wir sind uns los.

polzeikontrolle foto: bernhard jenny

wir sichern unseren luxus indem wir uns immer ärmer machen.
wir leiden sehr unter unseren machenschaften.
wir lassen kriege gegen uns führen ohne uns selbst zu beteiligen.
wir werden kindersoldaten.
wir schreiben aus der ferne seitenweise berichte über unser land.
wir hungern, verhungern, kämpfen ums nackte überleben.
wir unterstützen diktatoren, die uns jagen und unterdrücken.
wir finden keinen ausweg.
wir machen unsere grenzen dicht.
wir müssen weg von hier.
wir wollen uns um jeden preis draussen halten.
wir suchen nur frieden, ruhe, sicherheit um zu leben.
wir stellen zäune auf, damit wir nicht drüberkommen.
wir laufen todesmärsche durch die wüste.
wir nutzen wärmebildkameras und satellitenbilder um uns zu finden.
wir steigen in verzweiflungsboote.
wir lassen uns kentern und beobachten uns beim ertrinken.
wir geraten in schwerste nöte und rufen uns um hilfe.

wir suchen uns.
wir müssen uns aber vor uns verstecken.
wir kennen unsere verstecke.
wir dürfen uns nicht erwischen lassen.
wir sehen eine gefahr in uns.
wir würden gerne bei uns bleiben.
wir finden uns herumirrend auf den strassen.

wir suchen um asyl bei uns an.
wir nehmen uns ein protokoll auf.
wir hoffen auf unser verständnis.
wir lehnen uns ab.
wir erheben einspruch gegen unser urteil.
wir beachten uns jahre nicht mehr.
wir dürfen nichts.
wir verbieten uns das arbeiten.
wir sind allein und haben hunger.
wir verbieten uns das betteln.
wir hoffen auf unsere baldige entscheidung für das bleiben.
wir entscheiden dann viel später über uns.
wir fürchten uns schon vor unserem bescheid.
wir lehnen uns nochmals und definitiv ab.
wir bekommen richtig angst.

wir suchen uns.
wir müssen uns aber vor uns verstecken.
wir kennen unserer verstecke.
wir dürfen uns von uns nicht erwischen lassen.
wir sehen eine gefahr in uns.
wir würden gerne bei uns bleiben.
wir finden uns herumirrend auf den strassen.

wir fürchten uns.
wir legen uns handschellen an.
wir verstehen die frechheiten, die wir uns sagen, kaum.
wir verhaften uns.
wir wissen nicht, was jetzt mit uns geschieht.
wir amtsbehandeln uns.
wir geben uns wieder einmal unsere fingerabdrücke.
wir nehmen uns in schubhaft.
wir verstehen nicht, was wir über uns sprechen.
wir ignorieren unsere todesangst.
wir verzweifeln an unserem umgang mit uns.
wir lassen keine gespräche mit uns zu.
wir hängen uns auf.
wir holen uns zu spät vom strick.
wir überleben knapp.
wir verheimlichen der öffentlichkeit, was mit uns geschehen ist.
wir sterben dann trotzdem von uns unbeaufsichtigt.
wir sind uns los.

wir verlieren oft den verstand in der haft.
wir lassen uns nackt in der zelle stehen.
wir bräuchten unsere hilfe ganz dringend.
wir drehen uns schon mal zum jux die heizung ab und dann zuviel auf.
wir verstehen nicht, warum wir mit uns so umgehen.
wir sehen uns erniedrigend zu wie wir uns den finger in jedes loch stecken.
wir sind schwerverbrecher, weil wir von weit weg zu uns kommen.
wir lassen uns nicht zu uns in die zelle.
wir unterschreiben gezwungenermassen etwas, was wir uns nicht übersetzen.
wir erklären uns lieber gar nichts.
wir hoffen, dass wir uns irgendwie doch noch da lassen.
wir bringen uns gewaltsam ausser landes.
wir werden von uns in lagerhallen weit draussen auf dem flugfeld gebracht.
wir schieben uns ab.
wir sehen uns niemals wieder.
wir sind uns los.

beschluss

getting dark - foto: bernhard jenny

ihr seid ihr
wir sind wir

wir haben heute beschlossen
für euch ist jetzt weniger da
weniger als weniger
für euch ist nichts mehr da
nichts

wir haben heute beschlossen
für uns ist jetzt doppelt so viel da
doppelt vom mehr
für uns ist mehr da
mehr

ihr seid ihr
wir sind wir

transparenz könnt ihr haben
sagen wir halt so
hintertürchen machen es möglich

korruptionsfrei könnt ihr auch haben
sagen wir halt so
die jäger machen es möglich

ihr seid ihr
wir sind wir

ob ihr uns das glaubt
oder ihr euch verwählert fühlt
ist wirklich egal

ihr werdet uns wieder
eure stimme geben
auf irgendeiner unserer listen

ihr seid ihr
wir sind wir

wir sind die pausenclowns
der korruption
ablenkung unterhaltung diskussionen zum schein

ihr seid ihr
wir sind wir

die gute nachricht
ganz zum schluss
alles bleibt wie es war und ist

werden wir uns leben

stacheldraht foto bernhard jenny

es gibt nichts zu feiern
an einem tag
wie heute

es gibt viel zu bedauern
an einem tag
wie heute

welt?
flüchtling?

