 15jährige sohn dieser familie ist untergetaucht und irrt in unserem land umher!

solche zustände sind nicht mehr auszuhalten.
ich appelliere an ihre verantwortung als präsidentin des nationalrates und bitte sie dringenst, alles menschenmögliche – jenseits jeglicher parteigebundenheit – zu unternehmen, um die bedrohlich populistische hetzjagd auf menschen in unserem land definitiv zu beenden!

wenn sich jetzt schon solche umtriebe als „rechtskonform“ tarnen können, wie wird es erst dann aussehen, wenn die wirtschaftliche und damit auch soziale situation – und das ist leider zu befürchten – viel enger wird?

mit sehr besorgten grüssen

bernhard jenny

foto: kellerabteil (creative commons)

ein zeichen für menschlichkeit: „genug ist genug“

am kommenden do, 1.7.2010 um 18:30 veranstaltet ein personenkomitee mit der unterstützung von sos mitmensch eine demo unter dem motto „genug ist genug“ auf dem heldenplatz in wien!

  • für ein sofortiges humanitäres bleiberecht für die familie zogaj
  • für eine menschenwürdige asylpolitik und ein humanitäres fremdenrecht
  • es ist traurig, dass wir in unserem land zur einforderung von menschlichkeit auf die strasse gehen müssen.
    es ist traurig, dass in unserem land ausländerInnenfeindlichkeit und rassismus in einem ausmass möglich werden, wie wir es vor einigen jahren noch nicht für möglich gehalten hätten.
    es ist traurig, dass die regierenden in diesem land solche menschenverachtenden vorgänge mit asylwerberInnen und deren familien zulassen oder sie sogar verursachen.

    wir müssen uns wehren! wir müssen zeichen setzen!

    link zu SOS MITMENSCH

    BLOGPARADE „GENUG IST GENUG“: kellerabteil, Robert Misik, Andrea Maria Dusl, GPA-djp Jugend, neuwal, Elfriede Jelinek, from town to town, franz joseph, linksblog, geschuetz, klaus werner-lobo, dieNagashi, wolfgang weber, karl schönswetter, tschulietta, no na part of the game, denkwerkstatt, andreas lindinger,…

    aufruf zu kreativem widerstand und individuellem boykott!

  • ein staat, in dem schutzbedürftige kinder jahrelang aufwachsen, dann ihnen aber vorgeworfen wird, sie wären „unrechtmässig integriert“ und abgeschoben werden sollen,
  • ein staat, der jugendliche und kinder in schubhaft nimmt und unschuldige, hilfesuchende menschen als verbrecherInnen behandelt,
  • ein staat, der menschen trotz konkreter todesgefahr abschiebt und/oder tödliche vorgänge rund um die schubhaft zulässt,
  • ein staat, dessen verantwortliche politikerInnen trotz dieser skandalösen umstände nicht zu handeln fähig sind oder sich nicht trauen,
  • ein staat, der lieber menschen mit nacht-und-nebel-aktionen drangsaliert als menschen eine faire lebensgrundlage zu bieten,
  • ein staat, der seine eigene schreckliche geschichte nicht reflektiert und daher viele fehler wiederholt, anstelle sie zu vermeiden,
  • muss wachgerüttelt werden!

    es braucht neue formen des widerstandes und des boykotts.

    keine politische bewegung und keine organisation soll das für sich in anspruch nehmen können, in zeiten der vernetzung und der freien meinung dürfen wir uns dezentral unterschiedlichste wege einfallen lassen, diesen staat aufmerksam zu machen, dass menschenverachtung niemals wieder zum system werden darf!

    arigona muss bleiben dürfen, aber nicht nur sie

    die diskussion über menschen, die bei uns bestens integriert leben, muss endlich wieder auf die menschlichkeit zurückfinden. es geht weder um paragraphen, aktenlagen oder bestimmungen. es geht schlicht und einfach darum, ob wir menschen, so wie sie sind und bei uns leben, sie das auch weiterhin tun lassen oder ob wir sie zwangsweise und mit gewalt ausser landes bringen.

