glauben wir (schon wieder) an ein jenseits?

foto bernhard jenny

die korruption der gesamten regierung ist bewiesen, das ist aber noch lange kein grund zurückzutreten. einer der krisendiktatoren besucht ein unterjochtes land, deshalb ist demonstrieren verboten. das volk hat nichts zu sagen. und dass militärs längst mit jenem spionagesystem arbeiten, welches die kanzlerin nicht gekannt haben will, regt auch niemanden mehr auf. wir gewöhnen uns an die unredlichkeit. an die schlechtigkeit des systems. weil wir uns kein anderes vorstellen können. weil wir planlos sind. weil der kapitale liberalismus das hirn geschrumpft hat.

spanien. deutschland. griechenland.
beispielhafte schauplätze der alternativlosigkeit.

gibt es ein leben nach dem turbokapitalismus?
kommt es von selbst?
oder muss irgendwer was tun?
sind wir sediert?
oder
glauben wir (schon wieder) an ein jenseits?

iphone, amazon und kik sind nicht wirklich das problem.

foto: bernhard jenny

schon lange die iphone-fabriken. dann amazon und seine arbeitsbedingungen. und jetzt kik und seine eingestürzte fabrik mit vielen toten.

empörung. berechtigte empörung. nur trotzdem falsch. weil viel zu klein. viel zu punktuell. ja es stimmt, dass iphones unter für uns unglaublichen bedingungen hergestellt werden. aber eben nicht nur iphones. es stimmt vermutlich auch, dass amazon mit schrecklichen arbeitsverträgen mitarbeiterInnen extrem belastet. aber nicht nur amazon tut das. praktisch alles, was uns von heute auf morgen zugestellt wird, was uns zu unglaublich günstigen preisen schnell erreicht, geht auf kosten von menschen, die darunter leiden. und die eingestürzte kik-fabrik, die vermutlich keine war, sondern die eines subunternehmens eines subunternehmens eines subunternehmens? ja auch hier gilt. praktisch alles, was wir uns so anziehen, was wir so schnell günstig mitnehmen, wurde irgendwann unter drastischen rahmenbedingungen zusammengeflickt.

da ist kinderarbeit ebenso drin wie giftbelastung, wirkliche hungerlöhne und arbeitszeiten, die sonst kein leben ermöglichen.

gestern war tag der arbeit. die restlichen tage des jahres sollten tage der sklaverei sein. vermutlich käme das im sinne des ausmasses hin. nur zuviele produkte sind letztlich ergebnis von sklavInnenarbeit. manchmal in unserer nähe, viel öfter aber weit weg aus unserem blickfeld.

wer glaubt, dass das nur billigmarken oder nur „konventionelle“ ware betrifft, schaut weg. unser gesamtes wirtschaftssystem funktioniert nur, weil es diese ausbeutung gibt. gegen einzelmarken, gegen einzelunternehmen aufzustehen, mag uns beruhigen, das system wird dadurch nicht wirklich anders.

es ist einfacher gegen einzelerscheinungen zu unterschreiben.
wer veränderung wirklich will, müsste sich von diesem system verabschieden.

iphone, amazon und kik sind nicht wirklich das problem.

ganz kurz

so manche rechtspopulistischen brennstäbe liegen ungekühlt in europa herum, radikale werden unkontrolliert freigesetzt. das spielen mit nationalistischen energien stellt sich als immer weniger beherrschbar und instabiler heraus. homophobie, xenophobie, demokratiefeindlichkeit, frauenfeindlichkeit und sonstige mittelalterliche rückfallreflexe entweichen und verstrahlen weit und breit die landschaft.

expertInnen versichern, die aktuelle lage sei noch nicht mit dem nationalsozialismus vergleichbar.

enzensbergers monster: ein schrecklicher genuss

hans magnus enzensberger: sanftes monster brüssel - cover

hans magnus enzensberger bringt in seinem essay „sanftes monster brüssel oder die entmündigung europas“ das bild einer chimäre, um das monster brüssel zu beschreiben. eine ebensolche chimäre ist sein essay: es ist ein mischwesen, dieser text, ein mischtext also.

ein text, den zu lesen ein wahrer genuss ist, da jeder satz, jeder absatz spürbar scharf überlegt und auf hart erarbeitetem wissen über brüssel beruht und dieses engagiert und sprachlich pointiert vermitteln will.

ein text aber auch, der schrecken und grausen hinterlässt, wenn dieses uns immer mehr beherrschende monster nicht nur raum und zeit, sondern im speziellen unserere demokratien frisst, ohne dass wirklich ausreichend viele menschen etwas dagegen hätten, vermutlich weil sie gar nicht realisieren, was abläuft.

