#hassposting ist #hassposting – nicht für die grünen?

albert steinhauser und eva glawischnig präsentierten gestern ihre vorschläge für die erleichterung von prozessen gegen hasspostings. dagegen wird – angesichts des zunehmenden auftretens von enthemmten hasstiraden und gefährlichen drohungen in den diversen plattformen und foren – niemand etwas haben können. der vorschlag, den schutz gegen solche übergriffe auszudehnen ist also nur vernünftig.

allerdings ist – aus wirklich unerklärlichen gründen – meiner meinung nach der vorschlag der grünen ein schwerer supergau. denn allein schon, dass der vorschlag „schutzwürdige gruppen“ sieht, lässt die umgehende frage aufkommen, wer denn zu einer „nicht schutzwürdigen gruppe“ gehören soll.

die idee, in schweren beleidigungen und drohungen schneller als bisher einen gesetzlich vorgesehenen anlass für rechtliche verfolgung zu sehen, ist mit sicherheit richtig. absolut nicht nachvollziehbar ist, warum diese gesetzesnovelle nur für „frauen, lgbtq-personen oder ethnische minderheiten“ gelten soll.

der standard schrieb darüber:

Ein weißer, heterosexueller Österreicher, dem jemand den Tod wünscht, erhält diese Möglichkeit vorerst nicht – es sei denn er wird wegen seiner Heterosexualität attackiert. (…) Der Grund dafür, diesen Paragrafen auf geschützte Gruppen zu beschränken, liegt darin, dass diese am öftesten Opfer von Hasspostings werden.

es stimmt mit sicherheit, dass frauen im netz viel öfter ziel von hasspostings sind, als männer. was aber de facto ohnehin dazu führt, dass selbst bei einem für alle von hasspostings betroffenen in gleicher weise geltenden recht eben auch entsprechend mehr gesetzliche inanspruchnahme der neuen schutzbestimmungen durch frauen passieren würde.

die logik, dass besonders häufig angegriffene zielgruppen anders als die anderen geschützt werden müssen, ist fatal. genauso könnte jemand auf die idee kommen, die entführung reicher menschen härter zu bestrafen, als eine von armen. letztere werden nur sehr selten entführt. oder die beleidigung von menschen über 85 weniger schlimm einzustufen, denn viel häufiger werden menschen jüngeren alters beleidigt.

ich habe jedenfalls den aufruf der vier journalistinnen corinna milborn, ingrid thurnher, barbara kaufmann und hanna herbst im juni via falter niemals so verstanden, dass sie zwischen besonders schlimmen hasspostings gegen journalistinnen im unterschied zu harmloseren gegen andere menschen unterscheiden. es war viel eher der aufschrei gegen hass und sexualisierte gewalt und eben der deutliche hinweis, dass sich diese übergriffe gegen frauen, die öffentlich auftreten, besonders häufen. dieser auftritt war nicht nur wichtig, sondern hoffentlich auch entsprechend mobilisierend.

der vorschlag der grünen aber baut in sachen hasspostings eine 2klassen gesellschaft auf. es kann niemals im sinne einer gleichstellung sein, dass jemand – selbst wenn er ein weisser mann ist – ein hassposting eher hinnehmen soll, als andere.

muss wirklich erst ein homophober kontext, ein antisemitischer oder frauenfeindlicher zusammenhang  nachgewiesen werden, damit eine drohung mit dem tod als besonders schlimm gelten darf?

„ihr werdet alle noch auf hohen laternen hängen, wenn wir die macht haben“

diesen satz sollte ich mir also eher gefallen lassen, weil der hassposter es unterlassen hat, explizit „du schwuchtel“, „du judenschwein“ oder sonst was in das schema passendes dranzuhängen?

ist eine selektion in rechtlichen möglichkeiten, sich gegen hasspostings zu wehren, vertretbar? oder ist selektion nicht viel mehr der beginn allen übels?

eine morddrohung bleibt eine morddrohung.
egal wem gegenüber sie ausgesprochen wird.

#hassposting ist #hassposting – nicht für die grünen?

