der gute freund herman

foto: letja verstijnenletzten freitag war herman zu besuch. auch wenn das salzburger kongresshaus voll ist, gelingt es dem alten freund aus holland, das gefühl zu vermitteln, es wäre ein persönlicher besuch.

er hat es dabei natürlich auch sehr leicht, schliesslich kann er zitate aus den vergangenen jahrzehnten dazu einsetzen, um uns gekonnt an die gefühle, die wir damals hatten, an diesem abend zu erinnern.

aber er bleibt nicht in nostalgischer rückschau stecken, im gegenteil. selbstironisch seines eigenen alters bewusst, dann wieder verträumt in bunte bilder, wie sie nur einem van veen so einfallen, zwischendurch tiefster ernst. alles hat platz bei herman.

die musikalisch im besten sinne ausgereifte darbietung des veenschen kosmos begeistert und bewegt. es ist wohl die sehnsucht vieler, so sehr sich selbst treu zu sein, ohne das schreckliche auszublenden, ohne die dramen des lebens auszulassen, aber auch mit genussvollem einbinden des originellen humors und frechen witzes.

der abend ist nicht zuletzt deshalb ein voller genuss, da die mitwirkenden künstlerInnen mit vollem einsatz weit mehr sind, als begleitmusikerInnen: edith leerkes, die mit ihrer musikalischen gestaltungskraft weitere dimensionen eröffnet, jannemien cnossen und dorit oitzinger, die mit ihrer frischen bühnenpräsenz den auftrag zu haben scheinen, herman mal im positivsten sinne durchaus auch mal alt aussehen zu lassen und nicht zuletzt erik van der wurff, der immer schon die klingenden wege von herman auf tasten zeichnete und wohl für so viele vertrautheiten in den klängen verantwortlich ist. insgesamt beschenkt das ensemble das publikum mit einer perfektion, die selten geworden ist.

und wenn herman dann voller stolz auch noch ein werk seiner tochter anne vorträgt, dann kann er sich darauf verlassen, dass das publikum sich noch erinnert, an damals, als seine kleine tochter schon die welt „noch ein bisschen schöner färben“ durfte.

wirkliche freundInnen hermans wissen, dass ein solcher abend immer drei teile hat: „vor der pause“, „nach der pause“ und „nach dem finale“: die zugaben sind keine lästigen zugeständnisse, sondern ganz das, was immer passiert, wenn gute freundInnen sich verabschieden: schon richtung tür unterwegs fallen ihnen noch ganz wichtige dinge ein, die sie unbedingt auch noch erzählen müssen.

und dann noch am ende die ultimative zusage an sein publikum: „solange diese kehle nicht eingegraben wird, wird das immer mein geräusch sein!“ eben ein richtiger freund.

positives signal in salzburg: facebook-generation geht auf die strasse

mit der gestrigen demo gegen kellernazis, rosenkranz, strache und schnell ist zahlreichen politisch bewussten jungen menschen ein starkes, positives signal gegen rechtsextremismus und rassismus gelungen. eine angenehm grosse schar hauptsächlich junger menschen (ich wurde schelmisch darauf angesprochen, ob ich nicht eine 50plus gruppe gründen wolle) zog vom mirabellplatz zum residenzplatz, um von dort aus der wesentlich kleineren rechten gruppe, die aus dem mozartplatz kurfristig einen braunen keller machen wollten, lauthals protest zuzurufen.

mich hat die positive stimmung, die unter den demonstrantInnen herrschte, sehr beeindruckt. offensichtlich war es sehr gut, dass sich verschiedenste organisationen und initiativen zu dieser gemeinsamen, bunten aktion verständigt haben. die fröhliche vielfalt ist das beste gegenmittel gegen braune, misanthrope flecken.

passend ausgewählte musik über ein eigens mitgeführtes mobiles soundsystem in einem radanhänger hat dazu beigetragen, dass hunderte demonstrantInnen gut gelaunt durch die salzburger innenstadt zogen.

