10 jahre danach: menschlichkeit ist unsere stärke und chance, damals, heute und morgen.

2015: zehntausende menschen auf der flucht kamen innerhalb weniger monate nach österreich. männer, frauen, kinder – sie flohen vor krieg, terror, verfolgung, zerstörung. und sie fanden hier schutz. die bilder vom wiener westbahnhof und salzburger hauptbahnhof gingen um die welt: freiwillige mit wasserflaschen, obst, kleidung, transparenten. menschen, die nichts anderes taten, als das einzig richtige: helfen. „refugees welcome“ war mehr als ein slogan – es war ein aufbruch in menschlichkeit.

heute, zehn jahre später, reden viele über 2015 nur noch als „krise“, als „flüchtlingsansturm“. doch wenn wir ehrlich hinschauen, sehen wir: die eigentliche krise begann nicht mit der ankunft der menschen. sie begann mit der hetze.

es wäre falsch, so zu tun, als sei integration gescheitert. im gegenteil: tausende kinder und junge menschen, die damals ohne ein wort deutsch ankamen, sind heute lehrlinge, maturant:innen, studierende. viele geflüchtete arbeiten längst in pflegeheimen, in der gastronomie, am bau, in schichtbetrieben, in der landwirtschaft – dort, wo wir sonst händeringend personal suchen. sie zahlen steuern, gründen unternehmen, engagieren sich ehrenamtlich. integration passiert nicht spektakulär, sondern alltäglich, schritt für schritt – in vereinen, schulen, nachbarschaften.

ja, es gibt herausforderungen. ja, integration kostet mühe von allen beteiligten, geduld und ressourcen. aber sie gelingt – wenn man sie lässt.

das eigentliche versagen liegt woanders: im gesellschaftlichen klima. rechte und rechtsextreme parteien haben es geschafft, das thema flucht zu vergiften. sie haben aus menschen in not eine bedrohung gemacht. statt von chancen und verantwortung zu sprechen, haben sie angst geschürt. begriffe wie „asylflut“, „überfremdung“ oder „sozialtourismus“ wurden in die mitte der gesellschaft getragen.

das ist kein zufall, sondern strategie: wer die schwächsten stigmatisiert, wer ihnen die menschlichkeit abspricht, kann ängste mobilisieren, wähler:innen gewinnen und macht sichern. doch der preis dafür ist hoch: misstrauen, spaltung, kälte.

und das fatale ist: viele haben dieses framing einfach unreflektiert hingenommen. auch jene, die es besser wissen müssten. medien, die schlagzeilen übernehmen. politiker:innen, die aus angst vor stimmenverlust die sprache der hetzer:innen kopieren. und wir alle, wenn wir schweigen, wenn wir widerspruch vermeiden, wenn wir uns im alltag nicht trauen, haltung zu zeigen.

wir dürfen uns das nicht gefallen lassen!

denn worte schaffen wirklichkeit. wer permanent von „flut“ redet, nimmt menschen die gesichter. wer von „belastung“ spricht, verhindert begegnung. wer den „kontrollverlust“ in die headlines stellt, befördert verunsicherung. wer angst vor dem „fremden“ schürt, tötet die solidarität, die wir so dringend brauchen.

wir dürfen nicht länger zusehen, wie eine laute minderheit den ton vorgibt. wir dürfen nicht zulassen, dass menschlichkeit klein und hetze großgeredet wird. wir müssen lauter werden als die, die spalten wollen.

es reicht nicht, im privaten zu denken: „so schlimm ist es ja gar nicht.“ wir müssen öffentlich widersprechen. am „stammtisch“, also besonder in den sozialen medien. in realen diskussionen mit freund:innen, kolleg:innen, nachbar:innen. es ist unsere aufgabe, den diskurs zurückzuerobern – nicht denen zu überlassen, die menschen entwürdigen. und nicht zuletzt auch die verantwortlichen in „progressiven“ parteien daran zu erinnern, dass sie derzeit oft dabei sind, durch unschärfen und schwammigkeiten den „remigration“-schreienden das feld des handelns zu überlassen.

ein perspektivenwechsel

und vergessen wir eines nicht: niemand von uns hat eine garantie, nie selbst flüchten zu müssen. kriege, klimakatastrophen, politische umbrüche – die welt ist instabil. stellen wir uns vor: ein brand, ein bombenhagel, ein autoritärer umsturz. wir müssten hals über kopf weg. mit unseren kindern, enkel:innen, mit unseren eltern, mit nichts als einem koffer. wir landen in einem land, dessen sprache wir nicht verstehen, dessen kultur uns fremd ist.

wie würden wir dort behandelt werden wollen? mit verachtung und misstrauen? mit misstrauensregistern und ständigen verdächtigungen? oder mit respekt, empathie, hilfsbereitschaft?

wer so tut, als ginge es nur um „die anderen“, hat vergessen, wie zerbrechlich sicherheit ist. „die anderen“ könnten genauso auch wir selbst sein.

zehn jahre nach 2015: ein auftrag

die geschichte von 2015 ist nicht nur eine von flucht. es ist auch die geschichte einer zivilgesellschaft, die gezeigt hat, was möglich ist. tausende freiwillige haben geholfen, ohne zu fragen, wo jemand herkommt. das war kein ausnahmezustand, das war ein beweis unserer stärke.

und genau diese stärke müssen wir verteidigen. gegen die, die sie kleinreden. gegen die, die spalten. gegen die, die aus angst und hass kapital schlagen wollen.

wir haben damals menschlichkeit gezeigt. wir können es wieder tun. aber nur, wenn wir uns klar machen: demokratie, zusammenhalt, solidarität – sie sind keine selbstverständlichkeit. sie müssen jeden tag verteidigt werden.

darum: lassen wir uns nicht einschüchtern. nicht durch schlagworte. nicht durch hetze. nicht durch die ständige wiederholung rechter lügen. wir dürfen uns das nicht gefallen lassen.

menschlichkeit ist kein luxus. sie ist das fundament einer gesellschaft, die zukunft haben will.

und sie ist stärker als jeder hass – wenn wir sie verteidigen. dass die FPÖ – wie zuletzt in salzburg erschreckend zynische politik gegen geflüchtete betreibt, ist nur möglich, weil die ÖVP dies ermöglicht. 

solidarität ist möglich.

wir hätten die kraft, als gesellschaft zusammenzustehen.
aber nur, wenn wir uns das rechte framing nicht gefallen lassen.
und wenn wir wieder spontan das richtige tun.

10 jahre danach: menschlichkeit ist unsere stärke und chance, damals, heute und morgen.

Dieser Blogpost ist in ähnlicher Form am 1.9.2025 auf DER STANDARD erschienen.

Image by kalhh from Pixabay
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Autor: bernhardjenny

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