dank allein reicht nicht. (#corona #03)

hinsehen, wahrnehmen, lernen. das ist jetzt angesagt. unzählige beispiele in diesen krisentagen lassen uns erleben, wem wir das weiterfunktionieren trotz ausnahmezustands zu verdanken haben. schön, dass es applaus-aktionen gibt, schön dass es zahlreiche dankesbekundungen gibt.

wir haben eine hochbetagte freundin im herz-jesu-heim, salzburg riedenburg. die persönliche betreuung dort ist wirklich immer schon sehr gut und um echte zuwendung bemüht. seit der schliessung der senior*innen-heime herrscht natürlich auch dort ein entsprechender ausnahmezustand. in persönlichen telefonaten hat bereits am anfang der quarantänezeit die leitung des hauses alle angehörigen über die sachlage informiert.

nun aber macht sich das team des hauses auch noch die mühe, in ausgedehnten telefonaten nachzufragen, wie es nun denn mit der kommunikation zwischen uns und der freundin klappen würde, ob es probleme gäbe und welchen eindruck wir hätten. da nimmt sich ein team in krisenzeiten deutlich zeit für ein echtzeit-qualitätsmanagement, da wird überprüft und aktiv nachgegangen, damit kein problem übersehen wird.

das verdient beachtung! exemplarisch für viele andere landesweit sei hier der dank an das personal im herz-jesu senior*innen-heim öffentlich formuliert! doch dank allein reicht nicht.

too big to fail ist nun endgültig widerlegt. unsere gesellschaft zeigt in der krise, auf wen es im ernstfall wirklich ankommt. der begriff „held*innen des alltags“ trifft es meiner meinung nach nicht, denn es ist weder ein „alltag“, den wir jetzt zu meistern haben, noch kann ich mit „held*innen“ etwas anfangen, der begriff ist für mich zu belastet.

es kommt nun darauf an, aus diesen krisentagen – die so richtig noch gar nicht begonnen haben – die wirklichen learnings zu ziehen. wir dürfen in einem hoffentlich wieder eintretenden „danach“ nicht vergessen, wer wirklich entscheidend zum funktionieren der notwendigen strukturen beiträgt.

diese berufe – in diesem fall jene der pflege – müssen in der gesellschaftlichen bewertung einen neuen platz erhalten, ganz oben auf der prioritätenliste. da geht es um wertschätzung, um achtung und um attraktivierung – also auch um konkrete lohnerhöhungen.

dank allein reicht nicht.

ps. es wird sicher noch viele gelegenheiten geben, menschen, die uns in der krise entscheidend unterstützen zu benennen und ihnen zu danken. dieses beispiel ist der anfang.

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foto: pixabay licence

am unsichtbaren arbeiten

bild: cristina colombo

die schnelle zeit bringt es mit sich, dass kaum mehr musse und ruhe für so wohltuende dinge wie „lesen“ gegeben scheint. da muss ein buch, will es eine chance auf dem markt haben, sich fast schon ob seiner länge entschuldigen, oder bereits im titel auf die leichte und schnelle fassbarkeit des inhaltes aufmerksam machen. es gibt viele bücher mit verwechselbaren titelelementen wie „10 tipps“, „7 weisheiten“ oder „5 dos and don´ts“. oft auch reichlich oberflächlich und eben spürbar für einen „markt“ und weniger für die leser_innen geschrieben.

sonja schiffs buch „10 dinge, die ich von alten menschen über das leben lernte“ ist da ganz anders. es handelt sich nicht um ein schnell hingeschriebenes buch für eilige leser_innen, es ist aber auch kein fachbuch über altenpflege. es ist in erster linie ein buch, das berührt. dies deshalb, weil sonja schiff nicht von irgendwelchen weisheiten schreibt, sondern von sehr konkreten, persönlichen erlebnissen. sonja schiff nimmt uns förmlich an der hand und lässt uns bei ihr sein, wenn sie alten menschen begegnet. dass für sie „altenpflege der coolste job der welt“ ist, wird schnell verständlich, weil wir an ihren gesprächen und reflektionen direkt teilnehmen dürfen.

es ist niemals eine simple bewunderung oder begeisterung am vergangenen leben der alten menschen. es ist eine sehr einfühlsame und tiefgründige auseinandersetzung mit dem, was die alten menschen der altenpflegerin erzählen, welche fragen sie sich stellen und welche gewissheiten und unsicherheiten am ende eines langen lebens stehen. schiff würdigt dabei jeden einzelnen menschen und reflektiert laufend ihre eigenen reaktionen, gefühle und stimmungen. sie belehrt niemanden, sondern teilt den reichtum der vielen lebensgeschichten mit den leser_innen. jede einzelne begegnung wird zu einem schlüssel für das eigene leben und die leser_innen sind eingeladen, den einen oder anderen schlüssel für sich selbst zu finden.

die autorin erzählt nicht nur sehr authentisch und gefühlvoll, es ist auch ihr erinnerungsvermögen über die doch schon manchmal länger zurückliegenden begegnungen, das beeindruckt: wir lernen jene menschen, mit denen sonja schiff über deren und auch ihr eigenes leben spricht, sehr intensiv und klar kennen. wir leser_innen dürfen teilhaben und uns gedanken machen, was uns für unser leben und auch für das altwerden wirklich wichtig ist. das ist bewusstseinsentwicklung.

schiff benennt es sehr schön, was ihrer meinung nach altenpflege ausmacht, abseits von körperpflege und sturzprävention:

„Am Unsichtbaren arbeiten“ bedeutet, dass wir bei Pflegebeginn nie wissen, welche Geschichte ein alter Mensch in sich trägt, was sich in seinem Lebensrucksack an Schönem und an Schrecklichem befindet, was er davon gut verarbeitet hat und welche Teile seiner Lebensgeschichte er verdrängt.“

es ist ein buch für alle, die sich von menschen und ihren erlebnissen berühren lassen wollen. es ermuntert, sich selbst den fragen des lebens zu stellen.
dies besonders deshalb, weil sonja schiff selbst sich immer wieder nachvollziehbar, ernsthaft und mit viel gespür mit dem „unsichtbaren“ beschäftigt.

die lustvolle empfehlung des buches könnte also lauten:
am unsichtbaren arbeiten

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sonja schiff
10 dinge, die ich von alten menschen über das leben lernte
edition a
ISBN: 978-3990011393

 

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bild: cristina colombo