jedenfalls war dies seit langem die ermunternste demo in salzburg. auf dem heimweg habe ich beschlossen, nicht zu sehr über die (fast) fehlenden generationen 35plus zu lamentieren, sondern mich über die zahlreichen jungen menschen zu freuen, die sich gegen rechten hass, rassimus und fremdenfeindlichkeit wehren.

mehr über die veranstaltung bzw. ein überblick über organisatorInnen und medienechos unter:

http://wutimbauch.wordpress.com/

missbrauch: tiefste erschütterung lässt dennoch die macht unerschüttert

die hoffentlich noch lange nicht endende welle der aufdeckungen, die immer länger werdende liste von menschen, die trotz aller verletzungen nun die kraft aufbringen, öffentlich anzuklagen, all das erschüttert viele.

wenn ich aus den medien erfahren muss, dass ein mir gut bekannter seelsorger einer jener missbraucher war, dann löst das automatisch sehr unangenehme gefühle bei mir aus. ich denke nach, in welchen situationen ich etwas erkennen hätte können, ob ich naiv war, ob ich gar weggeschaut habe.

wo war ich denn sonst noch in der nähe, wo habe ich sonst was übersehen? fast jeden tag fallen mir neue szenen ein.

es fallen mir zb. jene schulkollegen ein, die in einem kirchlichen internat wohnten und mir immer wieder zu verstehen gaben, dass ich als einer, der zuhause bei seiner familie leben durfte, nie verstehen würde, „was da bei uns alles so passiert“. wenn ich mich damals gewundert habe, warum meine schulkollegen sich nicht über die letzte schulstunde eines tages oder einer woche freuen konnten, weil „jetzt geht der horror erst los“, so ahnte ich zwar, dass das was schreckliches sein musste, was meine schulkollegen erwartete, aber ich war teil des sprachlosen systems.

mir fällt ein, dass mir ein schulkollege eines tages zu erzählen versuchte, wie sehr er sich vor jenem moment fürchte, wenn der priesterliche heimleiter seinen gürtel aus dem hosenbund zieht, um ihn und andere mitbewohner zu verprügeln. ich kann nicht verstehen, warum mich das zwar unheimlich erschrecken liess, aber nicht zum handeln brachte. mir fällt ein, dass ich damals den ton nicht verstehen konnte, in dem er mir das alles erzählte: nicht verzweifelt, weinend, schwach und schreiend, sondern unwirklich kalt, fast regungslos, starr und hart. heute sage ich mir: offensichtlich waren die gefühle schon lange tot.

und daher fühle ich mich schuldig.
ich hätte es wissen müssen, ich habe es gewusst, aber ich habe nicht gehandelt. ich war zwar minderjährig und nicht direkt betroffen, aber das hilft mir nur wenig um mit meiner damaligen ohnmacht heute fertig zu werden.

wenn ich darüber nachdenke, dann stelle ich mir folgende fragen:

  • wieviele direkt betroffene menschen können trotz aller aufdeckungen und öffentlich werdenden anklagen noch immer nicht reden, weil ihre seele zu sehr zerstört ist?
  • wieviele leben vielleicht gar nicht mehr, weil sie sich umgebracht haben?
  • mit welchem faktor müssen wir die zahl der bekanntgewordenen fälle multiplizieren, um eine ahnung zu bekommen, was wirklich vor sich ging?
  • wenn sich nun nach vielen jahren jene melden, denen das quasi „vorgestern“ angetan wurde, wann werden jene sprechen können, denen das gestern und heute angetan wird?
  • wie halten wir es aus, dass trotz aller aufdeckungen, den sichtbar werdenden verletzungen und den schwersten erschütterungen betroffener menschen der kriminelle machtapparat dieser angeblichen „amtskirche“ letztlich unerschüttert verharrt?