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bild: bernhard jenny cc by

wer hass will, braucht feinde.

foto: bernhard jenny cc by

das eint alle, die von hass und hetze profitieren wollen: sie brauchen feinde. am besten todfeinde. das ist die logik der kriege, aber auch die logik des terrors.

der gestrige anschlag auf die redaktion der französischen satirezeitschrift charlie hebdo folgt genau dieser logik. der maximale erfolg solcher anschläge sind nicht nur die toten und verletzten, der maximale erfolg ist der hass, die wut und der reflex der rache, der in vielen menschen aufkeimt. der maximale erfolg ist die emotion, die hochkommen muss, wenn wir mitansehen müssen, wie menschen kaltblütig ermordet werden.

wir stehen in europa vor einer entscheidung: lassen wir uns in den hass treiben, oder isolieren wir die hasstreibenden. sehen wir der aufwiegelung der hassenden tatenlos und ratlos zu, oder entsinnen wir uns jener werte, die es wert sind, unsere gesellschaften danach zu organisieren?

dabei geht es nicht nur um die ächtung von gewalt und mord, egal aus welchem ideologischen eck diese kommen. es geht auch darum, die werte selbst wiederzufinden bzw. diese neu zu erfinden.

dass hass der einen immer auch der komplize des hasses anderer ist, ist selbstredend. aber wie es zur bereitschaft, zur kultur des hasses kommt, das müssen wir noch genauer realisieren:
eine entsolidarisierte gesellschaft,
die den verlierer_innen eines postkapitalistischen systems erklärt, sie seien eigentlich nur selbst schuld,
eine entsolidarisierte gesellschaft,
die aus randgruppen definitiv ausgegrenzte outcasts ohne aussichten auf veränderungen macht,
eine entsolidarisierte gesellschaft,
die die chancen auf entwicklung an die spekulationsetagen des organisierten kapitalverbrechens verkauft,
ist der ideale, ja fast zwingende nährboden für extreme wut, gewaltbereitschaft und terrorakte.

wenn wir diesen nährboden nicht in den griff bekommen, steht der erfolgreichen aufwiegelung der hasstreibenden gegeneinander nach dem motto „alle gegen die zivilgesellschaft“ nichts im wege, dann wären wir beim zündfunken für einen unüberschaubaren bürgerkrieg à la hans magnus enzensberger angelangt.

es ist klar, dass wir eine systemänderung brauchen. wem wollen wir die gestaltung der veränderungen überlassen?

wer frieden will, braucht vieles:
gerechtigkeit, freiheit, chancengleichheit, zukunft und sicherheit.

da haben es die anderen einfacher:
wer hass will, braucht feinde.

gesucht: würde

salzburg_IMG_2535_würde bernhard jenny cc by nc sc

sie ist uns abhanden gekommen. wenn wir zulassen, dass arme, notreisende und bettlerInnen nur mehr als „problem“ gesehen werden, dann nehmen wir ihnen die würde. wenn wir zusehen, wie verblendungen (was für ein wort) in brücken und schlupflöcher zur beruhigung der hetzerInnen eingebaut werden, ohne dass ihnen wirklich ausreichend unterkunft angeboten wird, dann nehmen wir ihnen die würde. wenn wir zuhören, wie hetzerInnen diese menschen als abschaum, gesindel, stinkende und abfallprodzierende wesen erniedrigt und verhöhnt werden, dann nehmen wir ihnen die würde.

aber nicht nur das. wir nehmen uns selbst die würde. wer zulässt, dass anderen die würde genommen wird, oder gar selbst anderen die würde nimmt, nimmt sich selbst die würde.

bei der lektüre diverser facebook-kommentare auf hetzseiten gegen bettlerInnen wird es überdeutlich, wie weit weg wir von der würde sind. würdelosigkeit ist den dumpfen nicht einmal peinlich. geifernd und sabbernd hetzen da viele, überstürzen sich geradezu in ihrem hass auf feindbilder, die ihnen allzulang vorgekaut, aufgeschrieben und vorplakatiert wurden. social media machen vieles über die schmerzgrenze hinaus sichtbar. auch den mob. in all seiner würdelosigkeit.

