je weniger partei umso zukunft

bild: pressefoto aus gruene.at / überarbeitung bernhard jenny

offener brief an eva glawischnig in beantwortung ihrer aussendung

bild: pressefoto aus gruene.at / überarbeitung bernhard jenny

liebe eva glawischnig,

ich weiss nicht, welche zielgruppenanalyse dich/euch veranlasst hat, nun sämtliche euch zur verfügung stehenden emails mit einem „von dir“ verfassten schreiben zu versorgen. noch weniger weiss ich, wer wirklich für das texten dieses mails verantwortlich zeichnet.

aber ich bin mir ziemlich sicher, dass diese aktion eure potentiellen wählerInnen wohl eher verstört als positiv erreicht. die diktion, der ganze approach lässt bei mir eher das bild entstehen, dass mir einmal die „eva“ selbst schreibt, die vielbeschäftigte, die nach ihrer reise durch österreich jetzt weiss, wie das land tickt. ihr unterschätzt da vermutlich viele eurer angesprochenen, die solche mails auch aus anderen parteien kennen und quasi privat adressierte direct-emails als das erkennen, was es ist: simples parteimarketing.

nochmals: ich weiss nicht, wer euch diese mails textet, aber ihr solltet dringend über wording und argumentationsleitlinien nachdenken. das „rot/schwarz streiten eh nur“ schema brauchen viele eurer adressatInnen nicht mehr erklärt bekommen, das „wir sind die einzige saubere partei“-argument lässt eher über das gegenteil nachdenken, als solche platten aussagen einfach annehmen.

schade. wirklich schade. eigentlich suchen viele in unserem land verzweifelt nach einer wirklichen alternative. doch die ist leider nicht wirklich in sicht. das bestätigt deine aussendung auf eigenartige weise. dabei will ich nicht verleugnen, dass es in allen ebenen und bereichen der grünen sehr engagierte und aktive menschen gibt, deren arbeit ich sehr schätze. so spüre ich z.b. bei den aktivitäten und wortmeldungen von alev korun niemals in erster linie eine partei mitschwingen, sondern eine klare, authentische grundeinstellung, eine politische haltung, von der wir mehr bräuchten.

aber leider sind die grünen inzwischen viel zu sehr partei als kreative zukunftswerkstatt. da geht es viel zu oft um mehrheitsbeschaffung statt um gesellschaftliche erneuerung.

zwei beispiele, die mich persönlich wirklich stören:

beim berühmten beschluss zum banken-rettungsschirm ESM habt ihr euch als mehrheitsbeschafferInnen hervorgetan. zu einem zeitpunkt, wo das thema krise, schulden und euro-rettung schamlos von diversen parteien zur eigenen profilierung ausgeschlachtet wurde ist euch keine eigene, keine differenziertere, keine kreative antwort eingefallen. nein, ihr habt nach (gar nicht so) langem hin und her beschlossen, einfach mitzustimmen. das hat viele, die sich nach denkenden menschen sehnen, vor den kopf gestossen.

ganz aktuell: in der fiesen ablenkungsdebatte berufsheer oder wehrpflicht wäre so vielen menschen wichtig, dass wir eben nicht auf diese verkürzte und manipulative fragestellung hereinfallen. es wäre vielen wichtig gewesen, eine andere, eine differenzierte position dazu zu formulieren. und wieder habt ihr nach einem zelebrierten hin und her einfach beschlossen, das mitstimmen zu empfehlen. nicht nur pazifistInnen, sondern alle, die weiter denken können, haben wieder einmal gelernt, dass ihr nicht die vertreterInnen einer kreativen politikdenke seid, sondern auf das plumpe bist du für A oder B spiel hereinfällt. sonst fällt euch nichts ein?

schade. es könnte mir egal sein und ich könnte einfach das mail unter spam abhaken. warum ich das nicht mache?

weil ich zur erkenntnis komme, dass jede kreative bewegung, sobald sie mehr partei ist, sobald sie die nähe zur macht riechen kann, sich abhebt und jenen typischen realitätsverlust vollzieht, der aus engagierten menschen dann einerseits „basis“ und andererseits „führung“ macht. themen werden sekundär, machterhalt bzw. machtgewinn stehen im vordergrund.

viele menschen werden noch unter den verbrechen namens „eurokrise“, „bankenrettung“ oder „schuldenabbau“ leiden müssen und vieles wird noch kaputt gehen. dass diese menschen sich wohl nicht im ESM-beschluss vertreten fühlen, dürfte klar sein.

