ist fake die neue ehrlichkeit?

fake by bernhard jenny cc by sa

fake. falsch. fälschung. nicht echt. nur so als ob. das begleitet uns im alltag viel mehr, als wir es wahrhaben wollen. die ausschreibung? fake. da wissen die wirklich eingeweihten längst, wer den zuschlag bekommen wird. die politische entscheidung in gremien? fake. auch hier wissen die wirklichen insider längst, wie entschieden wird. die bewerbung um einen posten? fake. längst ist ausgemacht, wer da direktor_in, dort abteilungsleiter_in oder geschäftsführer_in wird. die entscheidung über die baugenehmigung für das grossprojekt? fake. war seit dem treffen mit den lobbyist_innen klar, wie das auszugehen hat.

und wir? wer von uns hat solche situationen nicht schon selbst erlebt? wer hat von solchen situationen noch nie profitiert? wer hat noch nie genau wegen solcher vorgänge, verloren? wer hat nicht schon mal das spiel der objektivität mitgespielt, obwohl es eigentlich anders gelaufen ist? wer hat dann lieber doch nichts gesagt, denn wer weiss, wie es das nächste mal laufen wird?

machtstrukturen, sei es politische, kommerzielle oder persönliche, funktionieren immer so. sie leisten sich den luxus der scheinobjektivität, der pseudodemokratisierung. machtstrukturen beweisen ihre wahre mächtigkeit besonders dann, wenn die show entsprechend aufwendig und besonders „transparent“ organisiert wird. da gibt es dann eine scheinjury, die in wirklichkeit selbst nicht entscheidet, sondern den auftrag der realen jury ausführt. da gibt es gerechtigkeiten, die bei genauerer betrachtung keine sind, aufteilungen des „kuchens“, die dann mal zufällig so und nicht anders laufen. und eine mal klug gesteuerte, dann wieder höchst plump erzwungene dramaturgie der abläufe gehört dazu. der betrug geht auf allen ebenen weiter: „krise“ ist ein elegantes wort für organisiertes wirtschaftsverbrechen, „rettungsschirm“ meinte niemals die menschen, sondern vielmehr die spekulationsorganisationen, die sich auf kosten der allgemeinheit unverschämt bereicherten. und konsument_innen. die nicht bei jedem espresso einen kassenbon verlangen, machen sich gedanken, behilfe zum steuerbetrug zu leisten, während andere nicht mehr wissen, in welche offshore briefkästen sie jetzt einsteigen sollen. fake. fake. fake.

ein endloses spiel. es wäre spannend zu untersuchen, wieviel energie, zeit und sonstiger aufwand ausschliesslich dafür verbraucht wird, die fake-show für uns aufrecht zu erhalten. die gesamtsumme wäre vermutlich für uns alle überraschend.

aber sie dürfte es uns dennoch wert sein. es ist zwar absurd, aber offensichtlich: wir wollen beschissen werden und bezahlen noch bitter dafür. selbst mit dem geld unserer nachkommen. wir wollen uns im gefühl wohlig räkeln können, dass (fast) alles – bis auf ganz, ganz wenige, böse böse ausnahmen – in ordnung ist, fair abläuft und dass wir eigentlich alle die gleichen chancen haben. mehr oder weniger. dass das ganz nebenbei für frauen, migrant_innen oder viele andere ganz und gar nicht gilt, ein kleiner schönheitsfehler.

wir lassen uns diesen betrug einiges kosten. und wir wollen ganz fest glauben, dass es wirklich ehrlich abläuft. nicht auszudenken, wenn plötzlich wirklich alles ehrlich ablaufen würde, also jede_r offen aussprechen würde, wie die dinge in wirklichkeit entschieden werden.

dass die dokusoap schrille erfindung ist, dass so manche interviews vorher abgesprochen und so manche leitartikel auftragsarbeiten sind, das wissen wir zwar, verdrängen es aber immer wieder. dass objektive berichterstattung fast schon verdächtig eigenartig anmuten muss, ist dann die folge jenes lernprozesses, dem wir täglich ausgesetzt sind. irgendwie muss immer etwas fake sein. sonst stimmt was nicht. selbst die abschaffung des fakes muss mit an sicherheit grenzender sicherheit fake sein. oder der kampf gegen die korruption? wohl eher ein kampf gegen zu plumpe tarnung? der preis ist heiss.

