hätte es noch eines beweises bedurft, dass interkulturelle begegnung niemals nur das mischen von identitäten ist, sondern dass aus einem aufeinander einlassen immer mehr entsteht, neues und unerwartetes, dann wäre shantala shivalingappa und sidi larbi cherkaoui letzen samstag mit „play“ im festspielhaus st.pölten der endgültige beweis dafür gelungen. gerade weil niemand seine eigene identität verleugnet, sondern im bewussten bezug zu seinen wurzeln und herkünften steht, wird erlebbar, wie aus eins und eins mindestens sieben, wenn nicht zehn oder elf wird.
shantala shivalingappa ist in madras, indien, geboren und in paris aufgewachsen, kehrte dann aber nach indien zurück, um dort die traditionelle indische kuchipudi-tanzform zu erlernen. sidi larbi cherkaoui ist marrokanisch-flämischer sohn eines muslim und einer katholikin, der in antwerpen geboren und aufgewachsen ist.
wir können der 2009 verstorbenen pina bausch für die folgenreiche idee dankbar sein, diese beiden tänzerInnen zu einer zusammenarbeit einzuladen. für viele scheint harmonie nur bei ähnlichkeit oder gleichheit denkbar zu sein, hier wird harmonie nicht trotz der gegensätze und ungleichheit der akteurInnen, sondern gerade durch die annehmende offenheit möglich.
shantala shivalingappa und sidi larbi cherkaoui gelingt mit diesem abend, an dem sie für choreografie, regie, tanz und gesang verantwortlich sind gemeinsam mit den hervorragenden musikerInnen patrizia bovi (gesang und harfe), gabriele miracle (percussion und hackbrett), olga wojciechowska (violine) und tsubasa hori (kodo-trommel) eine unglaublich dichte abfolge von beeindruckenden bildern, die dem geist gut tun.
jenem geist, der mit inneren bildern visionen und perspektiven entwickelt, die ohne diese bilder nicht so leicht entstünden. dabei entwickeln diese bilder gerade deshalb eine besondere kraft, weil sie niemals eindeutig sind, sie changieren in kontrasten und gegensätzen, verweben ernsthafte tiefe mit selbstironie und humor, fröhliche leichtigkeit mit meditativer zentriertheit.
und diesen geist wollen sie ihre aufmerksamkeit widmen. ein von shantala shivalingappa formuliertes statement bringt dies auf den punkt:
bis vor kurzem glaubte die wissenschaft, dass unser gehirn ab dem erwachsenenalter in seinem aufbau endgültig definiert sei. nun wurde aber entdeckt, dass durch entsprechendes training veränderungen möglich sind. wenn dies zb. durch konsequentes üben am klavier möglich ist, warum sollte das nicht auch durch konsequentes üben menschlicher qualitäten wie aufrichtigkeit, güte und friedfertigkeit möglich sein? wir verwenden viel zeit für erziehung und einübung verschiedenster fertigkeiten, aber erstaunlich wenig zeit für das üben dessen, was am wichtigsten ist: die übung unseres geistes.
ein solches statement hätte auch schulmeisterlich belehrend wirken können, wäre da nicht soeben ein erfrischend humoriges bild voller feiner selbstironie davor gewesen.
es ist scheinbar paradox: je tiefer die künstlerInnen das geschehen auf das individuum mensch, jeweils auf sich selbst herunterbrechen, je authentischer sich die beiden im ständigen wechselspiel aufeinander einlassen, umso allgemein gültiger scheinen die botschaften zu werden.
durch die zentriertheit in sich selbst erblüht hier anmutig kulturelle vielfalt und menschliche pluralität. die getanzten, gesungenen und musizierten bilder sind zumindest hilfreich, an eine welt zu glauben, in der alle platz haben, genau so, wie sie sind.
2 Kommentare zu „veränderung braucht innere bilder“