ich kenne sehr engagierte, gesprächsoffene und diskussionsbereite menschen, die sich für eine moderne gesellschaft einsetzen wollen in und im umfeld (fast) aller parteien. das ist bei den grünen kaum anders als in der övp und spö – aber auch in anderen kleinparteien (nicht den rechten). dort wie da sind es dann leider die parteizentralen, die so wenig mit jener realität zu tun haben, in der diese engagierten menschen stehen. und ich kenne auch viele solche menschen, die sich bereits jetzt bewusst sehr fern von jeder partei halten.

es wird aber immer wichtiger, dass sich menschen – jenseits der parteien – zu ihren eigenen betroffenheiten verbinden und aktiv werden. es wird unausweichlich, dass veränderung eingefordert und gestaltet wird, und dazu brauchen wir die kreativen köpfe aus verschiedensten richtungen und denkweisen.

aber für mich gilt dabei der grundsatz:
je weniger partei umso zukunft.

Autor: bernhardjenny

kommunikationsgestalter meine unternehmen: jennycolombo.com, conSalis.at blogger, medienkünstler, autor, erwachsenenbildner salzburg - wien

16 Kommentare zu „je weniger partei umso zukunft“

  1. Lieber Bernhard Jenny,
    wo Sie Recht haben, haben Sie Recht.

    Die Grünen sind eine Partei geworden und haben damit auch eine ganze Reihe von parteitypischen Strukturen und Verhaltensweisen übernommen, die in der basisdemokratischen Anfangszeit absolut verpönt waren.

    Ich kann mich noch gut an „unsere“ strumpfstrickenden Männer, die endlosen Diskussionen um neue Formulierungen in den Statuten und chaotische Tagesordnungen, die niemand einhielt, erinnern. Alles war so bunt und so basisdemokratisch und … selten zielführend. Mir persönlich fehlte das Sitzfleisch und die Geduld für diese Art zumeist sinnloser Zeitvernichtung, deshalb habe ich mich zurückgezogen und aus der „zweiten Reihe“ immer die grünen Ideen hochgehalten und unterstützt.

    Die Entwicklung der Grünen habe ich großteils mit Freude mitverfolgt. Pragmatismus ist nicht per se böse und Fundamentalismus ist nur selten sinnvoll.

    Dass manchen Aktionen, wie vielleicht die angesprochene Emailaktion von Eva Glawischnig, für einige einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen, das mag sein. Everbody’s Darling wird man nur schwer. Letztlich geht es aber auch bei dieser „Marketinaktion“ um den Inhalt der Politik und darum, dass wo möglich viele Menschen die grünen Positionen kennen lernen.

    Mit lieben Grüßen,
    Thomas M. Schallaböck

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  2. to be fair. aber erst einmal DANK für deinen brief, lieber bernhard. to be fair. ja. mich stören solche eMAILoderWASauchIMMERaktionen. sie störenMICH. weil ich in italien mehrmals im jahr einen „persönlichen“ brief von berlusconi erhalten habe: „caro rochus….il tuo silvio“. nein. diese primitive marketingANBIEDERUNG ist denGRÜNEN nichtnichtnichtWÜRDIG. ich hoffe sehr, dassEVAumdenkt. denkt. denkt. handelt. aber nichtPOPULISTISCH. und dennochMACHT. bernhard. wäre es nichtWÜNSCHENSWERT, dieGRÜNEN kämen endlich in dieREGIERUNGSverantwortung? und dieberufsheerempfehlung? bernhard, ich bin absoluter pazifist. und dennoch ist die welt. ich vollende den satz bewusstNICHT. herzlich rochus.

