letzte woche wurde ein brüderpaar wegen „ns-wiederbetätigung“ nicht rechtskräftig zu 10 bzw. 4 jahren haft verurteilt. erschütternd, was der prozess zu tage brachte: philipp h. hat nicht nur rechtsextreme lieder – zitat: „adolf war zu human, das war sein kapitalfehler“ – gerappt, die u.a. dem attentäter von halle am jom kippur 2019 als soundtrack zu seinen morden und zigfachen mordversuchen dienten, er war auch der übersetzer des rassistischen manifests des christchurch-attentäters. ermittler*innen attestierten philip h. eine „besondere gefährlichkeit“.
sein bruder benjamin h. war der betreiber jener hinlänglich bekannten antisemitischen hetzseite „judas watch“, auf der seit 2016 beinahe 2000 personen als „verräter der weissen rasse“ gelistet wurden.
rechtsanwalt mag. clemens lahner, der in dem verfahren mehrere gelistete personen vertrat, sagte in seinem plädoyer am 31.3.2022:
Es ist kein Zufall, dass der Attentäter von Halle an der Saale ein Lied des Erstangeklagten abgespielt hat, während er versucht hat, bewaffnet in die Synagoge einzudringen, um die dort anwesenden Menschen zu ermorden. (…)
Wir wissen, dass Nazis Listen führen, auf denen Feindinnen und Feinde angeführt werden; wir wissen, dass sich die extreme Rechte auf den sogenannten Tag X vorbereitet, an dem unsere demokratisch legitimierten Regierungen gestürzt werden sollen, an dem Feinde und Feindinnen aufgespürt, entführt, ermordet und entsorgt werden sollen.
Zu genau diesem Zweck werden die Waffen gehortet und wurden schon Leichensäcke organisiert, Kabelbinder als Handfesseln, und Löschkalk zur Beseitigung der Leichen.
Und zu genau diesem Zweck werden Listen wie jene auf Judas Watch geführt.“
und er forderte harte konsequenzen:
„Es ist kein Scherz, kein Bubenstreich, keine gedankenlose Dummheit. Es ist brandgefährlich und es muss ernsthafte Konsequenzen haben. Wer seinen Namen auf einer solchen Liste findet, der macht sich ernsthafte Sorgen um sich selbst und um seine Familie, das ist eine schwerwiegende Belastung für die betroffenen Menschen.“
fast könnte der eindruck entstehen, die angelegenheit wäre durch die verurteilungen erledigt. dem ist aber nicht so:
das BVT/die DSN spielt in dieser angelegenheit eine bedenklich verschwommene rolle. es ist unverständlich, wie fahrlässig dieses skandalgebeutelte amt handelt oder gar untätig bleibt.
2016 ging die judas watch seite online, viele der dort aufgelisteten erfuhren dies entweder von anderen aufgelisteten oder durch aufmerksame berichte, wie zb. christof mackinger im standard.
wie oben ausgeführt, ist es sehr unangenehm, auf einer solchen liste zu stehen, auch wenn dies nicht de betreffenden einschüchtern sollte.
vier jahre (!!!) später meldet sich das BVT per brief an verschiedene gelistete personen mit einem sehr nebulosen schreiben, dass es keine erkenntnisse über genaue bedrohungslagen gäbe. aber die empfänger*innen wurde aufgefordert, am besten per brief (sic!) eventuelle eigene beobachtungen über bedrohungen an das amt zu melden. frei nach kottan: „es sads in gfoa oda a ned, owa won eich wos auffoid, daun schreibts uns a koatn.“
selbst „kenner*innen der szene“ zweifelten damals an der echtheit des schreibens, aber es war echt.
nun aber muss in gehörigem zeitlichem abstand vor dem verfahren letzte woche durch ermittlungen bekannt gewesen sein, dass die beschuldigten keine naiven jugendlichen, sondern bedrohlich vernetzte neonazis (37 bzw. 34) waren, die genau wussten, was sie taten und eben als gefährlich eingestuft werden müssen.
- warum die auf judas watch gelisteten personen über die ermittlungsergebnisse nicht in kenntnis gesetzt wurden, ist eine offene frage.
