besoffene männer grölen. „steig ein, wir fahren.“

am liebsten bin ich zu fuss unterwegs oder mit dem rad. in eisigen zeiten dann doch immer wieder mit dem bus. seit ich schnellentschlossen ein ticket per app kaufen kann, nutze ich den bus – besonders gern zu zeiten, die nicht gerade zu den hauptverkehrszeiten gehören.

in meiner umgebung gibt es aber viele, die sich den bus als fahrzeug der wahl kaum vorstellen können. ein imageproblem?

da muss was geschehen, dachten wohl die verantwortlichen aller städte, die ein eigenes öffi-system betreiben. das image gehört gehoben. neue zielgruppen sollen gewonnen werden. obus, und strassenbahn sollen positiv wahrgenommen werden.

nichts leichter als das! ein bus voller betrunkener – ausschliesslich männlicher – fussballfans, das ist schon was geiles. da will ja jede und jeder mitfahren, das zeigt, wie ulramegageil der coole öffi eigentlich ist. öffentlicher verkehr der speziellen art.

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zugegeben, manchmal sind wir bummvoll.
genau genommen meisten dann, wenn du es auch bist.

ehrlich: ich frage mich bei solch „geglückten“ kampagnen immer, wieviele menschen an der ausschreibung, an den gestaltungsvorchlägen, am zuschlag für die agentur, an der freigabe der endgültigen version beteiligt waren. und niemand schreit da stop?

welche machobrille müssen entscheidungsträger (ohne *innen?) aufhaben, um solches zu veranlassen?

ich weiss jetzt jedenfalls, dass ich nicht zur angesprochenen zielgruppe gehöre. ich bin weder fussballfan, noch bummvoll. und meiner frau, meinen töchtern und freundinnen kann ich jetzt auch den bus nicht mehr wärmstens empfehlen. vermutlich muss „mann“ bummvoll sein, um wirklich willkommen zu sein.

kein faschingsscherz, sondern echte werberealität:
gratulation den kommunikationsverantwortlichen von sechs öffi-unternehmen österreichs!
ob graz, innsbruck, klagenfurt, linz, salzburg oder wien:
besoffene männer grölen. „steig ein, wir fahren.“

 

jetzt: green new deal!

bei der wahl in graz ist für die grünen einiges nicht so gelaufen, wie erwartet. dabei bekommt vermutlich ausgerechnet eine junge spitzenkandidatin die folgen eines versäumnisses ab, für das sie nichts kann.

das versäumnis ist eines auf bundesebene. was faymann für die spö war, ist längst glawischnig für die grünen. sie müsste einsehen, dass die erfolge rund um van der bellen keine grünen erfolge waren, keine wegen ihrer funktion als bundesparteichefin, sondern wohl eher trotzdem.

die grünen bräuchten eine junge „kernige“ spitzenkandidatin, eine runderneuerung der partei, die seit langer zeit mehr und mehr erstarrt und sich krampfhaft an alten stehsätzen festhält. die bisherigen alibiaktionen im parteiumfeld von eva glawischnig können nicht davon ablenken, dass die eigentliche schwachstelle die vorderste spitze ist.

wann hat eine aussage der bundesgrünen oder von glawischnig persönlich irgend jemanden positiv „überrascht“, wann ist eine grüne position unerwartet frisch und dynamisch gewesen? oder waren die inhalte von statements und pressekonferenzen eigentlich schon längst vorhersehbar. copypaste als täglich grüssendes grünes murmeltier?

die grünen müssen auf bundesebene aus dem eck einer verkopften boboclique raus, sie müssen sich wieder mal was trauen. sie sollten frech und fröhlich agieren. wieviele stimmen sind nun wirklich mit „bio macht schön“ zu gewinnen, in zeiten, wo die probleme der menschen ganz andere sind?

faymann hat es auch gut gemeint, aber er war das symbol für erstarrung und stillstand.
glawischnig geht es da nicht anders.

wenn jetzt die grazer zeichen nicht erkannt werden, wird es auf bundesebene noch viel dramatischer werden.

oder unsentimental: wenn kein glaubhafter neuanfang in grün passiert, dann werden eben andere gruppen und listen entstehen. vielleicht nicht die schlechteste variante. aber wer das grüne bewegungspotenzial nicht vernachlässigen will, muss jetzt veränderung ermöglichen.

jetzt: green new deal!

opfer. medien. medienopfer?

screenshot orf grafik bernhard jenny

amok. eine tragödie. unfassbar. natürlich versuche der sofortigen vorverurteilung bzw. vereinnahmung im sinne einer hetzerischen kampagne. dem muss entgegengewirkt werden. klar.

es stellt sich heraus: der täter scheint ein gewalttäter mit langer vorgeschichte zu sein. einer, der gewohnheitsmässig zugeschlagen hat, wann immer er es wollte. die frau erzählt ihre geschichte vor laufender fernsehkamera, tränenerstickt ist ihre stimme, sie ist fassungslos. sie erzählt ihr leid, sie berichtet, dass sie immer geschlagen wurde, ob schwanger oder nicht.