da vermag es kaum zu trösten, wenn enzensberger die vermeintliche gewaltlosigkeit des ungetüms beschreibt

„Hier wird nicht an einem neuen Völkergefängnis gebaut, sondern an einer Besserungsanstalt, …“

oder den unvermeidlichen untergang des monsters prophezeit:

„Allen Imperien der Geschichte blühte nur eine begrenzte Halbwertszeit, bis sie an ihrer Überdehnung und an ihren Widersprüchen gescheitert sind.“

doch trösten, beruhigen oder beschwichtigen will enzensberger ohnehin nicht. er will genau das gegenteil. und er macht begreiflich, dass wir es längst nicht mehr mit einzelnen lobbyisten, politikerInnen, beamtInnen oder kommissarInnen zu tun haben, sondern mit einem entfesselten programm, das sich ständig ausweitet und immer mehr macht zentralisiert, als selbstzweck und selbstläufer.

dass im namen eines gemeinsamen europas, das 500 millionen menschen verbinden sollte, unaufhaltsam die verluste sozialisiert werden, während die gewinne privatisiert werden, und quasi in tateinheit die demokratie mittels unscheinbaren dekreten und bestimmungen immer mehr abgeschafft wird, sollte uns aufregen.

genauer hinsehen – das hat enzensberger getan. irgendwie muss das monster gezämt werden, gestoppt werden, einmal spricht enzensberger von einer „diät“, die sich das monster selbst verschreiben sollte. jedenfalls schnell, die lage ist dringend. darüber sind sich robert menasse (der im essay zitiert wird) und hans magnus enzensberger einig.

ps. danke meinem freund peter für diesen lesetipp!

hans magnus enzensberger
sanftes monster brüssel oder die entmündigung europas
edition suhrkamp

europa versinkt im krieg – wir haben zeit

bank of ireland (foto: UggBoyUggGirl creative commons)

weder bomben noch raketen. prozentpunkte sind die waffen – in einem krieg, einem angriffskrieg, den spekulanten und rating-agenturen gegen staaten, deren infrastruktur und sozialsysteme führen.

scheinbar gewaltlos, in wirklichkeit aber ganze bevölkerungsschichten vergewaltigend. lebenschancen, zukunftsperspektiven, gesundheitsversorgung, krankenpflege, altenbetreuung, bildung und arbeitsplatz heissen die tausenden gefallenen in diesem krieg. verblüffend konventionell die vorgangsweise: länderweise erfolgen die angriffe, griechenland, irland, jetzt portugal, spanien, dann italien und so weiter.

kein verteidigungsministerium und auch sonst keine politik hilft in diesem krieg, solange es sich die europäerInnen so geduldig gefallen lassen.

antriebsfeder in diesem krieg ist die gleiche, wie in allen kriegen: die gier nach macht und geld, nach der ewigen maximierung aller spekulationsgewinne, selbst wenn es nicht einmal mehr luftblasen sind, die als reale geschäftsgrundlage gelten könnten. die toten dieses krieges sind kollateralschäden, die nach neoliberaler logik jeweils selbst für ihr schicksal verantwortlich sind.

wie wäre es, wenn wir nicht banken und spekulanten mittels “rettungsschirm” im höllentempo mit unser aller geld stopfen, sondern wenn wir den menschen europas mittels solcher schirme ein entsprechendes dasein sichern, unabhängig davon, ob es die eine oder andere bank noch gibt? zählen die institute oder die menschen?

“veränderungen passieren immer erst bei entsprechendem leidensdruck”, erklärte mir kürzlich ein befreundeter, oft pessimistisch gestimmter psychotherapeut.

heisst wohl, erst wenn es genügend verkehrstote gibt, wird eine ampel gebaut, erst wenn es genügend zwischenfälle gibt, werden sicherheitsstandards in betrieben eingeführt.

für europa heisst das dann wohl: erst wenn es genügend zerstörte lebenschancen, bildungseinrichtunen und sozialsysteme gibt, also wenn richtig viel not herrscht, erst dann wird der krieg der spekulanten enden, erst dann wird eine neuordnung möglich sein.

bedauerlich, dass wir das abwarten müssen.
noch bedauerlicher, wenn wir dann nicht vorbereitet sein werden, welche neue ordnung wir haben wollen.
zumindest darüber sollten wir schon mal nachdenken.

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bild: UggBoyUggGirl (creative commons)

dieser beitrag wurde gestern auf nonapartofthegame.eu veröffentlicht. dort erscheinende artikel werden hier in diesem blog jeweils mit ca. 24 stunden verzögerung dokumentiert, sie erscheinen hier in der kathegorie nonapartofthegame. dieser artikel ist auch unter folgender adresse erreichbar:
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