der grüne klimawandel entwickelt dynamik.

gestern ist eine partei über ihren eigenen schatten gesprungen. dass sie dabei ihre werte nicht aus den augen verliert, mögen manche nicht glauben, wurde aber gestern in salzburg greifbar.

vieles war vor wenigen monaten noch undenkbar. der zusammenbruch der türkisbraunblauen unregierung, das sensationelle comeback der grünen ins parlament, der diffuse zustand der sozialdemokraten, die spaltungsbrösel der braunblauen. und plötzlich schien es nur mehr eine alternative zu geben, deren umsetzung wohl für alle, auch für die beteiligten selbst, beinahe unerreichbar utopisch zu sein schien: koalitionsverhandlungen zwischen türkis und grün.

gestern nun der grüne bundeskongress – buko – in salzburg.

petra stuiber im standard bringt es in ihrem kommentar auf den punkt:

„Wie da über Politik, über die Zukunft des Landes und (durchaus pathetisch) auch der ganzen Welt diskutiert wurde, wie in Wertschätzung die Klingen und Klingonen gekreuzt, wie ernsthaft Bedenken, Ablehnung, aber auch Zustimmung argumentiert wurden, das war beachtlich.“

und manfred perterer schreibt in den salzburger nachrichten:

„Österreich kehrt mit dieser Regierung wieder in die Mitte Europas zurück.“

die offene debatte über das für und wider einer regierungsbeteiligung war von einer grundstimmung geprägt, die in dieser form überraschen musste: während in den social media channels in den letzten tagen harte konfrontationen liefen und mitunter nicht nur vehemente, sondern auch vertrauensentziehende kritik formuliert wurde, folgten auch die kritischen stimmen bei der buko jener haltung, die viktoria spielmann bereits vor dem buko in einem vielbeachteten fb-posting zum ausdruck brachte. sie kündigte an nicht zustimmen zu können, aber auch argumente jener, die sich für eine regierungsbeteiligung aussprechen, zu respektieren.

und offenbar waren es eine unglaubliche vielzahl an gesprächen, diskussionen und fragerunden, die in den letzten stunden und tagen einen durchaus denkbaren bruch zwischen den kritiker*innen und den befürworter*innen verhindert haben. dieser klimawandel der grünen art war die frucht der harten arbeit von werner kogler und seinem team. „wir dürfen uns nicht als menschenrechtler*innen und klimaschützer*innen auseinander dividieren lassen,“ war dann auch ein die stimmung des buko treffend beschreibender diskussionsbeitrag.

die kompetenz, die werner kogler und sein team in die regierung einbringen werden, war es auch, die glauben lässt, hier denkt niemand daran, ob seiner karriere in einer koalition mit den türkisen die grund- und menschenrechte zu verraten. die sehr kritischen gespräche wurden verstanden und ernstgenommen. die gesprächsebene zwischen den ngos und den grünen bleibt nicht nur vorhanden, sie wird sich nun auch weiterentwickeln. widerspruch gegen zahlreiche punkte im regierungsabkommen wird gehört und wird nicht als destruktion, sondern als wesentlicher bestandteil des diskurses integriert.

ob so manche tatsächlich schreckliche türkise grausamkeit im koalitionsabkommen grund genug gewesen wäre, die türkisen doch wieder mit den rechtsextremen fuhrwerken und den staat weiter in den abgrund verbringen zu lassen, das verneinte letztlich eine 93% mehrheit der delegierten.

die grünen mit ihrem neuen team wollen jedenfalls mehr denn je ernstzunehmende ansprechpartner*innen und vertreter*innen für grund- und menschenrechte sein und gehen im sinne einer politischen verantwortung das wagnis ein, sich direkt und offen einem völlig anders tickenden koalitionspartner zu stellen. ganz und gar nicht naiv, sondern bewusst.

hier will sich niemand mit den anderen in ein politisches ehebett legen, niemand will haltung und werte verwaschen. im gegenteil: im wissen um die teils extremen unterschiede dennoch eine reife demokratische kultur zu entwickeln, um die fortsetzung des rechtsextremen paarlaufes zu verhindern, dieses risiko wollen werner kogler, leonore gewessler, rudolf anschober, alma zadić und ulrike lunacek eingehen.

pressetermine mit doppelspitze kanzler und vizekanzler wird sebastian kurz – so wäre fast zu wetten –bald scheuen, wie der teufel das weihwasser: neben einem authentischen und fachkompetenten wortsprudler werner kogler werden die dauerlitaneien von der „illegalen migration“ und „kopftuch“ bald nur allzu peinlich eindimensional wirken.

vielleicht entsteht durch eine grüne regierungsbeteiligung ein neuer politischer stil, dem sich nicht einmal der koalitionspartner auf dauer entziehen kann?

basisdemokratie ist kein alter hut, sondern die seriöse antwort auf populistische verkürzungen.
der grüne klimawandel entwickelt dynamik.