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  3. Danke für diesen Brief. Ich unterschreibe ihn aus Überzeugung. Sommertour der Bundessprecherin mit Wandern und Tanzen, Grillen und Chillen aber ohne eine einzige Rede zur Wirtschafte-Finanz- Schulden- und Verteilungskrise: Das ist nicht nur zu wenig. Bis heute sind die Grünen ohne irgendein Konzept, welche Folgen diese fulminante und gemeingefährliche Krise für Folgen haben soll für das Wirtschaftssystem. Eine fundierte Kritik der Austeritypolitik von Frau Merkel fehlt ebenso wie die europapolitische Dimension, die Frage der Solidarität und eine Strategie zur Reform der Union. Von einem schwarzen Loch des Schweigens in das nächste. Beim EMS habe die Grünen zugestimmt, ohne Ihre einzigartige politische Machtposition, dass der gesamte EMS von ihrer Stimme abhängt auch nur der Bevölkerung zu kommunizieren Ohne europäische Verhandlungen, ohne das Erzwingen von demokratiepolitischen und sozialen Zugeständnissen ist diese Zustimmung eine glatte Fehlentscheidung.
    Die Position zur Wehrpflicht ist ein inhaltlicher und logischer Salto mortale. Den Regierungsparteien auf den Leim zu gehen und sich auf eine Position festlegen zu lassen, ohne parlamentarische Behandlung eines Sicherheitsberichtes, ohne zur europäischen Architektur, zu einem schleichenden „Beitritt“ zur NATO oder zur Grundrechtsproblematik eines Einsatzes im Inneren öffentlich zu äußern, ist eine Taktik des über die eigenen Füsse Fallens. Keinerlei Widerstand gegen den zynischen Missbrauch der Instrumente der direkten Demokratie. Keine Widerrede zu der skandalösen Bindungserklärung von W. Faymann und M. Spindelegger über den Kopf des derzeitigen und des noch nicht gewählten nächsten Nationalrates hinweg. Wir wollten das Bundesheer abschaffen! Dem kommen die Grünen mit einem NATO-kompatiblen Berufsheer tatsächlich näher kommen. Welch haarsträubende Argumentation. Nein, das hat nichts mit dem Eintreten für grüne Inhalte zu tun, sondern mit ihrem Verschwinden. Von den Kinderkrankheiten direkt in die Geriatrie, das kann nicht der Weg der Grünen sein, ist es aber. Schnurstracks.

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  4. Lieber Bernhard,
    ich geb dir in vielem, allzu vielem recht. Wie du weißt.
    Aber die Emails der Grünen, hey, die haben schon lange einen erheblichen Bullshit-Bingo Wert und das sollte auch gewürdigt werden. Just saying.

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  5. Ich bin Grünwähler seit der legendären Zwentendorf-Abstimmung. Und ich Kann Bernhard Jenny nur recht geben.
    Ich bin Grünwähler aus tiefster Überzeugung – derzeit weiß ich nicht, ob ich wirklich grün wählen soll. Mehr fehlt die Vision der Bewegung. Mir fehlt das Wohltuende „Dafür stehen wir“ statt: „die anderen sind an allem schuld“. Mir fehlt die revolutionäre Kraft – und auch ich glaube, dass parteitaktisches und damit auch machttaktisches Kalkül hier viel kaputt macht. Das finde ich schade.

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    1. Mir geht es gleich. Seit ich wählen darf – das sind immerhin 25 Jahre – habe ich grün gewählt und bin auch dafür gestanden. Doch die Grünen haben sich – speziell im letzten Jahr – in eine Richtung entwickelt, die sie einfach unwählbar macht. Es sind die Kleinigkeiten, die einfach nicht mehr stimmen. Beispiel gefällig: Beschneidungsdebatte in Österreich. Korun plädiert dafür, dass man eine gesetzliche Freigabe hinterfragen bzw. diskutieren soll. Was macht sie und der Rest der Grünen: Sie winken es einfach durch – verhindern hätten sie es wohl nicht können – aber kein Protest dagegen und das noch in einem Gesetz (ÄSthOpG) verpackt, in dem mit Stolz darauf verwiesen wird, dass man kosmetische Operationen nun gesetzlich geregelt hat. Das ist Zynismus pur, früher wären die Grünen in einen Klinsch mit den überwiegend betroffenen Religionen gegangen, heute entpuppen sie sich als Steigbügelhalter für sie. Das Thema mag unbedeutend sein, aber gerade dieses Gesetz hat gezeigt, wie die Demokratie Österreich zugunsten einzelner ausgehölt wird. Denn wie soll ich in dem Staat und deren Vertreter Vertrauen können, wenn eine Körperverletzung, die per Gesetz als Straftat bestimmt ist, für bestimmte Gruppen auf einmal keine Straftat mehr ist. Dass Rot und Schwarz damit noch nie ein Problem hatten ist allgemein bewiesen, dass aber die Grünen solche Gesetze mit Stolz noch mittragen…
      Schade, dass die Aussicht auf den Futtertrog über den eigenen Werten steht

