warnung vor „verfahren“

ludwig laher: verfahren (haymon 2011)vor diesem buch muss gewarnt werden. es bahnt sich scheinbar nur beobachtend und berichtend seinen erzählerischen weg. in seinem neuen roman „verfahren“ schildert ludwig laher die geschichte einer jungen frau namens jelena, einer serbin aus dem kosovo, die nach der dortigen zerstörung ihrer familiären und seelischen wurzeln nun hier in österreich in die maschinerie eines asylverfahrens gerät.

in keinem moment warnt der autor die leserInnen rechtzeitig vor dem sog, den die lektüre dieses buches auslöst. szenen aus dem leben im kosovo werden gegengeschnitten mit szenen des richters im „jüngsten gericht“ – dem asylgerichtshof, szenen mit dem fokus auf dem anwalt wechseln zu solchen in einer jüdischen familie, die vor den nazis fliehen muss – deren verbindung zu jelena sich erst am ende erklärt.

laher muss hart recherchiert haben, muss mit vielen makabren gestalten in unserer verwaltung, in der justiz und dann wieder mit verzweifelten asylsuchenden persönlich gesprochen haben, um zu dieser dichtheit, zu dieser eindringlichkeit der bilder zu gelangen. und sie sind es besonders deshalb, weil sie im zuge der gespräche mit diesen figuren des romans immer in deren innere logik hineinverführen möchten.

wir fangen fast an, den asylrichter zu verstehen, warum und wie er letztlich völlig seiner eigenen, verschrobenen, von ihm selbst konstruierten logik folgend, so und so oft klar ablehnende urteile fasste, dann mal wieder manche positiv entscheidet. fast nachvollziehbar, bis wir entdecken müssen, wie wenig doch dieses „verfahren“ jemals mit der erschütternden realität der asylsuchenden zu tun hat.

die unmenschlichkeit in diesem land entsteht – im unterschied zur ursprünglichen, traumatisierenden gewalt in jelenas heimat – nicht im setzen bewusster oder offensichtlicher handlungen, sondern in einem system, das es ermöglicht, an der realität und an seelischer not amtlich, rechtlich, juridisch abgesichert, protokolliert und in akten dokumentiert vorbeizuschauen und darüber hinweg zu handeln. dass sich das wie weitere serienvergewaltigungen an einer ohnehin schon psychisch und physisch zerstörten frau auswirkt, scheint in diesen akten nirgendwo auf. alles rechtens.

„Stärker noch als im Krankenhaus wird ihr jetzt, als sie stundenlang so daliegt, bewußt, daß selbst ihr letztes, bislang intaktes Rückzugsgebiet, nämlich sie selbst, nicht mehr wie gewohnt zur Verfügung steht.“

wie entfremdet, wie ganz und gar sich auf nichts, was moralisch verpflichtend werden könnte, einlassend unsere amtstuben und behörden ticken, wird durch direktzitate aus diversen protokollen der einvernahmen sichtbar. dort werden zerbrochene und verstörte menschen, die bei uns einfach nur zuflucht suchen, alldessen entledigt, was sie noch mensch sein liesse. sie werden ihres namens entledigt, abgekürzt, ihres geschlechts beraubt und gänzlich falsch wiedergegeben. ob die haarsträubenden protokolle durch achtlosigkeit von dolmetscherInnen zustande kommen oder durch verachtende disposition jener, die die protokolle in die tasten klopfen, kann nicht mehr eruiert werden. und genau das ist typisch für unser system, das wir schutzsuchenden zumuten.

wer „verfahren“ liesst wird viele(s) neu kennenlernen, menschen, die vieles zu verantworten hätten, wenn denn unser system auf verantwortung beruhte und menschen, die beinahe untergehen, wenn es nicht doch manchmal unverhoffte unterstützung oder lichtblicke einer lösung gäbe. solche gibt es aber viel zu selten. die grausamkeiten, auf die sich schutzsuchende bei uns einstellen müssen, beginnen nicht mit der schubhaft. sie beginnen mit dem verfahren, mit der ersten einvernahme.

wie bereits gesagt:
vor diesem buch muss im besten sinne gewarnt werden.

ps. im ersten kapitel „zugang“ und letzten kapitel „zugabe“ nimmt laher auf die verhaftung der anti-fekter-demonstranten bzw. dann auf den haarsträubenden politprozess gegen die beiden brüder bezug. womit eine jener personen beim namen genannt wäre, die zumindest politisch dafür verantwortung zu tragen hätte, dass in unserem land das system so funktioniert, wie es hier schonungslos gezeigt wird.

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link zum buch:
http://www.haymonverlag.at/

nein! niemals.

salzburg foto: bernhard jenny creative commons

es gibt sie die rechtsextremen. wieder? noch immer? waren die jemals weg? jedenfalls treten sie jetzt wieder häufiger auf. oder gegen türen und menschen. immer öfter glauben sie, sich nicht mehr verstecken zu müssen. im gegenteil.

auch kein wunder. schliesslich gibt es in allen gesellschaftlichen kreisen kräftige komplizenschaften. vom büro des vizebürgermeisters, der für die öffentliche ordnung zuständig ist, bis zur polizei, von der justiz bis zur verwaltung – überall sitzen solche, die nationalsozialistisches verherrlichen und/oder verharmlosen. da glauben manche, die zeichen der zeit so deuten zu können, dass wieder rechte gewalt gewohnheit werden darf. rassismus wird normal. freie kultur wird beschimpft. manche gehen dann weiter. sie werden übergriffig und versuchen angst zu verbreiten. und sie sprechen drohungen aus. nichts soll mehr geschrieben werden, was ihnen nicht genehm ist. sonst…

darauf kann es nur eine antwort geben. niemand darf sich den mund verbieten lassen. niemand darf sich einschüchtern lassen. niemand darf sich davon abhalten lassen, die dinge, die benannt werden müssen auch wirklich beim namen zu nennen.

daher: nein! niemals wird schweigen oder nicht schreiben die reaktion auf drohungen sein können.
im gegenteil.
das gilt nicht nur für diesen blog.
to whom it may concern!