    das vgh urteil, welches heute bekannt wurde, scheint nun jenen, die menschen zu fällen reduzieren wollen, freie bahn zu geben.

    die frage ist, ob wir dabei zu sehen, wie in unserem land die zynische kaltblütigkeit und fremdenfeindlichkeit menschen verjagt und in elende situationen bringt, ja sogar in konkrete lebensgefahr.

    wo sind jene politikerInnen, die sich für menschlichkeit einsetzen, selbst auf die gefahr hin, von einigen fremdenhasserInnen nicht mehr gewählt zu werden?

    es könnte eine neue qualität einziehen in unser land. eine qualität der menschlichkeit.
    wer will sie einführen?

    oder sehen wir zu, wie unser land wieder einmal zwischen menschen und untermenschen differenziert?

    arigona ist nur eine berühmte junge frau, die seit vielen jahren bei uns lebt. ihr name steht für viele andere, denen gleiches und schlimmeres widerfährt, aber deren namen wir niemals erfahren, weil die öffentlichkeit nichts davon weiss.

    arigona kann nicht unauffällig verschwinden.
    wieviele werden aber in nacht-und-nebel-aktionen der polizei aus unserem land verbracht?
    wie oft führt uns das innenministerium hinter das licht?

    der schock sitzt tief, ABER:

    an diesem wochenende nach dem unglaublichen übergriff von mehr als 10 beamtInnen in polizeiuniform und zivil ist sehr viel passiert.

    fragen wie „was ist da passiert?“ und „was haben wir verbrochen?“ gingen uns durch den kopf, ein solcher eingriff in unsere privatsphäre geht nicht spurlos an uns vorbei. nach schlaflosen oder zumindest sehr kurzen nächten, nach einem wochenende zahlreicher gespräche im kreise der familie, mit freundInnen und vielen interessierten neuen bekannten, stehen für uns folgende punkte fest:

    1. voller protest gegen diese faschistoiden methoden!

    es ist wirklich nicht zu akzeptieren, dass sich eine horde von beamtInnen nächtens OHNE ANZULÄUTEN, durch unerlaubtes öffnen eines verriegelten gartentors und öffnen der haustür illegal in ein privathaus einschleicht und dies OHNE DURCHSUCHUNGSBEFEHL, aber unter einem vorwand, der nicht als entschuldigung dienen kann, nämlich die „nachschau“ nach einem asylwerber, der bei uns legal gemeldet ist.

    wir müssen uns im sinne aller menschen in diesem land dagegen wehren, dass solche „nacht- und nebelaktionen“ gewohnheit werden (wie die behörden selbst zugeben!), wie es schon einmal traurige gewohnheit in diesem land war.

    wir lassen uns nicht einschüchtern, sondern sehen dringensten bedarf des scharfen protestes mit allen mitteln.

    wir lassen es nicht zu, dass nächtliche polizeirazzien zur einschüchterung von regimekritisch denkenden menschen stattfinden.

    daher werden wir auf allen uns zur verfügung stehenden ebenen sowohl rechtliche schritte einleiten als auch schärfsten protest gegen diese skandalrazzia vorbringen.

    2. die menschenjagd auf asylwerberInnen muss sofort ein ende haben

    menschen, die in unserem land – immerhin einem der reichsten länder der welt – zuflucht suchen, weil sie von tod und elend bedroht sind, verdienen respekt und menschlichen umgang.

    die jagd auf menschen, deren verbrechen es ist, ein leben in sicherheit zu suchen ist immer unmenschlich. wieviele asylwerberInnen wurden von derartigen „nacht-und-nebel-polizei-horden“ bereits angetroffen, wie ist es ihnen ergangen und was ist mit ihnen geschehen?

    wieviel polizeistaat versteckt sich im dunkel der nacht, im abseits der öffentlichen aufmerksamkeit?