gestern erlaubte ich mir meinen protest öffentlich in social media zu formulieren. auf facebook lautete mein eintrag:

ABSURD! eine geschlagene frau tränenaufgelöst vor die kamera in ein exklusivinterview zu zerren, um dem „druck der medien“ zu entgehen, ist scheinheiliger voyeurismus auf tiefstem niveau. mediales ausschlachten einer menschlichen katastrophe bringt sicher quote. hat aber mit journalismus nichts zu tun.

das löste jedoch mehr diskussion aus, als ich vermutet hatte.

so meldete sich angelika a., psychologin für kinder- und familienbehandlung lt. fb-profil:

oh, das sehe ich aber GANZ anders. Hier wurde deutlich, was für eine Sorte Täter der Mann ist. Ein ganz normaler gewalttätiger Ehemann. Kein Salafist. Kein Islamist. Nein, einer der vielen „Familienväter“, gewalttätig und alltäglich in seiner Grausamkeit. Auf keine andere Weise hätte das so eindringlich klargemacht werden können. Und ich wünsche mir Männer, die das nicht nur erkennen, sondern eine eindeutige und unmissverständliche Haltung einnehmen gegen solche Männer, die das Wort Ehemann und Vater nicht verdient haben.

darauf meine antwort:

bezüglich klar gegen gewalt und grausamkeit eintreten bin ich zu 1000% dabei… aber dass das auf kosten der frau gehen soll, ist eben absurd.
(…)
es gäbe viele formen, die inhalte um die es dir hier geht verantwortungsvoll und mit breitenwirkung zu transportieren, ohne die frau tränenerstickt vor die kamera zu setzen. das löst bei manchen wieder ganz was falsches aus und befriedigt u.a. sensationsgeile voyeure (hier mal bewusst nicht gegendert).

zahlreiche diskussionsbeiträge folgten, bis sich dann gerhard t. überraschend offen zu wort meldete:

Ich war lange Zeit als Reporter bei THEMA tätig. Leider wurde der Quotendrang und die „Rampengeilheit“ des Moderator Feurstein immer schlimmer. Nach Kampusch braucht er einfach immer mehr diese quotenträchtigen Interviews. Die Grenze zwischen Information und Voyeurismus ist schon lange bei THEMA , vor allem bei Herrn Feurstein, verblufft.

eine berufskollegin feursteins vom servus tv, mimi h. meldete sich mit einer ganz anderen meinung:

Ich kenne Christoph Feurstein und weiß, dass ihm die Menschen, die er da interviewt, alles andere als egal sind und dass er keineswegs sensationslüstern handelt. Und auch wenn die Frau in Tränen aufgelöst war und natürlich völlig verzweifelt, so würde ich mich hüten zu behaupten, dass sie vor „die Kamera gezerrt wurde“, so als wäre sie nicht fähig, Entscheidungen treffen zu können. Ihr mit euren Meldungen geilt euch doch auf und verschließt euch der Möglichkeit, dass diese Frau vielleicht das Bedürfnis hatte, ihre Geschichte zu erzählen. Man kann Christoph Feurstein für unsympathisch halten, das ist Geschmacksache, aber ich weiß, dass er ein guter, sehr kluger und sehr mitfühlender Mensch ist.

inzwischen haben viele die sendung gesehen. die meinungen dürften weiter sehr geteilt sein.

die häusliche bzw. familiäre gewalt ist ein sehr wichtiges thema. das auch enttabuisiert gehört. nur mit einem klaren und unmissverständlichen STOPP jeglicher gewalt auf allen gesellschaftlichen ebenen werden wir weiterkommen.

ob aber ausgerechnet ein medial sehr plump inszeniertes mitleid in form eines tränenerstickten interviews ein geeignetes mittel ist, muss diskutiert werden dürfen.

es ist eine eklatante grenzüberschreitung, wenn ein interview so weit getrieben wird, dass selbst bei der offensichtlich notwendigen beruhigung der frau durch eine begleiterin auch noch die kamera drauf bleibt.

es ist eine eklatante grenzüberschreitung, wenn christoph feurstein am ende des interviews auch noch zärtlich (???) an die schulter greift. ist das der sensible umgang mit einem so ernsten thema?

abgesehen davon, dass grundsätzlich alles, was uns medial mit grosser wucht reingedrückt wird immer auch kritisch zu hinterfragen ist:
es gibt solche und solche journalist_innen. es gibt solche und solche medien. ob im staatlichen fernsehen, rundfunk, ob in den privaten sendern oder den freien medien: überall kommt alles vor: sternstunden des journalismus und tiefpunkte der bedenklichen art.
ich halte dieses „thema“-interview für einen tiefpunkt.

opfer. medien. medienopfer?

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bild: screenshot orf thema bearbeitet von bernhard jenny cc by

dieser artikel ist am 30.6. auf fischundfleisch.com erschienen und ist auch dort aufrufbar