es gab zeiten, in denen gesichert schien, dass die „ewiggestrigen“ ohnehin nur mehr eine kleine minderheit wären, die langsam aber sicher einsehen müssten, dass der nationalsozialismus die menschheit in eine katastrophe stürzte, die „nie wieder“ passieren dürfe.
es gab zeiten, in denen zuversicht herrschte, dass die gesellschaft unseres landes in zunehmendem masse offenheit und vielfalt, wertschätzung und demokratie lebt, alte strukturen überwindet und den weg in eine aufgeklärte moderne findet.
heute sind wir schon einige tage im jahr 2018. und nichts ist mehr klar. nicht zum ersten mal, aber diesmal mit überraschender heftigkeit, melden sich die alten – überwunden geglaubten – geister wieder.
kindern und jugendlichen muss plötzlich wieder erklärt werden, was ein „wichs“ ist, eine „mensur“, ein „schmiss“ und kaum jemand kann erklären, warum diese „burschen“ wieder etwas in unserem land zu sagen haben.
österreich erlebt eine zeitreise in eine vergangenheit, die mit „konservativ“ wohl nicht mehr zu beschreiben ist. österreich leistet sich rechtsextremes gedankengut an staatstragenden und politisch höchst verantwortlichen stellen.
„ich glaub jetzt nicht, dass sie wieder die viehwagons herausholen, um menschen wegzubringen“, hörte ich kürzlich eine junge frau zu ihrer freundin sagen, die nicht glauben konnte, dass sie den türkisen karrierevogel gewählt hatte.
einer, dem nichts mehr heilig war, hat sich mit den extremrechten ins politische bett gelegt, um nur endlich zum schuss zu kommen. was das für die politische kultur in unserem land – und in europa – bedeutet, ist kaum abzusehen.
wie weit wurden wir nun wirklich zurückgeworfen? wir können es aus der gegenwart kaum beurteilen, wir werden es erst mit einigem abstand sehen können.
widerstand ist die pflicht der stunde. und aufrichtiges gedenken. keine alibiaktionen, keine presseaussendungen mit bekenntnissen, die angesichts der entwicklungen ohnehin niemand glaubt, sondern klares bewusstsein schaffen.
marco m. feingold hat heute vor 7 jahren in einem gespräch mit mir dinge gesagt, die aus heutiger sicht aktueller sind, als je zuvor. deshalb will ich ihn hier gerade heute zu wort kommen lassen:
immer wieder zuhören und reflektieren, was damals passiert ist.
damit es beim „nie wieder“ bleibt!
holocaustgedenken – eine moralische verpflichtung.
ein gedenktag ist nicht egal. auch wenn es manchmal den anschein hat. denn vieles in unserem land läuft wieder ganz in jene richtung, aus der die schreckliche – menschgemachte – katastrophe gekommen war. und das ist nicht egal.
ein gedenktag ist nicht egal. zugegeben tue ich mir schwer, solche gedenktage für etwas zu halten, das uns ein nachhaltiges „nie wieder“ sichert. zu oberflächlich wird hier vieles verharmlost. und das ist nicht egal.
ein gedenktag ist nicht egal. ja, ich finde es schön, dass viele menschen auf die strasse gehen, vieler ortens der katastrophe gedenken. einmal mehr sollte uns bewusst werden, wie sehr uns das gedenken eine verpflichtung sein muss, täglich. und das ist nicht egal.
ein gedenktag ist nicht egal. es wäre sinnvoll, darüber zu reflektieren, an wievielen orten dieser welt der wahnsinn, der menschen in richtige und falsche, in berechtigte und unberechtigte, in legale und illegale sortiert, sich ausbreitet. und das ist nicht egal.
ein gedenktag ist nicht egal. es ist schwer zu verstehen, wieviele menschen das wiedererstarken der nazis verharmlosen oder als demokratischen prozess beinahe entschuldigen. als wäre die absicht damals und heute nicht eine gleiche. und das ist nicht egal.
ein gedenktag ist nicht egal. selbst wenn rechtsextreme gewählt werden, sind sie deshalb nicht weniger rechtsextrem, weil sie viele oder sehr viele stimmen bekommen. rechtsextremismus ist immer ein verbrechen. und das ist nicht egal.
ein gedenktag ist nicht egal. wir müssen unsere standpunkte definieren und klarheit darüber haben, was zur disposition steht und was nicht. ein gesellschaftlicher diskurs kann niemals die grundrechte in frage stellen. nie wieder. und das ist nicht egal.
nein, es ist nicht egal.
____________ foto: corsi michele creative commons CC BY-NC-ND 2.0
so manche gesellschaftliche entwicklung in unserer näheren umgebung und in der gesamten welt lässt uns manchmal zweifeln, ob wir es schaffen werden, aus der geschichte zu lernen, verbindung statt trennung, gleichberechtigung statt diskriminierung, miteinander statt gegeneinander zu leben. es gibt menschen, die sich nicht und nicht entmutigen lassen.
mit seinen bald 102 jahren ist marko m. feingold, präsident der israelitischen kultusgemeinde salzburg, unermüdlich aktiv, in schulen, vorträgen, pressegesprächen, interviews und diversen veranstaltungen. authentisch und lebendig berichtet er das erlebte mit genau jenem mass an menschlichkeit, das aus fakten erfahrungen, aus erzähltem lebendiges werden lässt.
marko m. feingold überlebte auschwitz, neuengamme, dachau und schliesslich buchenwald. dies war nur durch eine unglaubliche serie von “zufällen” möglich, wie feingold immer wieder ehrfürchtig berichtet. ebenso zufällig kam der wiener, der 1945 nicht mehr in seine heimatstadt zurück durfte, nach salzburg und wurde dort nur wenige tage nach der befreiung zum entscheidenden helfer für eine viertelmillion “displaced persons”, jüdischen überlebenden, die im nachkriegseuropa keinen platz hatten.
2011 habe ich anlässlich des holocaust-gedenktages dieses gespräch mit ihm geführt:
wenn wir diese worte am heutigen gedenktag anhören, so muss uns auffallen, wieviel „wieder“ uns in unserer heutigen gesellschaft umgibt. dagegen gilt es aufzutreten. und gegen die stigmatisierung von menschen, die flüchtenden helfen. marko m. feingold würde vor heutigen gerichten unter umständen (es kommt auf die richtung an) wegen organisierter schlepperei verurteilt. und ist auch deshalb wichtiges politisches vorbild.