    3. der zusammenhang mit dem verfahren gegen unsere söhne liegt auf der hand

    es darf als wirkliche sensation bezeichnet werden, dass die staatsanwaltschaft im zusammenhang mit dem skandalurteil im prozess gegen unsere söhne (siehe http://widerstand-im-fekterland.at) ZUGUNSTEN des erstangeklagten einspruch erhebt, weil ihr das urteil viel zu streng erscheint. auch die begründung der staatsanwaltschaft, mit diesem sensationellen einspruch für den angeklagten ein klares zeichen gegen den verdacht der politischen gängelung setzen zu wollen, müsste viele aufwachen lassen, was dies im klartext über unsere justiz bedeutet!

    dass wenige stunden nach bekanntwerden dieser justizsensation eine einschüchternde razzia im elternhaus der angeklagten stattfindet, kann wohl nur von unheilbaren naivlingen als zufall betrachtet werden.

    diese vorgänge sind umso bedenklicher und anlass für eine überprüfung und aufklärung auf allen ebenen!

    4. grosser dank an alle unsere freundInnen, bekannte und unterstützerInnen

    unzählige anrufe, mails sowie nachrichten auf facebook und twitter zeigen uns, wie riesig die welle der empörung und der solidarität mit uns ist. es war uns gar nicht möglich, auf jede nachricht und unterstützende zu reagieren. aber das grosse ausmass an mitgefühl gibt uns wirklich sehr viel kraft und ist uns gleichzeitig wieder verantwortung, nicht aufzugeben.

    gerade diese breite unterstützung gibt uns aber auch zu denken: wir können solche angriffe und erschütterungen samt den damit verbundenen belastungen und anstrengungen relativ leicht überstehen, da wir ein sehr grosses und solidarisches umfeld haben.

    was passiert aber mit menschen, die relativ allein in unserem land leben und in not sind? was widerfährt z.b. jenen asylwerberInnen, die von solchen polizeitrupps nächtens aufgefunden werden und dabei von keinem umfeld geschützt werden?

    es war uns jetzt ein dringendes anliegen, uns mit diesem statement bei allen unterstützerInnen zu melden. wir werden in den kommenden tagen auch kreative formen des protestes überlegen, die eine mitbeteiligung möglichst vieler menschen ermöglicht.

    bis dahin wünschen wir euch und uns, dass sich genügend menschen finden, die endlich bzw. weiterhin unerschrocken gegen solche faschistoiden vorgänge und machenschaften aufstehen und solidarische wege zur menschlichkeit findet.

    menschenrechte müssen überall, immer und für alle menschen gelten!


    das bild zeigt 2 der an der nächtlichen razzia ohne rechtliche legitimation beteiligten beamtinnen:

    offene und dringende rücktrittsaufforderung an bundesministerin fekter!

    die aktuellen ereignisse rund um den selbstmordversuch eines jugendlichen aus afghanistan sind nun doppelter anlass für mich, sie dringenst zum rücktritt aufzufordern.

    ich befürchte, dass solche aufforderungen an ihnen abprallen werden, aber ich fordere sie dennoch dringend auf: treten sie zurück, solange der jugendliche aus afghanistan noch lebt.

    es ist ein skandal, dass in unserem land kinder und jugendliche in schubhaft geraten.

    es ist ein skandal, dass die psychische situation von schubhäftlingen immer wieder „verkannt“ oder nicht beachtet wird.

    es ist ein skandal, dass diesbezügliche forderungen von namhaften menschenrechtsorganisationen an ihnen vorbei gehen, wie sonst nur an regierenden diktatoren.

    es ist ein skandal, dass die polizei den selbstmordversuch des jugendlichen vertuschen wollte.

    es ist ein skandal, dass wir durch solche vorgangsweisen von einer dunkelziffer an menschenverachtenden vorgängen innerhalb ihrer behörde ausgehen müssen.

    machen sie den weg frei für menschen, die verantwortung im sinne einer zivilisierten, rechtsstaatlichen ordnung verspüren.

    treten sie zurück.
    heute noch!

    mit erschütterung und sorge um die vielen menschen, die unter ihrer politik leiden!

    bernhard jenny

    presseartikel zu dem selbstmordversuch eines 16jährigen:
    STANDARD
    OE24