- warum das amt die betreffenden vor jahren über die amtliche unwissenheit informiert, aber dann, sobald konkrete erkenntnisse da sind, die gelisteten personen in unwissenheit lässt, das sollten die verantwortlichen beantworten.
eine anfrage zu den versäumnissen der nunmehrigen DSN ist raus.
denn es darf nicht einfach so stehen bleiben.
jemand muss verantwortung tragen für die
skandalöse untätigkeit des verfassungsschutzes
ps. früher hiess es BVT (bundesamt für verfassungsschutz und terrorismusbekämpfung), heute DSN (direktion staatschutz und nachrichtendienst). gelernte österreicher*innen wissen, dass die beliebte art der „reform“ durch austausch der schilder im wesentlichen nichts verändert, und wenn, dann in seltensten fällen verbessert.
foto: tokfo bearb bjenny
Jedoch sah man bei der Staatsanwaltschaft Wien eine Kennzeichnung als einflussreicher Jude eben als eine Kennzeichnung als einflussreicher Jude. Und nicht als den Tatbestand eines Gesinnungsparagraphen erfüllend. Die Feststellung, dass dieser Personenkreis durch die Befürwortung von Feminismus, Multi-Kulturalismus und Migration auffällig wird, reichte grundsätzlich auch noch nicht einen Anfangsverdacht hinsichtlich einer Straftat anzunehmen. Das änderte sich nach zahlreichen Anzeigen und Anfragen eines antifaschistischen Netzwerkes bestehend aus der Liste PILZ, Michael Bonvalot, Bini Guttmann, Dr. Gabriel Lansky, Christof Mackinger, Doz. Dr. Thomas Nowotny und Prof. Dr. Georg Zanger. Während zu Beginn lediglich Ermittlungen nach § 107c StGB gegen den unbekannten Macher eingeleitet wurden, trieben die genannten Antifaschisten die Ermittlungsbehörden dazu nach dem NSDAP-Verbotsgesetz tätig zu werden.
Im Prozess werden die meisten der Berufsbetroffenen von Mag. Clemens Lahner vertreten, der seine Stellung als Privatbeteiligtenvertreter massiv dazu missbraucht hat bei den Geschworenen Stimmung gegen die Angeklagten zu machen. Der als Anzeiger eingeschrittene Dr. Georg Zanger ließ sich von seinem Kanzleimitarbeiter Ing. Johannes Kerbl vertreten, welcher im Prozess so weit ging zu behaupten: „Im Grunde ist das Führen solcher Listen ein Aufruf zum Mord.“
Die Stellung des Privatbeteiligten und damit auch dessen Vertreters im österreichischen Strafverfahren geht weit über den EU-Rahmenbeschluss über die Stellung des Opfers im Strafverfahren hinaus. Der Gesetzgeber verkennt vor lauter Opferempathie den Sinn des Strafprozesses der darin besteht, den Strafanspruch des Staates gegen seine Bürger durchzusetzen. Wohin opferorientierte Strafrechtspflege in politischen Prozessen führt, sieht man an den Urteilen. Während „Mr. Bond“ zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, bekam sein Bruder vier Jahre. Man attestierte den Beiden „besondere Gefährlichkeit“ und ging bei der Strafbemessung vom erweiterten Strafrahmen des § 3g VerbotsG aus, welcher eine Freiheitsstrafe von bis zu zwanzig Jahren vorsieht. Damit nimmt die politische Verfolgung in Österreich Ausmaße an, die früher undenkbar waren. Die Sache mit dem erweiterten Strafrahmen wegen „besonderer Gefährlichkeit“ ist bei einer als abstraktem Gefährdungsdelikt konzipierten Strafnorm schon generell bizarr. Mit der Ausgestaltung der „besonderen Gefährlichkeit“ als erweitertem Strafrahmen und nicht als Strafsatz ersparte sich der historische Gesetzgeber auch noch die Schaffung eines strafsatzändernden Tatbestandselements und der dafür erforderlichen Bestimmtheit. Man bedient sich hier einer Sanktionsmethode, die deutlich nach jenem russischen Schnaps stinkt, der damals die Geburt dieser Strafbestimmung eingeleitet hat und die davor nur gegen bekannte Nationalisten vom Schlage eines Gottfried Küssels eingesetzt wurde. Nicht aber gegen Menschen, die sich selbst radikalisiert haben und möglicherweise über die Stränge geschlagen haben.
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