also müssen wir uns die frage stellen:
ist fake die neue ehrlichkeit?

ps. dieser artikel ist vermutlich auch fake.

dieser artikel ist am 24.2.2015 auf fisch+fleisch erschienen und auch dort aufrufbar:
https://www.fischundfleisch.at/politik-jetzt-ich/ist-fake-die-neue-ehrlichkeit.html

postenschacher – was steckt dahinter?

es hätte fast jede woche einen anlass für diese zeilen gegeben, aber die „beförderung“ eines ministers, der aus einer ordentlichen innenpolitischen klemme hinaus und hinauf zum eu-kommisar ernannt wird, hat mich sehr stark an meine erfahrungen als mitglied von hearing-kommissionen erinnert.

„wie peinlich! mit der bestellung einer so unqualifizierten person blamiert sich die partei X endgültig!“

so ist es öfter dann zu hören. so war am anfang meiner beobachtungen meine naive reaktion.

denn öfter, also es in der öffentlichkeit wahrgenommen wird, werden personen in ämter gehoben, wo mangelnde qualifikation und hoher anspruch an den posten derart weit auseinanderliegen, dass es unglaublich erscheinen muss, warum sich partei X gerade auf diese person stur festlegt.

bald aber wurde mir ein klares system hinter solchen unmöglichen bestellungen bewusst: machtbeweis.

denn für einen posten wirklich die qualifizierte person vorzuschlagen ist ja eigentlich nur logisch, somit aber kein machtbeweis. sowas kann ja „jedeR!“ das beeindruckt kaum.

aber eine person, über die zb. ausdrücklich bekannt ist, dass sie in ihrer bisherigen beruflichen laufbahn eher durch untätigkeit aufgefallen ist, als durch besondere verdienste, eine person, die sich vielleicht sogar einige „ausrutscher“ geleistet hat und sicher nicht für diesen posten qualifiziert ist – eine solche person DENNOCH vorzuschlagen, durch alle gremien durchzuheben und dann erfolgreich zu bestellen, das hat was: das ist der beweis von macht.

nur eine mächtige partei, mit entsprechenden seilschaften, verbindungen und treuen abnickerInnen kann das meisterstück vollbringen, einen offensichtlichen „bock“ zum „gärtner“ zu machen.

zwei effekte sind dann ziemlich sicher:

  • der- oder diejenige, welche an die position gehievt wurde, wird dankbar in zukunft das maul halten, die partei X niemals in frage stellen und im falle des falles ebenso durchwinken, abnicken und jasagen.
  • alle anderen, die besorgt, alarmiert oder verärgert solche vorgänge beobachten, müssen verblüfft die macht der partei X erkennen und den rückschluss ziehen, dass im zweifelsfall die macht der partei X weit über jede frage von qualifikation und eignung erhaben ist.
  • je mehr sich dieser eindruck bei möglichst vielen verbreitet, umso schneller wächst die gefühlte macht der parteien.

    so kann ich mir auch somanche verschmitzten gesichtsausdrücke besser erklären, wenn es in diskussionen um derartige besetzungen um die frage nach der wirklichen qualifikation ging. da wird gebogen, gelogen, unterstellt und diffamiert was das zeug hält, alles im dienste der macht.

    wenn dann auch noch 2 (oder gar 3) parteien in diesem spiel sich gegenseitig abstimmen, zuspielen und pseudoausgewogenheiten vorgauckeln – dann brauchen wir uns nicht mehr zu fragen, warum unsere ämter, institutionen und politik so aussehen, wie sie aussehen: denkbar schlecht, aber mächtig.

    achtung: selbstverständlich ist nicht jedeR direktorIN, jedeR leiterIN, jedeR inspektorIn (oder wie sonst die funktion heissen mag) unqualifiziert, und somit nur wegen der partei X in diese position gelangt. da gibt es doch immer wieder ausnahmen, besonders dort, wo es nicht um viel prestige geht, sondern eher um viel arbeit oder wirkliche verantwortung.

    aber es gilt:
    je wichtiger und bezahlter, desto partei.