 

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foto: bernhard jenny cc by

manchmal wirken auch placebos verblüffend heilend.

kurz bleibt toxisch. schwer toxisch. er setzt auch nach über 100 tagen auf null bewegung, bleibt so weit rechts stehen, wie er es schon immer am besten konnte und bedient auf peinlichste weise seine klientel. es ist entlarvend, wenn einem, der wieder regierungschef werden will, angesichts der aktuellen politischen herausforderungen in unserer gesellschaft wieder nichts anderes einfällt, als eine „illegale migration“ zu beschwören, gegen die er anzutreten hätte, das feindbild des „politischen islams“ zu zeichnen, den er mit einer negativen kleidungsvorschrift für junge mädchen begegnen will. es ist die unverändert primitive aufbereitung jenes klimas, das einfachgestrickte geister als freibrief für ausländerfeindlichkeit und rassismus verstehen. das weiss der vom parlament schon mal abgewählte exkanzler genau, aber er macht mutwillig weiter.

das bedeutet: er kann nichts anderes. mit den blaubraunen konnte er aus einer koalition eine inhaltliche verschmelzung veranstalten, die keinen unterschied zwischen den positionen der täglichen einzelfaller und den türkisen erkennen liess. türkis musste nicht definiert werden, es war bloss ein anderes blau. scheindistanzierungen gegenüber identitären waren blosse floskeln.

nun mit den grünen ist anscheinend das genaue gegenteil der fall: türkis bleibt blauverwechselbar, bleibt auf ausreisezentren und bundesagentur für abhängige betreuung bestehen und lässt die grünen positionen in keinster weise in die türkise identität einfliessen. deutschklassen setzen die ghettoisierung in den schulen fort, ziffernzeugnisse werden nicht zurückgenommen, der konservative rückschritt, den die alte türkisblaue regierung im schulsystem begonnen hat, wird fortgesetzt.

kurz ist also nach wie vor in die blaue romanze verliebt, er kann und will sich nicht lösen und nicht bewegen. dass ausgerechnet ein neu gegründetes integrationsministerium auch für frauen zuständig sein soll, spricht eine klare sprache, wie verschroben und verkorkst der zugang der türkisen zu einer wirklich gesetzlich abgesicherten und gesellschaftlich organisierten gleichstellung sein muss.

und was machte kogler und sein team? sie haben wohl mit sehr viel engagement, herzblut und schlaflosen nächten versucht, den glauben an eine lösung nicht zu verlieren. es gibt zwar ein grosses ministerium für umwelt, aber die ökologisierung des steuersystems wurde in einen arbeitskreis, neudeutsch task force, verschoben.

das regierungsprogramm – da hat kogler wohl recht – kann im falle einer koalition niemals das wahlprogramm der grünen abbilden. das regierungsprogramm, das nun vorliegt zeigt aber deutlich: türkis bleibt schwer toxisch antiemanzipatorisch, xenophob und menschenrechtsfeindlich. nebensätze zur EMRK-konformität der einführung der präventivhaft wirken so glaubwürdig, wie straches beteuerungen in ibiza, dass das verscherbeln der werte wohl rechtskonform ablaufen müsse.

in der gestrigen präsentation war deutlich zu sehen: ein aalglatter nullbeweger auf der einen seite, ein von verantwortung für das land schwer bewegter auf der anderen seite. der kontrast zwischen phrasen, die an einen schlecht programmierten bot glauben lassen und ehrlichen aussagen eines kompetenten nachdenkers hätte grösser nicht sein können.

die österreichische gesellschaft ist durchgebeutelt. das letzte jahr war ein schockierendes bild der unpolitik und des scheiterns, das eigentlich auch kurz zu verantworten hätte, aber die sehnsucht nach harmonie lässt vieles verdrängen.

am morgigen bundeskongress der grünen wird also zu entscheiden sein, ob eine toxische beinahe alleinregierung mit minimalen dosen geheilt werden kann. für die einen wird es wohl die einzige hoffnung sein, irgendetwas in unserem land zum positiven zu bewegen, für die anderen der verkauf der seele an den slim-anzug.

mag sein, dass die grüne regierungsbeteiligung unter diesen umständen ein homöopathisches placebo ist, jenseits der nachweislichen wirkungsverlässlichkeit, aber es ist schon oft belegt:

manchmal wirken auch placebos verblüffend heilend.

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bild von Bruno /Germany auf Pixabay
bearbeitung b.j.