opfer. medien. medienopfer?

screenshot orf grafik bernhard jenny

amok. eine tragödie. unfassbar. natürlich versuche der sofortigen vorverurteilung bzw. vereinnahmung im sinne einer hetzerischen kampagne. dem muss entgegengewirkt werden. klar.

es stellt sich heraus: der täter scheint ein gewalttäter mit langer vorgeschichte zu sein. einer, der gewohnheitsmässig zugeschlagen hat, wann immer er es wollte. die frau erzählt ihre geschichte vor laufender fernsehkamera, tränenerstickt ist ihre stimme, sie ist fassungslos. sie erzählt ihr leid, sie berichtet, dass sie immer geschlagen wurde, ob schwanger oder nicht.

gestern erlaubte ich mir meinen protest öffentlich in social media zu formulieren. auf facebook lautete mein eintrag:

ABSURD! eine geschlagene frau tränenaufgelöst vor die kamera in ein exklusivinterview zu zerren, um dem „druck der medien“ zu entgehen, ist scheinheiliger voyeurismus auf tiefstem niveau. mediales ausschlachten einer menschlichen katastrophe bringt sicher quote. hat aber mit journalismus nichts zu tun.

das löste jedoch mehr diskussion aus, als ich vermutet hatte.

so meldete sich angelika a., psychologin für kinder- und familienbehandlung lt. fb-profil:

oh, das sehe ich aber GANZ anders. Hier wurde deutlich, was für eine Sorte Täter der Mann ist. Ein ganz normaler gewalttätiger Ehemann. Kein Salafist. Kein Islamist. Nein, einer der vielen „Familienväter“, gewalttätig und alltäglich in seiner Grausamkeit. Auf keine andere Weise hätte das so eindringlich klargemacht werden können. Und ich wünsche mir Männer, die das nicht nur erkennen, sondern eine eindeutige und unmissverständliche Haltung einnehmen gegen solche Männer, die das Wort Ehemann und Vater nicht verdient haben.

darauf meine antwort:

bezüglich klar gegen gewalt und grausamkeit eintreten bin ich zu 1000% dabei… aber dass das auf kosten der frau gehen soll, ist eben absurd.
(…)
es gäbe viele formen, die inhalte um die es dir hier geht verantwortungsvoll und mit breitenwirkung zu transportieren, ohne die frau tränenerstickt vor die kamera zu setzen. das löst bei manchen wieder ganz was falsches aus und befriedigt u.a. sensationsgeile voyeure (hier mal bewusst nicht gegendert).

zahlreiche diskussionsbeiträge folgten, bis sich dann gerhard t. überraschend offen zu wort meldete:

Ich war lange Zeit als Reporter bei THEMA tätig. Leider wurde der Quotendrang und die „Rampengeilheit“ des Moderator Feurstein immer schlimmer. Nach Kampusch braucht er einfach immer mehr diese quotenträchtigen Interviews. Die Grenze zwischen Information und Voyeurismus ist schon lange bei THEMA , vor allem bei Herrn Feurstein, verblufft.

eine berufskollegin feursteins vom servus tv, mimi h. meldete sich mit einer ganz anderen meinung:

Ich kenne Christoph Feurstein und weiß, dass ihm die Menschen, die er da interviewt, alles andere als egal sind und dass er keineswegs sensationslüstern handelt. Und auch wenn die Frau in Tränen aufgelöst war und natürlich völlig verzweifelt, so würde ich mich hüten zu behaupten, dass sie vor „die Kamera gezerrt wurde“, so als wäre sie nicht fähig, Entscheidungen treffen zu können. Ihr mit euren Meldungen geilt euch doch auf und verschließt euch der Möglichkeit, dass diese Frau vielleicht das Bedürfnis hatte, ihre Geschichte zu erzählen. Man kann Christoph Feurstein für unsympathisch halten, das ist Geschmacksache, aber ich weiß, dass er ein guter, sehr kluger und sehr mitfühlender Mensch ist.

inzwischen haben viele die sendung gesehen. die meinungen dürften weiter sehr geteilt sein.

die häusliche bzw. familiäre gewalt ist ein sehr wichtiges thema. das auch enttabuisiert gehört. nur mit einem klaren und unmissverständlichen STOPP jeglicher gewalt auf allen gesellschaftlichen ebenen werden wir weiterkommen.

ob aber ausgerechnet ein medial sehr plump inszeniertes mitleid in form eines tränenerstickten interviews ein geeignetes mittel ist, muss diskutiert werden dürfen.

es ist eine eklatante grenzüberschreitung, wenn ein interview so weit getrieben wird, dass selbst bei der offensichtlich notwendigen beruhigung der frau durch eine begleiterin auch noch die kamera drauf bleibt.

es ist eine eklatante grenzüberschreitung, wenn christoph feurstein am ende des interviews auch noch zärtlich (???) an die schulter greift. ist das der sensible umgang mit einem so ernsten thema?

abgesehen davon, dass grundsätzlich alles, was uns medial mit grosser wucht reingedrückt wird immer auch kritisch zu hinterfragen ist:
es gibt solche und solche journalist_innen. es gibt solche und solche medien. ob im staatlichen fernsehen, rundfunk, ob in den privaten sendern oder den freien medien: überall kommt alles vor: sternstunden des journalismus und tiefpunkte der bedenklichen art.
ich halte dieses „thema“-interview für einen tiefpunkt.

opfer. medien. medienopfer?

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bild: screenshot orf thema bearbeitet von bernhard jenny cc by

dieser artikel ist am 30.6. auf fischundfleisch.com erschienen und ist auch dort aufrufbar

isolierter amoklauf oder logische folge?

Strong Eagle 2 - foto: familymwr - http://www.flickr.com/photos/familymwr/5281704487/sizes/l/in/photostream/

die welt ist wieder einmal alarmiert, ein soldat hat anscheindend wahllos schlafende menschen, alte, junge, kleinkinder ermordet. afghanistan als schauplatz eines angeblichen amoklaufes. sowas schockiert. sowas macht schlagzeilen. so wie die soldaten, die auf leichen urinieren, so wie soldatInnen, die gefangene aufs schlimmste erniedrigen.

es werden wieder pressekonferenzen abgehalten werden, die uns klar machen werden, dass die peinlichen vorkommnisse lückenlos aufgeklärt werden müssen und dass es tief bedauerlich sei, dass es zu dieser entgleisung kommen konnte.

entgleisung? panne? amok?

was uns immer wieder verschwiegen wird. krieg ist immer krieg. und krieg lässt sich nur gegen jede moralische und ethische schranke führen. der „saubere“ oder „moralische“ krieg ist eine illusion, die nicht existiert. wir müssen uns bewusst machen, dass soldatInnen – wo auch immer sie in kriegseinsatz kommen – zu unmenschen werden müssen, um als soldatInnen zu funktionieren. wer sich moralische oder ethische fragen stellt, ist nicht brauchbar für den kriegseinsatz.

dass dann und wann entmenschlichte, befehls- und ferngesteuerte soldatInnen ausser kontrolle geraten und dinge anstellen, ist zwar nicht geplant, aber keine irgendwoher kommende entgleisung, sondern die direkte folge dessen, was den wahnsinn krieg ausmacht.

solange wir kriege führen, nehmen wir die systematische entmenschlichung von kämpfenden in kauf. dass die zerstörte psyche diese menschen dann zu schwer kontrollierbaren mordmaschinen werden lässt, die später – wenn sie heimkommen sollten – allein gelassen werden, darf uns nicht wundern.

krieg ist unmenschlich und zerstört menschen.
auf allen seiten.

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foto: familymwr (creative commons)