wir selbst sind es
die wir uns verjagen
wir selbst sind es
die wir uns in todesgefahr bringen
wir selbst sind es
die wir uns einer heimat berauben

wir müssen uns
vor uns in sicherheit bringen
und laufen vor uns davon

wir flüchten uns
in ferne länder
und hoffen

aber

wir selbst sind es
die wir uns dann wieder verjagen
wir selbst sind es
die wir uns wieder in todesgefahr bringen
wir selbst sind es
die wir uns wieder einer heimat berauben

erst wenn wir uns leben lassen
wo wir wollen
erst wenn wir uns annehmen
wie wir sind

werden wir uns leben

dringende fahndung

foto bernhard jenny

sie sind kriminell.
sie sind im namen des gesetzes kriminell.
sie verschicken menschen wie sachen.
sie verschicken familien wie pakete.
weg und aus dem sinn.

nein nicht mal das.
pakete würden in einem geschickt.
familien werden für den versand zerrissen.
weg und aus dem sinn.

du mit einem kind da hin.
du mit drei kindern dort hin.
weg und aus dem sinn.

familien zerstören.
geht leichter
wenn du ihnen niemals in die augen schaust.
wäre ja irgendwie unangenehm.
weg und aus dem sinn.

gesucht:
aktentäterInnen
lebenszerstörerInnen
familienzerreisserInnen
wegen
serienmässigen missbrauchs von kindern und erwachsenen
zur befriedigung rassistischer gelüste

tatort
einer der reichsten staaten der welt

opfer
immer die schwächsten

strafausmass
belobigung
beförderung
später ansehnlicher ruhegenuss

wer stoppt die verbrechen?
wer bekommt sie zu fassen?

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anlass zu diesem text: bericht kleine zeitung vom 13.6.2012

absurd ist dann.

foto: droning by todd huffmann creative commons http://www.flickr.com/photos/oddwick/3841195871/sizes/l/in/photostream/

es gelten gesetze.
ja für alle.
gleichermassen.
alle haben rechte.
alle haben pflichten.
das gesetz schützt sie alle.
aber klar.

absurd ist dann.

es gelten gesetze fast immer.
ja für viele.
einigermassen.
manche haben rechte.
viele haben pflichten.
das gesetz schützt die einen oder anderen.
nicht ganz klar.

absurd ist dann.

wo würden wir hinkommen.
wenn wir immer und überall
also das wäre dann ja
wirklich für alle
nein das geht doch nicht.
sagen wir lieber meistens
statt immer.

absurd ist dann.

manche dürfen andere umnieten.
oder samt den angehörigen
schon mal hochgehen lassen
manche brauchen nicht auf
langwierige gerichtsverfahren
oder gar urteile warten
da ist das gesetz des handeln angesagt

absurd ist dann.

den einen hat noch ein rollkommando geholt
bumm und weg und ab ins meer geworfen
wie ein stück dreck abfall oder so
den anderen hat eine drohne erwischt
bumm und aus – kolateralschaden inklusive
so erwischt es viele seit jahren
exekution per weltweitsteuerung

absurd ist dann.

ein friedensnobelpreisträger macht kurzen prozess.
für den frieden.
zur verteidigung unserer werte.
demokratie. freiheit. menschenrechte.
mörder mit ermordung strafen.
frieden durch rache.
frieden durch mord.

absurd ist dann.

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foto: droning by todd huffmann creative commons

erheben wir den blick nicht

pfingstrosenblätter (foto: bernhard jenny)

erheben wir den blick nicht
weil wir angst haben vor der weite
die sich auftun könnte
weil wir überfordert wären
von der freien sicht

erleben wir die kleine verkrampfte faust
als unser rückzugszuhause
weil wir angst haben
öffnen
ausstrecken
gar hinlangen

so zaghaft in diese welt gestellt
was lässt uns zögern

sind wir fremd
sind wir gar nicht gewollt

sind wir
sollten wir
hätten wir
müssten wir

erheben wir den blick nicht
weil wir in der angst zuhause sind

erleben wir die leere faust
als unser hab und gut
warten wir auf erklärungen
warten wir auf erlaubnis
genehmigung und zuspruch

oder

erklären wir uns
sagen wir uns
hören wir von uns
erheben wir den blick
weil wir auf die weite stolz sind
die sich auftut

erleben wir die hand
und erklären uns
wir wollen

staubsaugereffekt

foto: johnnie bravo (creative commons)

wer von menschen
auf der flucht
vor not und krieg
wie über
dreck und schmutz
spricht

darf sich nicht
aufregen
wenn wir steine
an jener stelle
vermuten
wo menschen
sonst ein herz
haben

sollen sie ersaufen
die armen schlucker
im leichenmeer
burggraben europas?

puffmutter einer
sadistennation?

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meldung dazu: http://news.orf.at/stories/2052502/