wenn es uns nicht gelingt, die würde wieder zu finden, dann werden sich immer mehr dem mob anschliessen. die himmelschreiende wortlosigkeit, die alarmierende tatenlosigkeit und die mangels ehrlicher denkarbeit anhaltende ratlosigkeit der verantwortlichen verursachen grosse schäden. wo sind die stimmen, die genauigkeit und klarheit in der diskussion einfordern? die es nicht zulassen, dass ständig armut mit kriminalität, ausländerInnen mit mafia, migrantInnen mit abfall und schmutz assoziiert werden? wer hat den mumm, sowohl dem gröhlen des mobs als auch der verwaschenen ungenauigkeit einhalt zu gebieten? oder hat der mob am ende dann recht, wenn er genügend likes, genügend unterschriften sammelt? sind menschenrechte per unterschriftenlisten abschaffbar?

wir werden die würde wieder finden müssen, wir werden sie durchdeklinieren müssen und in unserer denke einen platz einräumen müssen, wenn es sie denn noch irgendwo gibt.

vielleicht finden wir sie gerade bei jenen menschen, die wir gerade verjagen, vertreiben und verhöhnen. wenn wir sie ernstnehmen, annehmen, versorgen und unterstützen. wenn wir ihnen auf augenhöhe begegnen. während den hetzerInnen spenden zuviel ist, sollte einfach nur spenden zuwenig sein. sie sind genauso teil dieser, unser aller welt wie du und ich. erst wenn wir das begreifen, werden wir sie finden. die verlorene würde. denn die not, aus der diese menschen kommen, ist auch unsere not. wir stecken im gleichen system wie sie. wenn sie zu uns kommen, haben wir uns selbst zu fragen, was wir dort, wo sie ihre heimat haben, angestellt haben. wir haben dem geld die grosse reisefreiheit gegeben, dass menschen diese auch nutzen, war für manche nicht vorgesehen. diese menschen suchen das, was sie bei uns vermuten. das geld. und wir? wir sollten mit ihnen etwas finden, das wir verloren haben. wir brauchen diese menschen für diese suche.

gesucht: würde
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mehr über die hochoffizielle denkart in dieser unkulturstadt

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eine künstlerische aktion im auftrag von friedensbüro, argekultur und apropos behandelt anlässlich der tagung „betteln. eine herausforderung“ dieses thema

liebe kinder. seids brav, sonst schmeiss ich euch raus.

lammlola creative commons foto:acidpix

liebe kinder. damit ihr es nur wisst. ihr dürfts nicht garstige sachen sagen. und wenn ihr jemannfrau kennt, der/die/das einen mistkübel umgeworfen hat, dann müsst ihr den/die/das bei euren freundInnen und helferInnen melden. seids brav. sonst schmeiss ich euch raus.

was? platzverbot? ja das ist schnee von gestern. das interessiert jetzt keinen mehr. nein liebe kinder. nocheinmal: ihr dürfts keine garstigen sachen sagen. und wenn ihr jemannfrau kennt, der/die/das was garstiges gesagt hat, oder vorhat, dass er/sie/es was garstiges sagen will, dann müsst ihr den/die/das bei euren freundInnen und helferInnen melden. seids brav. sonst schmeiss ich wirklich raus.

was? journalistInnen durften nicht selbst entscheiden wo sie hingehen? dazu sag ich jetzt nichts. nein liebe kinder. nocheinmal: ihr dürfts keine garstigen sachen sagen. und wenn ihr jemannfrau kennt, der/die/das einen stinkefinger gezeigt hat, oder zuviel schals getragen hat, dann müsst ihr den/die/das bei euren freundInnen und helferInnen melden. seids brav. sonst schmeiss ich echt aber ehrlich raus.

was? „hass“ habt ihr gesagt? pfui. das darf manfrau nicht sagen. nein, auch wenn es nazis sind. die müssen wir auch lieb haben. die wollen doch eh nur ein bisserl spielen mit ihren säbeln. die haben ja sonst keinen einfluss. den hab schon ich. ich hab viiiiieeeeel mehr einfluss. das könnt ihr euch merken, liebe kinder.

was? schluss jetzt. ich sag jetzt nichts mehr. hauptsache alles ist grün und brav. pürstl hin, strache her. wir sind zu allen lieb. und jetzt singen wir gemeinsam: „grün, grün, grün sind alle meine lämmer.“

liebe kinder. seids brav, sonst schmeiss ich euch raus.

bild: creative commons licence by 2.0 acidpix