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  6. Ja, da sind wir uns wohl alle einig. Die tolle Protestpartei aus früheren Jahren ist nicht mehr.
    Für eine Inhaltspartei war und ist vermutlich nicht genügend Wählerpotential vorhanden.
    Ich stelle trotzdem die Frage, welche Art von Bewegung hätte in dem vorherrschenden System eine Chance sich einzubringen. Wir erwarten ja nicht nur ständige Proteste, die nie den Realitätscheck bestehen.
    Was ist aus der tollen basisorientierten Piratenbewegung geworden in Deutschland. da ist dann niemend, der wirklich für etwas steht.
    Ich will absolut auch Kritik an den Vorgangsweisen der Grünen üben, aber ich bin mir nicht sicher, welche Entscheidugnen wir treffen würden, wären wir in der Situation der VertreterInnen.
    Vielleicht schaffen wir ob diesem großen Verdruss mit allen poitischen Bewegungen und deren Machtgebrach einen Umsturz in ein neues demokratisches System. Christian Felber hat dazu schon einen sehr guten Entwurf geschrieben.
    In Realita fürchte ich aber eher, dass die Rechten dieses Vakuum besetzen werden.
    Also frag ich mich schon, was tun?

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    1. genau das ist ja das schlimme. da kann ich dir nur recht geben. ich versuche es mal mit einem bild:

      viele von uns wollen sich bewusst und qualitätsvoll ernähren, nicht nur möglichst bio, sondern auch gesund soll es sein und bestimmten kriterien entsprechen. das geht auch ganz gut, wenn wir dafür viel zeit in der vorbereitung bzw. im organisieren haben. oder uns die zeit nehmen.

      wir alle kennen aber auch die situation, dass wir im alltag mal zu lange warten. mit den essen planen oder organisieren. da kommen wir dann über eine bestimmte schwelle, wo uns nur mehr der heisshunger treibt, egal wie unbio, ungesund oder sonst was junk food das ist. das sind die momente, wo wir stopfen statt essen.
      (sorry, zumindest mir geht es so, will da niemandem was unterstellen)

      im politischen diskurs ist das ähnlich. wenn wir eine politische kultur entwickeln, alsor rechtzeitig und ausgiebig die dinge diskutieren, abwägen und durch einen entsprechenden meinungsbildungsprozess die qualität des austausches sichern, dann könnten wir eine gute, diverse und viele mit einbeziehende poltik erleben.

      wenn wir aber uns diese zeit nicht nehmen (und in zeiten der krise, der kürzungen, der existenzängste haben wir die zumindest scheinbar nicht), dann kommen wir in die politische heisshungerphase, in der viele verleitet sind, irgendwas zu nehmen, was sich gerade anbietet. da ist dann der politisch rechte junk schnell willkommen. ist ja einfach und bequem genau zu wissen, wer schuld ist, wer raus muss usw.

      deshalb werfe ich gerade den grünen vor, dass sie lieber sich zwischen der einen oder anderen fast food kette entscheiden, statt die grundsätzlich ganz anderen standpunkte klar zu formulieren und für einen hoffnungsschimmer zu sorgen, dass es zumindest was anderes geben könnte als die beiden fast food ketten.

      bio hat auch einmal ganz klein angefangen, kaum mehrheitsfähig…

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  7. Ach liebe Leute, wieder einmal so eine Diskussion, die in Wirklichkeit ein Jammern auf hohem Niveau ist.
    Die grüne Bewegung hat in den Jahren seit ihren Anfängen so viel Positives erreicht. Dieser Weg ist noch lange nicht zu Ende. Aber generalisierende Aussagen: „unwählbar“ oder „Bullshit-Bingo Wert“ bringen uns nicht weiter.

    Mir persönlich geht es mit den Grünen zeitweise so wie mit der Kirche:
    Da gibt es inhaltlich enorm viel positives Potential, da gibt es zum Teil auch ganz eindrucksvolle Menschen und dann gibt auch noch ganz vieles, was mich massiv stört. Vor allem: Es „menschelt“ mir zu viel. Da werden gute Leute sinnlos demontiert oder eben diese demontierte Leute schießen aus der Deckung heraus auf die Bewegung, die sie selbst liebevoll aufgezogen haben. Das sind Sandkastenkonflikte um Bagger und Schauferl. Der Schaden für die grüne Bewegung ist enorm.

    Inzwischen halte ich es für schlichtweg kindisch, nach einer politischen oder religiösen Gruppierung zu suchen, die genau meinen Vorstellungen entspricht. Nötig ist es mit Verbesserungen aufzutreten, nötig ist es „für etwas zu sein“ und nicht nur gegen etwas.

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    1. glaub mir, ich will weder bagger noch schauferl.

      aber dein ansatz, nicht mehr „nach einer politischen oder religiösen Gruppierung zu suchen, die genau meinen Vorstellungen entspricht.“ ist fast mein „je weniger partei umso zukunft.“

      und dein gedanke zur kirche wäre dann ein „je weniger kirche umso glaube.“

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