die vergewaltigung des shoa-gedenkens.

die verlegung von 28 stolpersteinen war gerade mal ein paar stunden her. eine gedenkstunde war abgehalten worden, vor dem haus für mozart auf dem max-reinhardt-platz, ein gedenken an opfer der nationalsozialistischen diktatur.

nur wenige stunden also nach der erinnerung an vertriebene und ermordete künstler*innen setzt sich hedwig kainberger von den salzburger nachrichten an ihren computer und schreibt folgenden satz:

„Wenn wir das Erbe Max Reinhardts und Arturo Toscaninis annehmen, müssen wir auch jenes der vielen annehmen, die in der NS-Zeit weder heldenhaft waren noch emigriert sind. Daher sollen Logo und Keramiken ebenso bleiben wie die Namen Karl-Böhm-Saal, Furtwängler-Park, Karajan-Platz, Heinrich-Damisch-Straße, Clemens-Krauss-Straße.“

sie schreibt auch:

„Zum Imperativ, nur der Schuldfreie werfe den ersten Stein, zu einigen mutigen Taten – wie Furtwänglers Einsatz für Paul Hindemith – kommt noch etwas: Karl Böhm war einer der zartesten und luftigsten Mozart- und Strauss-Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Wilhelm Furtwängler wird als einer der größten Dirigenten überhaupt gepriesen. Ihre Verdienste um die Musik sind so unermesslich wie jene Herbert von Karajans, ja auch wie jene Bruno Walters und Arturo Toscaninis. Allein dafür soll und darf ihr Andenken nicht getilgt werden.“

Salzburger Festspiele 2020 · Gedenkstunde zur Verlegung von 28 Stolpersteinen vorm Haus für Mozart auf dem Max-Reinhardt-Platz für Opfer der nationalsozialistischen Diktatur, in Erinnerung an vertriebene und ermordete Künstlerinnen und Künstler, die die Gründung der Festspiele bis 1938 entscheidend mitgeprägt haben: Hanna Feingold, Martin Engelberg, Hella Pick, Gert Kerschbaumer, Mordechai Rodgold, Danielle Spera, Daniel Froschauer, Bernhard Hedenborg Foto: SF/Lukas Pilz

die verlegung von 28 stolpersteinen hat anscheinend das bürgerliche lager aus dem tritt gebracht. da muss schnell gerettet werden, da müssen bilder zurechtgerückt werden, da muss das berühmte „es war nicht alles schlecht“-argument selbst in der kulturredaktion wieder und wieder formuliert werden. die festspiele haben sich zu viel getraut?

aus der geschichte lernen können nur jene, die das auch wollen. bei der lektüre der „analyse“ von hedwig kainberger stellt sich die frage: wie genial hätte adolf hitler dirigieren oder klavierspielen müssen, um die shoa dagegen aufrechnen zu können?

hedwig kainberger schreibt im titel „Musik lässt sich vergewaltigen“. – „nicht nur!“, möchte ich ergänzen.
wer anlässlich der 100 jahre salzburger festspiele verzweifelt versucht, die „genies“ unter den nationalsozial getrimmten künstler*innen auf die stolpersteine zu kippen, vergeht sich am aufrichtigen gedenken der shoa.

„Die Opfer des Nationalsozialismus können nicht oft genug gewürdigt werden. Doch dies allein wäre so falsch wie der Rückfall in die hehre österreichische Opfertheorie.“

was heisst hier „doch dies allein“? was muss denn da unbedingt dazu? die beweihräucherung von nazi-künstler*innen als „ausgleich“???

das ist untragbar.
die vergewaltigung des shoa-gedenkens.

 

 

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Quelle der Textstellen: https://www.sn.at/salzburger-festspiele/analyse-ns-vergangenheit-der-salzburger-festspiele-musik-laesst-sich-vergewaltigen-91660912 © Salzburger Nachrichten VerlagsgesmbH & Co KG 2020

 

Fotocredits. © SF / Lukas Pilz und © SF / Neumayr/Leo

Autor: bernhardjenny

kommunikationsgestalter meine unternehmen: jennycolombo.com, conSalis.at blogger, medienkünstler, autor, erwachsenenbildner salzburg - wien

5 Kommentare zu „die vergewaltigung des shoa-gedenkens.“

  1. Danke für Ihre schnelle Reaktion und Stellungnahme! Salzburg hat sicher mehrere Seiten, wie man sieht. Zum Glück auch eine gute Präsidentin d.Z. die auch sehr kämpferisch sein kann, und auch Sie, Herr Jenny sind nicht tatenlos! MlG., Agnes Wagenhofer

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    1. liebe agnes wagenhofer, danke für den kommentar. jawohl, salzburg hat sehr viele seiten und ich will die guten seiten nicht unterschätzen. aber gegen in manchen kreisen leider verbreitete relativierung der naziverbrechen will ich immer aufstehen, wo auch immer es geht!

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  2. Sehr geehrter Herr Jenny,
    … bei aller Wertschätzung und großer Haltungsnähe zu Ihren Ansichten komme ich bei Ihren Sichtweisen und Einschätzungen öfters ins Grübeln ob und wie ich mich Ihren Meinungen nähern kann.
    … nur im konkreten Fall, bei Ihrer sehr lesenswerten Stellungnahme zu den unwürdigen Relativierungen dieser offensichtlich als Sprachrohr des gehobenen Salzburger-Bürgertums agierenden SN-Redakteurin (Hedwig Kainberger), empfinde ich volle Zustimmung bei Ihrer Beurteilung dieser völlig unnötigen journalistischen Verwässerung der großartig-kraftvollen Stolperstein-Aktivität durch die Salzburger Festspiele, … und allen voran der sehr beeindruckenden Frau Dr. Rabl-Stadler.
    … weite Teile dieses Salzburger Bürgertums werden es nie schaffen, die aufgeladene Holocaust-Mitverantwortung der Vor-Generation als das zu sehen was es war, … nämlich, … eine durch nichts zu rechtfertigende Unmenschlichkeit und völlig pervertierte Form der Machtausübung.
    … Chapeau und danke für Ihre klaren Worte!

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    1. lieber herr sadler, danke für ihre wertschätzenden zeilen! es ist schön, wenn einigkeit in zentralen meinungen herrscht, es ist aber besonders schön, wenn jemand trotz „grübeln ob und wie ich mich ihren meinungen nähern kann“ nicht aufhört, mitzulesen und rückzumelden. ein offener diskurs ist die chance für alle beteiligten, neues zu erfahren. ihre klare einschätzung über die verantwortung, die wir alle tragen, verbindet uns.

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